Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Verdi-Chef kritisiert Länderpläne
Viele Länder wollen Beschäftigten ohne Impfschutz bei Quarantäne keinen Lohnersatz mehr zahlen. Das ist umstritten
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat das Vorhaben vieler Bundesländer kritisiert, die Lohnfortzahlung für Ungeimpfte in Quarantäne zu beenden. Aus Sicht der Gewerkschaft sei es falsch zu versuchen, eine „Impfpflicht durch die Hintertür einzuführen“, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende Frank Werneke den Zeitungen der FunkeMediengruppe, zu der auch diese Zeitung gehört. „Die Politik steht im Wort, dass Impfen freiwillig bleiben soll.“
Der Druck auf die Ungeimpften wächst – auch im Arbeitsleben: Wer vom Gesundheitsamt in Quarantäne geschickt wird, konnte bislang damit rechnen, den Verdienstausfall erstattet zu bekommen. Das ändert sich nun in vielen Fällen: Für Ungeimpfte soll die Lohnfortzahlung nach dem Willen vieler Länder enden. Baden-Württemberg startet damit bereits an diesem Mittwoch. Gut möglich, dass es bald ein bundesweit einheitliches Vorgehen gibt.
Die Länder haben seit Beginn der Corona-Pandemie deutlich mehr als eine halbe Milliarde Euro an Entschädigungen für Verdienstausfälle durch eine Quarantäne gezahlt. Dahinter steht eine Regelung im Infektionsschutzgesetz: Wenn eine staatlich verordnete Quarantäne zum Verdienstausfall führt, weil die Betroffenen nicht von zu Hause arbeiten können, haben sie ein Anrecht auf Entschädigung in Höhe des Verdienstausfalls. Das Geld bekommen sie vom Arbeitgeber weiter überwiesen – der jedoch holt sich die Summe per Antrag vom Staat zurück. Die Regelung sieht zugleich aber vor, dass der Anspruch auf Verdienstausfall entfallen kann, wenn die Quarantäne durch eine Schutzimpfung hätte vermieden werden können. Bisher wurde in diesen Fällen trotzdem gezahlt, allein schon deshalb, weil in der Vergangenheit nicht genügend CoronaImpfstoff zur Verfügung stand.
In den meisten Fällen geht es um sogenannte ungeimpfte Kontaktpersonen, die nach einer Infektion im Umfeld in mehrtägige Quarantäne geschickt werden. Geimpfte müssen dagegen nach einem Kontakt zu einem Corona-Infizierten nicht mehr zwangsläufig in Quarantäne. Die Lohnfortzahlung im individuellen Krankheitsfall ist unabhängig davon geregelt und soll nicht angetastet werden. Für Menschen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können, ändert sich ebenfalls nichts.
In NRW endet die Zahlung
Mitte Oktober
Mehrere Bundesländer, darunter Nordrhein-Westfalen, Bayern und Rheinland-Pfalz, haben bereits angekündigt, den Entschädigungsanspruch für Ungeimpfte künftig zu streichen. In NRW etwa enden die Zahlungen für Ungeimpfte am 11. Oktober. Hessens Regierungschef Volker Bouffier (CDU) zeigte sich ebenfalls offen dafür, und auch Niedersachsen prüft einen solchen Schritt. In Bremen sollen Ungeimpfte bereits von Oktober an keine staatliche Entschädigung mehr für einen Verdienstausfall bekommen, wenn sie wegen eines Corona-Ausbruchs in Quarantäne müssen. „Die Rechtslage hierzu ist eindeutig“, sagte Innensenator Ulrich Mäurer (SPD). „Kein volljähriger Bremer kann ab 1. Oktober noch behaupten, keine Chance gehabt zu haben, sich impfen zu lassen.“
Den Arbeitgebern steht es allerdings frei, Verdienstausfälle weiter auch für Ungeimpfte zu zahlen. Sie können das Geld nur nicht mehr vom Staat zurückbekommen.
Kritik kommt aus mehreren Richtungen – von Patientenschützern, Medizinern und Gewerkschaften. Verdi-Chef Frank Werneke warnte vor einer „Impfpflicht durch die Hintertür“. Die von Arbeitgeberverbänden und Gesundheitsminister Jens Spahn losgetretene Debatte zur Streichung des Entgeltersatzes sei kontraproduktiv, verlagere die Konflikte in Betriebe und Belegschaften und sorge für Verunsicherung, sagte Werneke unserer Redaktion. Verdi forderte stattdessen praktikable Lösungen im Alltag: „Wo sind etwa die Luftfilter in den Schulen? Wo bleiben einheitliche Quarantäneregeln oder Verabredungen für den Umgang mit Geimpften? Wann gibt es endlich mehr Personal im Gesundheitsdienst?“, so der Gewerkschafter. Die Arbeitgeber seien gefordert, nachdrücklich für Impfungen zu werben und sie in der Arbeitszeit zu ermöglichen.
Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach zeigte sich skeptisch. Seine Sorge: dass Menschen, die eigentlich in Quarantäne sein müssten, aus Angst vor einem Verdienstausfall weiter vor die Tür gehen.
Lob für den Schritt der Länder kam von Arbeitgeberseite: „Wer sich trotz objektiver Möglichkeit nicht impfen lässt, muss auch die Konsequenzen tragen“, hieß es von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). „Dass der Staat festlegt, dass auch die Steuerzahler nicht in die Pflicht genommen werden soll, ist nur konsequent.“
Unter Juristen ist der Wegfall der Lohnersatzleistung für Ungeimpfte umstritten. Der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhardt etwa hält einen Stopp von Quarantäne-Entschädigungen nicht generell für zulässig, wie das „Handelsblatt“berichtet. Möglich wäre dies nach seiner Auffassung nur, wenn sich Ungeimpfte „bewusst“an einen Corona-Hotspot begeben, etwa bei Reisen in ein Corona-Hochinzidenzgebiet.
„Wer sich trotz objektiver Möglichkeit nicht impfen lässt, muss auch die Konsequenzen tragen.“Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)