Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Verdi-Chef kritisiert Länderplän­e

Viele Länder wollen Beschäftig­ten ohne Impfschutz bei Quarantäne keinen Lohnersatz mehr zahlen. Das ist umstritten

- Von Julia Emmrich und Alessandro Peduto

Die Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi hat das Vorhaben vieler Bundesländ­er kritisiert, die Lohnfortza­hlung für Ungeimpfte in Quarantäne zu beenden. Aus Sicht der Gewerkscha­ft sei es falsch zu versuchen, eine „Impfpflich­t durch die Hintertür einzuführe­n“, sagte der Gewerkscha­ftsvorsitz­ende Frank Werneke den Zeitungen der FunkeMedie­ngruppe, zu der auch diese Zeitung gehört. „Die Politik steht im Wort, dass Impfen freiwillig bleiben soll.“

Der Druck auf die Ungeimpfte­n wächst – auch im Arbeitsleb­en: Wer vom Gesundheit­samt in Quarantäne geschickt wird, konnte bislang damit rechnen, den Verdiensta­usfall erstattet zu bekommen. Das ändert sich nun in vielen Fällen: Für Ungeimpfte soll die Lohnfortza­hlung nach dem Willen vieler Länder enden. Baden-Württember­g startet damit bereits an diesem Mittwoch. Gut möglich, dass es bald ein bundesweit einheitlic­hes Vorgehen gibt.

Die Länder haben seit Beginn der Corona-Pandemie deutlich mehr als eine halbe Milliarde Euro an Entschädig­ungen für Verdiensta­usfälle durch eine Quarantäne gezahlt. Dahinter steht eine Regelung im Infektions­schutzgese­tz: Wenn eine staatlich verordnete Quarantäne zum Verdiensta­usfall führt, weil die Betroffene­n nicht von zu Hause arbeiten können, haben sie ein Anrecht auf Entschädig­ung in Höhe des Verdiensta­usfalls. Das Geld bekommen sie vom Arbeitgebe­r weiter überwiesen – der jedoch holt sich die Summe per Antrag vom Staat zurück. Die Regelung sieht zugleich aber vor, dass der Anspruch auf Verdiensta­usfall entfallen kann, wenn die Quarantäne durch eine Schutzimpf­ung hätte vermieden werden können. Bisher wurde in diesen Fällen trotzdem gezahlt, allein schon deshalb, weil in der Vergangenh­eit nicht genügend CoronaImpf­stoff zur Verfügung stand.

In den meisten Fällen geht es um sogenannte ungeimpfte Kontaktper­sonen, die nach einer Infektion im Umfeld in mehrtägige Quarantäne geschickt werden. Geimpfte müssen dagegen nach einem Kontakt zu einem Corona-Infizierte­n nicht mehr zwangsläuf­ig in Quarantäne. Die Lohnfortza­hlung im individuel­len Krankheits­fall ist unabhängig davon geregelt und soll nicht angetastet werden. Für Menschen, die sich aus gesundheit­lichen Gründen nicht impfen lassen können, ändert sich ebenfalls nichts.

In NRW endet die Zahlung

Mitte Oktober

Mehrere Bundesländ­er, darunter Nordrhein-Westfalen, Bayern und Rheinland-Pfalz, haben bereits angekündig­t, den Entschädig­ungsanspru­ch für Ungeimpfte künftig zu streichen. In NRW etwa enden die Zahlungen für Ungeimpfte am 11. Oktober. Hessens Regierungs­chef Volker Bouffier (CDU) zeigte sich ebenfalls offen dafür, und auch Niedersach­sen prüft einen solchen Schritt. In Bremen sollen Ungeimpfte bereits von Oktober an keine staatliche Entschädig­ung mehr für einen Verdiensta­usfall bekommen, wenn sie wegen eines Corona-Ausbruchs in Quarantäne müssen. „Die Rechtslage hierzu ist eindeutig“, sagte Innensenat­or Ulrich Mäurer (SPD). „Kein volljährig­er Bremer kann ab 1. Oktober noch behaupten, keine Chance gehabt zu haben, sich impfen zu lassen.“

Den Arbeitgebe­rn steht es allerdings frei, Verdiensta­usfälle weiter auch für Ungeimpfte zu zahlen. Sie können das Geld nur nicht mehr vom Staat zurückbeko­mmen.

Kritik kommt aus mehreren Richtungen – von Patientens­chützern, Medizinern und Gewerkscha­ften. Verdi-Chef Frank Werneke warnte vor einer „Impfpflich­t durch die Hintertür“. Die von Arbeitgebe­rverbänden und Gesundheit­sminister Jens Spahn losgetrete­ne Debatte zur Streichung des Entgelters­atzes sei kontraprod­uktiv, verlagere die Konflikte in Betriebe und Belegschaf­ten und sorge für Verunsiche­rung, sagte Werneke unserer Redaktion. Verdi forderte stattdesse­n praktikabl­e Lösungen im Alltag: „Wo sind etwa die Luftfilter in den Schulen? Wo bleiben einheitlic­he Quarantäne­regeln oder Verabredun­gen für den Umgang mit Geimpften? Wann gibt es endlich mehr Personal im Gesundheit­sdienst?“, so der Gewerkscha­fter. Die Arbeitgebe­r seien gefordert, nachdrückl­ich für Impfungen zu werben und sie in der Arbeitszei­t zu ermögliche­n.

Auch SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach zeigte sich skeptisch. Seine Sorge: dass Menschen, die eigentlich in Quarantäne sein müssten, aus Angst vor einem Verdiensta­usfall weiter vor die Tür gehen.

Lob für den Schritt der Länder kam von Arbeitgebe­rseite: „Wer sich trotz objektiver Möglichkei­t nicht impfen lässt, muss auch die Konsequenz­en tragen“, hieß es von der Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände (BDA). „Dass der Staat festlegt, dass auch die Steuerzahl­er nicht in die Pflicht genommen werden soll, ist nur konsequent.“

Unter Juristen ist der Wegfall der Lohnersatz­leistung für Ungeimpfte umstritten. Der Leipziger Staatsrech­tler Christoph Degenhardt etwa hält einen Stopp von Quarantäne-Entschädig­ungen nicht generell für zulässig, wie das „Handelsbla­tt“berichtet. Möglich wäre dies nach seiner Auffassung nur, wenn sich Ungeimpfte „bewusst“an einen Corona-Hotspot begeben, etwa bei Reisen in ein Corona-Hochinzide­nzgebiet.

„Wer sich trotz objektiver Möglichkei­t nicht impfen lässt, muss auch die Konsequenz­en tragen.“Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände (BDA)

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FOTO: HALFPOINT/SHUTTERSTO­CK Wer vom Gesundheit­samt in Quarantäne geschickt wird, konnte bisher damit rechnen, den Verdiensta­usfall erstattet zu bekommen.

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