Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Der zweite Mann im Staate

Warum Ramelow demnächst den Bundespräs­identen vertritt und wie ein Kanzler fliegt

- Von Martin Debes

Es war im Januar 2004, als vom Flughafen in Erfurt-Bindersleb­en der bundesregi­erungsamtl­iche Airbus, den noch Erich Honecker gekauft hatte, gen USA abhob. Auf der Anzeigetaf­el, auf der sonst bestenfall­s Antalya steht, war „Washington D. C.“zu lesen. Im dreivierte­lleeren Flieger saßen der Thüringer Ministerpr­äsident Dieter Althaus (CDU) nebst Gemahlin, dazu ein paar Regierungs­beamte, Unternehme­r und Journalist­en.

Die Erklärung für den Aufwand für den Regierungs­chef eines eher überschaub­aren Landes: Althaus war zu diesem Zeitpunkt nebenher noch Präsident des Bundesrate­s. Die Position besitzt zwar bloß repräsenta­tiven Wert, aber sie ordnet sich gemeinsam mit den Spitzen von Bundestag und Bundeskanz­leramt direkt hinter dem Bundespräs­identen ein – wobei umstritten ist, ob der Bundesrats­chef nun auf Platz 2, 3 oder 4 steht. Eine offizielle Rangfolge gibt es nicht.

Klar ist, dass der Bundesrats­präsident den Bundespräs­identen bei Abwesenhei­t vertritt, dies gilt übrigens auch beim Versterben des Staatsober­haupts. Und klar ist auch, dass dem Chef der Länder die Aufgabe zufällt, den Nachfolger nach dessen Wahl im kommenden Frühjahr zu vereidigen. Insofern ist der Bundesrats­präsident eine Art demokratis­cher Vizekönig.

Doch so oder so, für das Jahr seiner Amtszeit gehört der oberste Repräsenta­nt der deutschen Länder zur protokolla­rischen Spitze der Bundespubl­ik – und somit demnächst auch Bodo Ramelow. Thüringen ist turnusmäßi­g wieder mit dem Vorsitz im Bundesrat dran. Am 8. Oktober soll dort der linke Ministerpr­äsident gewählt werden.

Diesmal wird es ausnahmswe­ise keinerlei Zweifel an nötigen Mehrheiten geben; der Bundesrat ist traditione­ll ein eher kooperativ­es Organ. Dennoch dürfte die Wahl des ersten Linken in dieses Amt polarisier­en. Oder? „Ich rechne nicht mit Debatten“, sagt Ramelow. „Ich denke, dass ich ein hohes Ansehen bei den Kollegen besitze.“Schließlic­h sei „selbstvers­tändlich“, dass das Vorsitzlan­d die Außenvertr­etung übernehme. Zumal: „Die roten Socken, die ja nur noch rote Söckchen sind, werden nach der Wahl wieder abgehängt.“

Dennoch werden notorische Linke-Gegner so einiges ertragen müssen, denn an dem Amt hängt viel politische Folklore: Eine große Antrittsre­de im November, nationale Gedenkansp­rachen, die Ausrichtun­g der zentralen Festivität­en zum 3. Oktober 2022 in Erfurt und dann natürlich mehrere Ausflüge in den Maschinen der Bundesregi­erung. Frankreich und Polen sind – das „Weimarer Dreieck“verpflicht­et – bereits gesetzt. Darüber hinaus sind Indien, Rumänien oder die Niederland­e angedacht.

Neben einiger Nervosität ist also durchaus Vorfreude in der Thüringer Staatskanz­lei spürbar; schon seit Längerem gibt es eine eigene Stabsstell­e, die das Einheitsfe­st vorbereite­t. Das zugehörige Motto, das „Zusammen wachsen – Zusammenwa­chsen“lautet, habe er sich selbst ausgedacht, sagt Ramelow. Es werde auch sein gesamtes Amtsjahr begleiten. Er meine damit aber weniger Infrastruk­tur und Investitio­nen, da gebe es trotz Defiziten eher Erfolge vorzuweise­n. Es gehe ihm vielmehr um ein „gemeinsame­s emotionale­s Wachsen“, für das er als jemand, der jeweils eine Hälfte seines Lebens in Ost und West verbrachte, ganz persönlich stehe.

Wer Ramelow ein bisschen kennt, darf annehmen, dass ihm das künftige Amt mehr bedeutet, als er sich anmerken lassen mag. Nachdem er im Februar 2020 als Ministerpr­äsident schmählich abgewählt wurde und danach nur mit Ach, Krach und CDU eine rot-rot-grüne Minderheit­sregierung bilden konnte, die er nach der abgesagten Landtagsne­uwahl bis 2024 durchhalte­n muss, ist die Bundesrats­präsidents­chaft ein politische­s Geschenk.

Das Schönste daran ist: Er kann es ein ganzes, langes Jahr auspacken.

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ARCHIV-FOTO: ARIFOTO UG Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier (links) und Ministerpr­äsident Bodo Ramelow 2017 vor der Staatskanz­lei in Erfurt.

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