Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Wer hofft eine andere Politik nach der Wahl? Heute: Unternehmer Sascha Mühlenbeck. Was er sich wünscht
Bremen.
In der Pandemie, als alle im Lockdown und die Geschäfte dicht waren, da brummte die Kasse bei Sascha Mühlenbeck. „Unser Geschäft ist stärker als je zuvor“, sagt er heute. Online verkauft er „Tastings“für Whisky und Gin. Im Internetshop bietet er „Geschenkboxen“an, er verschickt Brotaufstriche, Pasta, Saucen, Schokolade. Nach einem halben Jahr Pandemie hat er doppelt so viel eingenommen wie vorher, sagt Mühlenbeck.
Mühlenbeck verkauft gemeinsam mit seiner Frau alles, was „dick, betrunken und glücklich“macht. Und er würde gern noch mehr und noch schneller verkaufen. Aber er findet kein Personal, keinen Produktionsleiter, keine Küchenhilfe, keine Putzkraft. „Die Menschen haben Angst, sich zu bewerben“, sagt er. Wer weiß, ob sie im nächsten Lockdown ihren Job wieder verlieren.
Wenn nach der Bundestagswahl eine neue Regierung ihre Politik für die deutsche Wirtschaft anpackt, dann trifft sie auf ein pandemieverunsichertes und coronaerschüttertes Unternehmertum. Wer mit Geschäftsleuten wie Mühlenbeck spricht, merkt, es braucht nicht nur Reformen und Geld, sondern auch ein neues Vertrauen in ein stabiles System nach der Krise.
Sascha Mühlenbeck hüpft für das Foto auf den Holztresen, Eiche, von 1910, vielleicht 1915. In Zeitungsartikeln ist Mühlenbecks Heimathaven in Bremen „Deutschlands ältester Feinkostladen“, einst, noch im Kaiserreich, als Kolonialwarenladen eröffnet. In den Regalen stehen jetzt Flaschen mit teurem Alkohol, Schokolade aus Schweden, Senf aus St. Pauli, Öle, Gewürze.
Wer bei Mühlenbeck im Regal stöbert, merkt, dass der Standort Deutschland mehr ist als Automobilindustrie und Aktienindex. Mehr als 300.000 Einzelhändler gibt es in Deutschland, mehr als 500 Milliarden Euro setzt die Branche jedes Jahr um. Der Umsatz wächst, die Händler allerdings werden immer weniger. Die Branche steht an einem Scheideweg. Viele Innenwären.
Sascha Mühlenbeck führt Deutschlands ältesten Feinkostladen Heimathaven in Bremen.
stehen laut Handelsverband vor allem seit der Corona-Pandemie auf der Kippe: Immer mehr Geschäfte stehen leer. Der Druck auf die Händler wächst: Sie müssen ihre Produkte digital anbieten. Und sie sollen auch noch nachhaltig produzieren. Viele scheitern.
Sascha Mühlenbeck bietet teure Produkte an, aber fair produziert. Mühlenbeck bedient den Zeitgeist. Und trotzdem war es bis hierhin kein einfacher Weg. Als der 43-Jährige noch nicht selbst Unternehmer war, hatten seine Frau und er gute Positionen bei einem US-Kaffeehauskonzern, führten Filialen. Dann kam vor sieben Jahren der Sohn zur Welt. Und mit ihm wuchs die Frage: Wie wollen wir leben? „Wir sind beide Führungspersonen, meine Frau und ich. Wir wollen am Unternehmen arbeiten, nicht im Unternehmen.“Es ist ein schön platzierter Satz, wie ein Werbeslogan. Dieser auch: „Am Ende funktioniert Wirtschaftspolitik am besten, wenn sich Politik aus der Wirtschaft raushält.“
Rausgehalten hat sich der Staat während Corona nicht. Im Gegenteil. Und Unternehmen haben laut nach ihm gerufen, große Konzerne Milliarden an Corona-Hilfen erhalten. „Kurzarbeit hat uns sehr geholfen. Aber wir mussten im ersten Jahr der Pandemie die Löhne teilweise mehrere Monate vorstrecken, weil die staatlichen Hilfen nicht kamen.“Was sich der Unternehmer Mühlenbeck von der Politik wünscht, ist zweierlei: Verlässlichkeit – und das Fördern von guten Ideen. Verlässlichkeit gab es seit Corona nicht mehr. Aber so, sagt Mühlenbeck, könne man nicht wirtschaften. Es müsse „Struktur in das Krisenmanagement“, klar sein, ab wann ein Lockdown greife, wie lange und welche Hilfen es gebe.
Laut Handelsverband können rund 60 Prozent der Unternehmen derzeit aufgrund der Pandemie nicht in ihre Zukunft investieren.
Modegeschäfte büßten im ersten Halbjahr 2021 ein Viertel des Normalumsatzes ein.
Als Mühlenbeck zu Beginn der Pandemie seinen Onlineshop aufbauen wollte, weil er irgendwie Geld einnehmen musste, sei er zur Handelskammer gegangen. Es habe Fördermittel gegeben für „digitale Projekte“von Firmen. „Dort sollten wir Anträge ausfüllen und durften erst loslegen mit Investitionen, wenn die Anträge bewilligt worden
Das hätte etwa drei Monate gedauert. Da wären wir längst pleite gewesen“, sagt Mühlenbeck. Was Firmen wie seine bräuchten, sei „schnelle Finanzhilfe in Krisensituationen“.
Vielleicht, sagt er, sollte die Politik stärker auf Mikrokredite setzen. „Ein Gremium aus Fachleuten und auch Firmengründern selbst könnte beispielsweise Ideen bewerten und Förderungen bewilligen, eine Art Innovations-Expertenrat“, sagt Mühlenbeck.
Als Sascha Mühlenbeck angefangen hat mit seinem Heimathaven, hatte er keinen Businessplan, kein Finanzierungskonzept. Trotzdem ist er losgezogen, hat ein Café gestartet, später den Lebensmittelladen in Bremen. Nicht immer war es einfach, gerade am Anfang fehlte Geld für Investitionen. „Hätte meine Frau in der Gründung des Geschäfts unsere Kontostände gesehen, hätte sie wohl gleich aufgehört.“Sechs Jahre ist das her.
Berlin.