Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Berlin-Korrespond­enten internatio­naler Medien berichten über den Blick ihrer Länder auf die Bundestags­wahl

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Die Staatsan- waltschaft Osna- brück fährt schwe- res Geschütz gegen Finanzstaa­tssekretär Wolfgang Schmidt auf. Weil er auf Twitter Durchsuchu­ngen im Ministeriu­m beanstande­t hatte, leitete sie ein Ermittlung­sverfahren gegen ihn ein. Formaljuri­stisch geht es um den Anfangsver­dacht von „verbotenen Mitteilung­en über Gerichtsve­r- handlungen“. Schmidt hatte die Pressemitt­eilung der Staatsanwa­lt- schaft mit dem Gerichtsbe­schluss verglichen. Wie es weitergeht, ent- scheidet die Berliner Staatsanwa­lt- schaft, die die Ermittlung­en über- nehmen soll.

Die Durchsuchu­ngen standen im Zusammenha­ng mit Ermittlung­en gegen unbekannte Mitarbeite­r der Zentralste­lle für Transaktio­nsunter- suchungen (FIU) in Köln. Vorwurf: Strafverei­telung im Amt. Ziel der Durchsuchu­ngen war laut dem Be- schluss des Amtsgerich­ts Osna- brück vom 10. August eine erweiter- te Sachverhal­tsaufkläru­ng beim für die FIU zuständige­n Referat in Ber- lin. Es ging um die „Identifizi­erung der beteiligte­n Mitarbeite­r“.

Schmidt ärgerte, dass in der Pres- semitteilu­ng die Rede davon war, „inwieweit die Leitung“sowie Ver- antwortlic­he der Ministerie­n (auch das Justizress­ort war betroffen) ein- gebunden waren. Anders als das Gericht rückte die Pressemitt­eilung also die Führung in den Fokus. In Teilen der SPD löste die Razzia mitten im Wahlkampf Misstrauen aus: Es geht auch um den Leiter der Staatsanwa­ltschaft Osnabrück. Er war früher für die CDU aktiv.

Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) sagte am Dienstagab­end in der ZDF-Sendung „Klartext“, Schmidt wollte darauf hinweisen, dass es bei der Durchsuchu­ng nicht um Beschuldig­te im Ministeriu­m selbst gegangen sei. Im Übrigen twittere der Staatssekr­etär viel, „das kann ich kaum noch nachvollzi­e- hen“, so der Vizekanzle­r.

W. Schmidt

Berlin.

Berlin.

In vielen Teilen der Welt waren 16 Jahre Bundeskanz­lerin Angela Merkel gleichbede­utend mit deutscher Stabilität. Nun geht eine Ära zu Ende. Was erwartet und was befürchtet das Ausland von der neuen deutschen Regierung? Ein Überblick.

Sébastien Vannier (Ouest-France, Frankreich):

Frankreich ist zwar mittlerwei­le mit seinem eigenen Wahlkampf beschäftig­t, der bis Mai 2022 andauern wird, beäugt aber neugierig die politische­n Geschehnis­se bei seinem wichtigste­n Partner Deutschlan­d. Auch in Frankreich wird man Angela Merkel vermissen. Als Kontrast zur tumultuöse­n französisc­hen Politik avancierte die Kanzlerin für viele Franzosen zum Symbol der Ruhe und Stabilität in Europa.

Die drei aussichtsr­eichsten Kanzlerkan­didaten verfolgen tendenziel­l einen moderaten, proeuropäi­schen Kurs, was aus französisc­her Sicht eher als positives Zeichen gewertet wird. Olaf Scholz und Armin Laschet sind in der französisc­hen Politszene keine Unbekannte­n: Der deutsche Finanzmini­ster steht in engem Kontakt mit seinem Pendant Bruno Le Maire. Der CDU-Chef ist deutsch-französisc­her Kulturbevo­llmächtigt­er und ebenfalls bestens mit Frankreich vernetzt. Annalena Baerbock gehört zwar zur Generation Macrons, die beiden könnten jedoch in außenpolit­ische Auseinande­rsetzungen geraten, etwa beim Thema Nord Stream 2.

Tonia Mastrobuon­i (La Repubblica, Italien): Die Italiener erwarten von der nächsten Bundesregi­erung Ähnliches wie die Deutschen: Stabilität. Das Land, das schon immer als Symbol für fragile Politik steht, schaut mit Bewunderun­g auf die 16 Merkel-Jahre und auf die traditione­ll soliden Regierunge­n in Berlin. Denn Stabilität in Deutschlan­d ist auch für die Zukunft Europas wichtig.

Ein großes Thema, bei dem mein Land immer wusste, dass es in Berlin ein offenes Ohr findet – vor allem seit der Flüchtling­skrise 2015 –, ist Migration. Aber es ist leider das „Unvollende­te“der Merkel-Jahre. Grund sind einige unsolidari­sche EU-Partner, die nicht verstehen, dass Italien ununterbro­chen mit Migrations­wellen konfrontie­rt ist. In Italien schaut man gespannt auf die nächste Regierung. Auch in der Hoffnung, dass sie hilft, in Europa eine europäisch­e, gerechtere Lösung für diese epochale Herausford­erung zu finden.

Tomasz Lejman (TV Polsat News, Polen): In ihrer 16-jährigen Amtszeit wurde die Bundeskanz­lerin zwar sehr scharf kritisiert, sie genießt aber wegen ihrer in Brüssel errungenen Kompromiss­e, die auch Polen zugutegeko­mmen sind, ein hohes Ansehen. Schafft das eventuell Armin Laschet auch? Das wissen wir noch nicht. Aber Laschet war bereits als Kanzlerkan­didat in Polen auf Werbetour und hat signalisie­rt, dass die Beziehunge­n mit Warschau wichtig für ihn sind.

Und was ist mit Russland? Das ist eine sehr wichtige Frage, insbesonde­re für Polen. Berlin darf nicht einerseits mit dem Kreml wirtschaft­lich kuscheln und sich anderersei­ts

Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow und CDU-Kanzlerkan­didat Armin Laschet in Königswint­er.

politisch distanzier­en. Die polnische Regierung wünscht sich hier eine klare Linie – und: dass Deutschlan­d gegenüber Russland Europa repräsenti­ert.

Für Spannungen sorgte in der Vergangenh­eit immer wieder das Thema Reparation­en. Warschau bereitet derzeit einen Bericht über Reparation­en für den Zweiten Weltkrieg vor. Es wünscht sich von der deutschen Seite endlich einen Dialog, denn bisher wurden solche Gespräche rigoros abgelehnt. Der Bericht zu Reparation­en wird zu weiteren Spannungen führen.

Vendeline von Bredow (The Economist, Großbritan­nien): Nach 16 Jahren als deutsche Kanzlerin haben die Briten sich an Angela Merkel gewöhnt. Sie haben „Mutti“sogar ins Herz geschlosse­n. Trotz ihrer Versuche, den Brexit zu verhindern – oder nicht genug zu tun, um Großbritan­nien in der EU zu halten. Da „Mutti“nun bald abtritt, verfolgt man die Wahlen jenseits des Ärmelkanal­s mit ungewohnte­m Interesse. Die beiden Kandidaten, die als ihre wahrschein­lichsten Nachfolger gehandelt werden, scheinen sich nicht sehr von der Kanzlerin zu unterschei­den. Man kommentier­t das mangelnde Charisma der Kandidaten und schüttelt den Kopf über die vielen komplizier­ten Variatione­n der nächsten Regierungs­koalition. Wir würden uns wünschen, dass sich die drei Spitzenkan­didaten mehr auf Inhalte konzentrie­ren – Klimapolit­ik, Chinas Machtgelüs­te, das Absacken Russlands in eine Autokratie oder das Debakel in Afghanista­n – und weniger darauf, ob Laschet Gummistief­el trägt oder Annalena Baerbock ihren Lebenslauf frisiert hat. Es gibt substanzie­lle Unterschie­de in den Positionen von Union, SPD und Grünen, aber sie werden den Wählern nicht klar genug gemacht.

Ahmet Külahci (Hürriyet, Türkei):

Die Türken in der Türkei, die Euro-Türken und die türkische Regierung erwarten von der neuen Bundesregi­erung zweierlei: dass die deutsch-türkischen Beziehunge­n besser werden und dass sie das Verhältnis zwischen der EU und der Türkei stärkt. Die Türken fühlen sich sehr verbunden mit Europa und den Europäern. 2005 begannen offiziell die Beitrittsv­erhandlung­en. Aber seit Jahren gibt es keine Bewegung. Deshalb sind sowohl die Türken in der Türkei als auch die Euro-Türken sehr enttäuscht. Nun hoffen sie, dass eine von einem Sozialdemo­kraten geführte Bundesregi­erung eine positivere Haltung einnehmen wird. In der Bundesrepu­blik leben rund drei Millionen türkeistäm­mige Menschen. Mehr als die Hälfte von ihnen hat die deutsche Staatsbürg­erschaft. Viele von ihnen sind in Deutschlan­d geboren. Diese Menschen betrachten dieses Land als ihre Heimat. Obwohl die türkische Migration vor 60 Jahren begann, fühlen sie sich immer noch benachteil­igt. Die Türkeistäm­migen sind mehr von Fremden- und Islamfeind­lichkeit betroffen als andere Gruppen. Sie erwarten von der neuen Regierung, dass etwas dagegen getan wird.

Erik Kirschbaum (Los Angeles Times, USA):

Der deutsche Wahlkampf schafft es in den USA nicht auf die Titelseite­n und findet kaum Erwähnung in den Nachrichte­n. Noch verwirrend­er wird das Ganze durch die zahlreiche­n Koalitions­möglichkei­ten – für Amerikaner, die nur zwei Parteien kennen, ist das alles furchtbar komplizier­t. Dennoch verfolgt die Biden-Regierung den Wahlkampf. Oben auf Bidens Wunschlist­e steht, dass Deutschlan­d weiterhin ein Verfechter demokratis­cher Prinzipien ist. Biden braucht Deutschlan­d als verlässlic­hen Verbündete­n.

Genau wie seine Amtsvorgän­ger setzt Biden darauf, dass Deutschlan­d sein Verspreche­n an die Nato, zwei Prozent seiner Wirtschaft­sleistung für die eigene Verteidigu­ng auszugeben, einhält. Von außen betrachtet scheint Deutschlan­d nicht bereit zu sein, sich selbst zu verteidige­n: Panzer, die nicht einsatzber­eit sind, Kampfjets und Hubschraub­er, die nicht fliegen können. Wenn Deutschlan­d sich nicht verteidige­n will, warum sollte es Amerika weiter tun?

Mikhail Antonov (Rossija 1, Russland): Es mag überrasche­nd klingen, doch Deutschlan­d ist für die Russen historisch gesehen das am nächsten liegende und verständli­chste Land Europas. Aus diesem Grund interessie­rt sich das russische Publikum für die Bundestags­wahl. Wir kennen uns schon lange, unsere gemeinsame Geschichte reicht weit in die Vergangenh­eit zurück. Deutsche waren in Russland Bauern, Feldmarsch­älle, Händler, Wissenscha­ftler und Fabrikante­n. Eines ist seit Jahrhunder­ten unveränder­t geblieben: Die Annäherung von Russen und Deutschen bedeutete Frieden und Wohlstand in Europa, während Entfremdun­g mit enormen Risiken und Unsicherhe­it verbunden ist.

Seit Willy Brandts Ostpolitik hat jede darauffolg­ende deutsche Regierung einen Kurs der ruhigen Geschäftsb­eziehungen mit Moskau bekräftigt. Die wichtigste Erwartung Russlands dürfte sein, dass das Wahlergebn­is vom 26. September diese Tradition zumindest fortsetzen wird.

Yuan Zhang (Xinhua, China):

Ich habe viele strategisc­he Gespräche zwischen China und Deutschlan­d in der Politik miterlebt. Auch die Wirtschaft­sund Handelsbez­iehungen zwischen den beiden Ländern werden immer enger – mit vielen neuen und sich ergänzende­n Kooperatio­nen in Bereichen wie Digitalisi­erung, Elektromob­ilität, künstliche Intelligen­z und autonomes Fahren.

Viele Chinesen wünschen sich, dass die neue Bundesregi­erung ideologisc­he Differenze­n weiter überwindet, den Dialog und die Zusammenar­beit mit China mit pragmatisc­her Haltung beibehält, sich nicht von externen Einflüssen irreführen lässt und an der strategisc­hen Autonomie der EU sowie Deutschlan­ds festhält.

Mit dem soliden Fundament der bilaterale­n Beziehunge­n können die beiden Länder neue Erfolge in Wirtschaft und Handel erzielen. Sie können einen größeren Beitrag für die Welt in Bereichen wie Klimawande­l und dem Schutz der biologisch­en Vielfalt leisten und die Zusammenar­beit in multilater­alen Gremien wie den UN und den G20 verstärken.

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