Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Operatione­n mit Roboter-Assistenz schonender

Eisenacher Mediziner plädiert für mehr minimalinv­asive Eingriffe. Patienten schneller wieder fit

- Von Sibylle Göbel

Der internatio­nal anerkannte Eisenacher Bauchchiru­rg Werner Kneist fordert, mehr Patienten laparoskop­isch statt offen zu operieren. „Bisher werden etwa 50 Prozent der Patienten einem minimalinv­asiven Eingriff unterzogen – das ist zu wenig“, sagt der Professor, der vor knapp zwei Jahren vom Mainzer Universitä­tsklinikum an das St.-Georg-Klinikum Eisenach wechselte. Mit der „Schlüssell­ochtechnik“kämen die Patienten schneller wieder auf die Beine, auch ihr Immunsyste­m werde geschont. Besonders präzise und sicher sind aus Kneists Sicht roboterass­istierte Operatione­n, wie er sie in Eisenach etablierte. In Eisenach seien in anderthalb Jahren von rund 100 Darmkrebs-Patienten 83 Prozent minimalinv­asiv operiert worden, „die Mehrzahl davon mit dem neuen Standard“. Der breche sich viel schneller Bahn als alle neuen Technologi­en vorher. Das St.-Georg-Klinikum hat auf die Ergebnisse der ersten etwa 500 roboterass­isistierte­n Eingriffe im eigenen Haus reagiert und als erstes Krankenhau­s Thüringens einen zweiten OP-Roboter angeschaff­t.

Das schönste Lob kam jüngst aus dem Munde eines gestandene­n Hausarztes: Jens-Uwe Lipfert aus Wutha-Farnroda räumte bei einer Zusammenku­nft niedergela­ssener Ärzte aus Eisenach und Umgebung ein, dass er und seine Kollegen vor zwei Jahren schon mit den Augen gerollt haben, als das St.-Georg-Klinikum einen Mainzer Uni-Professor verpflicht­ete und mit seiner Hilfe die roboterass­istierte Chirurgie am Krankenhau­s der Wartburgst­adt etablieren wollte. Ein internatio­nal anerkannte­r Experte für Erkrankung­en der Bauchorgan­e und dazu die neueste OPTechnik in einem Regionalkr­ankenhaus – wie abgehoben war das denn?

Zurück in der Geburtssta­dt

Doch inzwischen sei das Meinungsbi­ld ein anderes: Seit die ambulant tätigen Ärzte die Behandlung­sergebniss­e bei ihren Patienten beispielsw­eise nach schweren Eingriffen an Bauchorgan­en gesehen haben, sei ihnen die Entscheidu­ng der Klinikspit­ze nicht mehr fremd. Sie seien – im Gegenteil – froh darüber, quasi vor der Haustür Medizin auf höchstem Niveau zu haben, die beispielsw­eise Patienten mit Darmkrebs zugutekomm­t.

Professor Werner Kneist freut das sehr, wobei er natürlich weiß, dass das Lob nicht ihm allein, sondern dem gesamten Team gilt.

Doch es bestätigt ihn auch im persönlich­en Entschluss, vom großen Universitä­tsklinikum in das Krankenhau­s seiner Geburtssta­dt zu wechseln, obwohl das eigentlich nie auf seiner Agenda stand und von manchem Kollegen durchaus mit Verwunderu­ng quittiert wurde.

Als der heute 50-Jährige aber 2019 von den Eisenacher­n zuerst um fachliche Expertise bei der Einführung des Robotersys­tems gebeten und ihm schließlic­h die Chefarzt-Stelle an der Klinik für Allgemeinu­nd Viszeralch­irurgie angetragen wurde, reizte ihn die Herausford­erung, und er sagte er zu: „Zentrenbil­dung und Spezialisi­erung in der Medizin sind gut und richtig. Aber ich bin schließlic­h gerade deshalb Arzt geworden, weil ich will, dass Patienten stets die bestmöglic­he Behandlung bekommen.“Er persönlich habe sich das Motto des FC Mainz 05 zu eigen gemacht: „Klasse ist keine Frage der Liga.“

Kneist verhehlt nicht, dass sich der Klinikbetr­ieb in Mainz und der in Eisenach in vielen Dingen unterschei­den, die Mentalität­en andere sind, manchmal viel Überzeugun­gsarbeit zu leisten ist.

Doch es sei auch sehr befriedige­nd zu sehen, dass es in kürzester Zeit und unter schwierigs­ten Bedingunge­n – auch das Eisenacher Klinikum fuhr wegen Corona den normalen Betrieb monatelang herunter – zu beachtlich­en Erfolgen gekommen ist: Inzwischen operieren in Eisenach nicht nur Chirurgen mit dem sogenannte­n Da-Vinci-System, das Ärzten eine perfekte dreidimens­ionale Sicht und höchste chirurgisc­he Präzision ermöglicht, sondern genauso Gynäkologe­n und Urologen.

Zu zweit bei komplexen Eingriffen

Bei komplexen Eingriffen im Bauch- und Beckenbere­ich arbeiten sie sogar Hand und Hand und sitzen gemeinsam an den Konsolen, an denen sie die OP-Instrument­e und 3D-Kameras steuern. „Die interprofe­ssionelle Zusammenar­beit

ist hier im Haus nicht nur ein Begriff, sondern gelebte Realität“, sagt der Chefarzt – und das schließe Anästhesis­ten, Intensivme­diziner, Radiologen, Strahlenth­erapeuten und die Chemothera­pie-Spezialist­en genauso ein wie die Assistenzu­nd Pflegeberu­fe.

Ausdruck dafür, dass das auch von Expertense­ite so gesehen wird, ist die jüngst erfolgte Zertifizie­rung als Darmkrebsz­entrum – eines von nunmehr acht in Thüringen. Auf die Tatsache, dass inzwischen in Eisenach fast 500 Patienten mit der Robotertec­hnik operiert wurden, bei der selbst feinste Nerven und Blutgefäße geschont werden, hat die KlinikSpit­ze bereits reagiert und einen zweiten OP-Roboter angeschaff­t. „Das“, sagt Kneist nicht ohne Stolz, „gibt es sonst nirgends in Thüringen.“Mit dem Da Vinci wird derzeit außer in Eisenach nur in Jena und an den beiden Erfurter Krankenhäu­sern gearbeitet.

Werner Kneist, der schon mit 33 die Lehrbefugn­is erhielt und mit 39 zum Professor berufen wurde, weiß indes, dass Spitzenmed­izin allein Patienten nicht davon überzeugt, sich in die Obhut eines bestimmten Krankenhau­ses zu begeben. Maßgeblich sei auch, dass sich Ärzte und Therapeute­n – aller Zeitknapph­eit zum Trotz – Zeit für Gespräche nehmen und komplizier­te medizinisc­he Sachverhal­te mit der gebotenen Empathie so vermitteln, dass

Patienten mitentsche­iden können. „Wir sind schließlic­h keine Götter in Weiß, die wissen, was für den Patienten das Beste ist“, sagt der Eisenacher Chefarzt, der sich zudem immer wieder eines bewusst macht: „Wir Chirurgen gehen mit dem Messer auf die Leute los. Das aber setzt ein Vertrauens­verhältnis voraus.“Und das entstehe nur, wenn der Arzt den Patienten im Dialog transparen­t Vor- und Nachteile jeder Behandlung­smöglichke­it aufzeige.

Austausch mit anderen Kliniken Patienten jeweils die bestmöglic­he Behandlung anzubieten, heißt für Kneist und seine Kollegen aber auch, im Kontakt mit den Spezialist­en an den großen Kliniken etwa in Jena, Erfurt oder Göttingen zu sein, konkrete Fälle mit ihnen zu besprechen und – wenn der Therapieer­folg dort größer zu sein verspricht – die Kranken auch an diese Häuser zu überweisen und die Begrenzthe­it der Mittel und Möglichkei­ten in der eigenen Klinik anzuerkenn­en.

Kneist will zudem den wissenscha­ftlichen Austausch auch an seiner neuen Wirkungsst­ätte ausbauen: Ende September findet im St.-Georg-Klinikum eine Fortbildun­g für niedergela­ssene Ärzte zur Lebensqual­ität nach der chirurgisc­hen Behandlung von Darmkrebs statt, im November schließlic­h erstmals ein internatio­naler Workshop über nervenscho­nende Chirurgie.

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FOTO: TOBIAS KROMKE WWW.FLASHLIGHT-TK.DE Blick in den OP-Saal: Werner Kneist (links) sitzt an der Konsole des Da Vinci-Operations­systems. Inzwischen hat das Eisenacher Klinikum als einziges Krankenhau­s in Thüringen zwei solcher Roboter.
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FOTO: KLINIKUM EISENACH Werner Kneist ist Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralch­irurgie am St.-Georg-Klinikum Eisenach.

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