Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Ein Schuss und viele Fragezeichen
Eine Grundschülerin leidet an den Folgen des Jagdunfalls bei Großsaara
Ein Projektil hat den Ellenbogen einer Sechsjährigen gestreift und ihr Becken im Jahr 2018 durchschlagen. Noch heute kämpft die Grundschülerin mit den Folgen der schweren Verletzung, die ihr eine Erntejagd nahe Großsaara (Landkreis Greiz) beschert hat. Die Beweisaufnahme im Prozess am Amtsgericht Gera gestaltet sich mühsam.
Als Angeklagter sitzt ein 34-Jähriger im Gerichtssaal. Der nicht vorbestrafte Gärtner, selbst Vater eines Dreijährigen, will zur Sache nichts sagen. Fest steht, dass der Hobbyjäger an der Erntejagd am 14. Juli
2018 beteiligt war. Während ein Mähdrescher den Raps vom Acker holte, lauerten an den Ecken des Feldes die Jäger, um aufgeschreckte Wildtiere abzuschießen. Doch ein Projektil fliegt in einen Garten der angrenzenden Anlage Am Saarbach, durchschlägt eine aufgehängte Decke, trifft das Mädchen und schlägt an eine Metallkiste. „Wir haben gegrillt. Plötzlich haben wir einen lauten Knall gehört, meine Tochter ist zur Seite in den Pool gefallen und hat alles vollgeblutet“, berichtet der Vater. Ein herbeigeeilter Bekannter hilft beim Verbinden.
Das Mädchen muss notoperiert werden, war lange auf den Rollstuhl angewiesen, musste in eine barrierefreie Schule wechseln und hat heute noch gesundheitliche Probleme. Physio- und Psychotherapie sind notwendig. „Alles, was Spaß macht, bereitet ihr Schmerzen“, sagt der Vater.
Die Staatsanwaltschaft Gera hat Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung erhoben. Der Jäger habe sich nicht vergewissert, dass keiner gefährdet wird und ausreichend Kugelfang vorhanden ist, sagt Staatsanwältin Jacqueline Gerth. So habe er gegen die gültigen Vorschriften verstoßen. Weil die Justiz von keiner absichtlichen Tat ausgeht, sondern von Fahrlässigkeit, liegt das höchste
Strafmaß bei drei Jahren Freiheitsstrafe. Auch eine Geldstrafe wäre bei einem solchen Delikt möglich.
Falls die Tat dem Jäger überhaupt nachgewiesen kann. Der zuständige Jagdpächter versichert, dass er alle Teilnehmer ordnungsgemäß belehrt habe, dass nicht in Richtung bewohntes Gebiet geschossen werden dürfe. Die Zeugenvernehmungen indes zeigen, dass die meisten der Beteiligten nicht einmal genau wussten, wo sich die anderen Jäger auf dem Feld befinden. Der Angeklagte hatte seinen Standplatz, so der Zeuge, mit Genehmigung gewechselt. Er habe eine Jagdkanzel auf der Ladefläche seines Geländewagens genutzt. Aber gesehen, wie er geschossen hat, hat keiner der anderen Jäger, von denen mindestens einer dasselbe Waffenmodell wie der Angeklagte nutzte. Verteidiger Günter Heine stellt den Antrag auf einen Ortstermin, um unter Berücksichtigung des Geländeprofils und der Sichtverhältnisse die Unschuld seines Mandanten zu belegen. Auch ein Sachverständiger soll mit zum Termin kommen.
Strafrichter Bernd Pisczan will mit den Prozessbeteiligten nach dem Verhandlungstag am 28. September nach Großsaara fahren, um weitere Erkenntnisse zu erlangen. Der Prozess finde erst jetzt, drei Jahre nach dem Vorfall, statt weil der Termin mehrfach wegen der Corona-Lockdowns verschoben werden musste, sagt der Vorsitzende.