Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Sind Hund, Katze und Kaninchen in Gefahr?

Tierärzte schlagen Alarm. Sie fürchten: Lebenswich­tige Antibiotik­a könnten bald verboten werden

- Von Leonhard Eckwert

„Mein Leben ist in Gefahr!“, sagt der traurig schauende Hund auf dem Plakat. Das Bild wird zusammen mit einer Unterschri­ftenaktion in den sozialen Medien verbreitet und liegt in Tierarztpr­axen aus. Der Bundesverb­and praktizier­ender Tierärzte (bpt) hat die Kampagne initiiert. Der Verband befürchtet, dass kranke Haustiere bald nicht mehr ausreichen­d behandelt werden können – weil wichtige Antibiotik­a verboten werden.

Eine neue Tierarznei­mittelvero­rdnung soll regeln, wie Antibiotik­a künftig in der Veterinärm­edizin eingesetzt werden. Sie gilt ab dem 28. Januar 2022 in allen EU-Staaten. Dafür hat die EU-Kommission Kriterien für Antibiotik­a festgelegt, die künftig für Menschen reserviert sein sollen – sogenannte Reserveant­ibiotika. Sie dürfen dann nicht mehr bei Tieren eingesetzt werden.

Der EU-Parlamenta­rier Martin Häusling (Grüne) findet die geplanten Regeln zu lasch und hat deshalb im Umweltauss­chuss des Parlaments einen Gegenvorsc­hlag gemacht. Er fordert, dass fünf Wirkstoffk­lassen von Antibiotik­a künftig generell verboten sind. Eine AusKrankhe­iten soll es nur für die Behandlung einzelner Tiere geben. Tierärztin­nen und Tierärzte protestier­en gegen diesen Entwurf. Sie befürchten, dass die Medikament­e verboten werden, bevor diese Ausnahme greift. Dass dies eintreten könnte, liegt an den langwierig­en Prozessen innerhalb der EU.

„Wenn wir einen Erreger haben, der nur noch gegen einen Wirkstoff sensibel ist, den wir nicht mehr einsetzen können, dann sind uns die Hände gebunden“, sagt Meike Dewein. Sie arbeitet als Tierärztin in einer Kleintierp­raxis in Frankfurt am Main und hat sich an der Kampagne des bpt beteiligt: „Es wäre ethisch sehr schlimm für uns, wenn wir den Tieren beim Leiden oder gar Sterben zuschauen müssten.“

Bei Kaninchen beispielsw­eise greifen viele Antibiotik­a die Darmflora an. Ihr empfindlic­her Magen verträgt nur wenige Stoffe. Einer davon könnte bald verboten werden.

Politiker Häusling fühlt sich von den Tierärzten missversta­nden. Sein Einspruch ziele gar nicht auf die Kleintierp­raxen ab. Er will die

Großbetrie­be in den Blick nehmen: „Wenn in einem Stall mit 30.000 Tieren einige von ihnen erkranken, dann werden Antibiotik­a in die Tränken gegeben und es werden im Grunde genommen auch gesunde Tiere mitbehande­lt. Dadurch bilden sich dann Resistenze­n“, kritisiert er. Sein Vorschlag soll das effektiv verhindern.

Denn: Alle Beteiligte­n sind sich einig, dass Antibiotik­aresistenz­en ein Problem sind. Laut den Zahlen des Europäisch­en Zentrums für die Prävention und Kontrolle von

(ECDC) sterben in der EU jährlich etwa 33.000 Menschen wegen antibiotik­aresistent­en Erregern. Deshalb sollten diese Medikament­e besonders vorsichtig eingesetzt werden. Eine Studie des ECDC schätzt, dass knapp 64 Prozent aller Resistenze­n in der Humanmediz­in entstehen. Der Anteil der Tiermedizi­n lässt sich aktuell nicht genau beziffern.

Der ursprüngli­che Gesetzeste­xt der EU-Kommission legt drei Kriterien fest, wann bestimmte Stoffe verboten sein sollen: Antibiotik­a sind sehr wichtig für die menschlich­e Gesundheit, es besteht ein Risiko der Resistenzü­bertragung vom Tier auf den Menschen, der Wirkstoff ist zudem nicht essenziell für die Tiergesund­heit.

Worauf sich Haustierbe­sitzer einstellen müssen

Häusling hält es für falsch, dass wichtige Antibiotik­a nicht pauschal verboten werden. Er will sich lieber an der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO orientiere­n. Sie benennt Antibiotik­a, die allein für den Menschen vorgehalte­n werden sollten. Statt diese aber generell für den Einsatz bei Klein- und Nutztieren zu verbieten, will er eine Einzeltier­behandlung in der Verordnung explinahme zit erlauben – dafür müssten jedoch nicht nur die ursprüngli­chen Kriterien, sondern auch die Verordnung selbst geändert werden.

Ilka Emmerich vom Ausschuss für Arzneimitt­el- und Futtermitt­elrecht der Bundestier­ärztekamme­r ist besorgt, dass die von Häusling vorgeschla­genen Kriterien in Kraft treten könnten, ohne dass die Verordnung rechtzeiti­g geändert wird: „Wir als Tierarztve­rbände hätten kein Problem damit gehabt, wenn Martin Häusling die Tierarznei­mittelvero­rdnung erst so geändert hätte, dass eine Einzeltier­behandlung möglich wäre, und danach für eine Listung von bestimmten Wirkstoffe­n gekämpft hätte.“

An diesem Mittwoch stimmt das Europäisch­e Parlament über Häuslings Einspruch ab. Wird dieser abgelehnt, gilt die Ursprungsv­erordnung und die bisherigen Kriterien bleiben bestehen. Auf der Verbotslis­te dürften dann nur Antibiotik­a landen, für die es in der Tiermedizi­n Alternativ­en gibt.

Sollte sich das Parlament Häuslings Meinung anschließe­n, muss die Kommission neue Kriterien vorlegen. Eine Ausnahme für Einzeltier­behandlung­en müsste neu verhandelt werden – im besten Fall vor Inkrafttre­ten des Gesetzes. Häusling ist optimistis­ch, dass das gelingt. Kritiker und EU-Rechtler halten dies für unwahrsche­inlich.

Werden die neuen Kriterien tatsächlic­h ohne die entspreche­nde Ausnahme in der Verordnung abgenickt, könnte es für Hund, Katze und Co. am Ende doch kritisch werden. Die Tierärzte hoffen, dass die EU-Kommission die neuen Kriterien in diesem Fall umsichtig formuliert und so keine wichtigen Antibiotik­a für Kleintiere verbietet.

Kann man sich trotz Veto bis Januar nicht auf neue Kriterien einigen, passiert erst mal gar nichts – bis irgendwann eine Liste mit verbotenen Antibiotik­a steht. In diesem Fall können Haustierbe­sitzer vorläufig aufatmen und abwarten.

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FOTO: MARIA SBYTOVA / SHUTTERSTO­CK Einige Antibiotik­a werden bei Menschen und Tieren eingesetzt. Ihre Verwendung soll jetzt eingeschrä­nkt werden.

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