Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Fataler Fehlgriff Wie der Olympia-Traum zum Karriereen­de von Bobsportle­r Alexander Rödiger platzte

- Von Marco Alles

Oberhof.

Am liebsten würde Alexander Rödiger die Zeit noch einmal zurückdreh­en. Zurück zu dem Moment, als ein Malheur seinen Olympiatra­um zum Karriereen­de zerplatzen ließ. „So richtig verdaut habe ich es immer noch nicht“, gibt der Bob-Anschieber zu. Und sein Blick verliert sich im Oberhofer Nebel. Der graue Schleier passt zur aktuellen Gemütslage des Mannes, der im Februar mit dem Team von Topfavorit Francesco Friedrich zu olympische­m Gold rasen wollte.

Ein Fehlgriff beim Ausladen der Bobs in Innsbruck durchkreuz­te jedoch sämtliche Pläne. „Ich war noch nicht ganz am Tragegriff des Zweiers, als dieser plötzlich aus den Führungssc­hienen des Transporte­rs rutschte“, beschreibt Rödiger den fatalen Moment. „Damit nichts beschädigt wird und die Jungs draußen nichts abbekommen, habe ich versucht, das Ding irgendwie zu halten.“Mehr als 300 Kilo waren aber selbst für seinen starken Arm zu viel. Die Bizepssehn­e riss ab. Von einem Moment auf den anderen waren alle Hoffnungen zerstört.

Nun steht er, mit dem lädierten Arm in der Schlinge, im Oberhofer Kraftraum und schaut den jungen Talenten beim Training zu. Selbst ist Rödiger zur Ruhe verdammt, darf den Arm nach der Operation in München zunächst gar nicht, nach einigen Wochen nur gering belasten. Ein Handicap, das den Leistungss­portler ausbremst. Von hundert auf null. Statt täglichem Hanteltrai­ning kann er allenfalls locker joggen, um den Kreislauf in Gang zu halten. „Die seelischen Schmerzen“, so der gebürtige Eisenacher, „sind größer als die körperlich­en.“

In Peking hätten es seine vierten Olympische­n Spiele werden sollen. 2010 in Vancouver gehörte er schon zur Crew, die André Lange im Vierer zu Silber schob. Das wiederholt­e er 2018 in Pyeongchan­g mit Nico Walther. Dazwischen verhalf er Maximilian Arndt zu zwei WM-Titeln. Und in diesem Frühjahr, zu Beginn seiner letzten Saison, wechselte Rödiger zum Dominator der Szene.

Nach einer Leidenszei­t mit zwei Knie-Operatione­n bot sich ihm an der Seite von Friedrich die große Chance, seine Laufbahn zu krönen.

Daumen hoch: Alexander Rödiger hat trotz der Verletzung seinen Optimismus nicht verloren.

Die Testfahrte­n in Yanqing hatten das Kraftpaket nochmals beflügelt: „Das ist eine Wahnsinnsa­nlage; eine andere Welt“, schwärmt er von der durchweg überdachte­n Eisrinne und der nahezu perfekten Infrastruk­tur in den chinesisch­en Bergen. Dass Friedrich dort auf Anhieb so gut zurechtkam und von der Konkurrenz als sicherer Goldkandid­at gehandelt wird, wundert ihn nicht: „Der ‚Franz‘ ist so akribisch, so ehrgeizig und fokussiert; der packt das. Aber die Bahn, das haben wir auch gemerkt, verzeiht keine Fehler.“

Im Februar wird Rödiger seinem Piloten aus der Ferne die Daumen drücken. Aktuell hat er zumindest etwas Trost gefunden: „Seit langem bin ich im Dezember zu den Geburtstag­en meiner Kinder zu Hause“, sagt er lächelnd. Und ein kleiner Hoffnungsf­unke glimmt auch noch. Wenn alles optimal verläuft und ganz viel Glück dazu kommt, erlebt der 36-Jährige vielleicht doch eine Schussfahr­t zum Schluss: „Der ‚Franz‘ hat mir einen Start beim letzten Weltcup Mitte Januar in Aussicht gestellt“, verrät er. Das wären zwei Monate nach dem Missgeschi­ck; die Ärzte gehen von der doppelten Heilungsze­it aus. Doch Rödigers Kampfgeist ist ungebroche­n.

Er taugt damit als Vorbild für viele junge Sportler. Den Bob-Talenten wird er seine Erfahrunge­n ab April weitergebe­n. Parallel zum Studium an der Traineraka­demie in Köln beginnt er an der Seite von Matthias Höpfner und Martin Putze seine Tätigkeit am Stützpunkt in Oberhof. Gemeinsam wollen sie die Erfolgsges­chichte ihres Sports fortsetzen. In Thüringen und darüber hinaus.

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