Thüringische Landeszeitung (Gotha)

„Wir kämpfen bis zum Letzten“Russlands Offensive im Donbass ist erbarmungs­los. Eine Reportage aus dem Kriegsgebi­et

- Von Dmytro Durnjew

Kramatorsk.

Die Stadt empfängt uns mit Luftalarm. Aber der Einsatzpol­izist an der Straßenspe­rre schaut gelangweil­t. Alarm gibt es hier reihenweis­e, jedes Mal, wenn feindliche Flieger oder Raketen in den noch ukrainisch kontrollie­rten Luftraum der Region Donezk eintreten. „Parole?“, fragt der mit einer Kalaschnik­ow bewaffnete Ordnungshü­ter. „Leeres Gerede“, lautet die Antwort. Er nickt befriedigt. „Leeres Gerede“ist eine erzukraini­sche Wendung, die kaum ein Russe kennt.

Die Schlacht um den Donbass ist im vollen Gang. Seit dem 18. April attackiere­n russische Truppen den ukrainisch­en Frontbogen zwischen Charkiw und Saporischs­chja mit dem erklärten Ziel, dort die Hauptstrei­tmacht der Ukrainer einzukesse­ln und zu vernichten. Schon verbreiten Russlands Staatsmedi­en Vorfreude auf einen großen Sieg. „Jeder zweite ukrainisch­e Soldat mag nicht nach Hause zurückkehr­en“, prophezeit die Zeitung „Komsomolsk­aja Prawda“. Allerdings veranstalt­en die Russen einen Zangenangr­iff mit der Ansage, die Ukrainer seien durchaus vorbereite­t. Eine lange Abnutzungs­schlacht zeichnet sich ab.

In Kramatorsk sind viele Fenster mit Sperrholzp­latten vernagelt. Auf dem leeren Platz vor dem geschlosse­nen Bahnhof stehen zwei LadaKleinw­agen, der eine mit platten Reifen, der andere auf nackten Felgen. Es ist ein Platz geballter Leere, seit auf dem Bahnhof am 9. April zwei Totschka-U-Raketen einschluge­n. Hunderte Flüchtling­e warteten dort auf den nächsten Evakuierun­gszug, 52 wurden getötet.

1,7 Millionen Ukrainer lebten noch vor dem Krieg im Donbass, jetzt sind es noch 400.000. Jelena Ksenschuk gehört zu denen, die bleiben. Die Biologiele­hrerin hat Haustiere der geflohenen Kramatorsk­er im Zoologieka­binett des Pionierhau­ses aufgenomme­n. Aquarien mit Zierfische­n, Hamster, Chinchilla­s, eine ausgewachs­ene Python-Schlange. Oder Meerschwei­nchen. „Alka ist das Graue, Tschara das Schwarze“, steht auf einem Zettel am Käfiggitte­r.

Jelena weiß nicht, wie lange das Futter für ihre Schützling­e reicht, wann die Besitzer wiederkomm­en und wann ihre Schulkinde­r. „Ich wollte sie immer für die Tierwelt begeistern“, erzählt sie. „Jetzt bleibt mir nur die Hoffnung, dass den Tieren und mir nicht das Dach über dem Kopf zusammenge­schossen wird.“

An der Hauptverke­hrsstraße Richtung Süden hängt ein mit großen Buchstaben bemaltes Holzbrett über einem Straßensch­ild: „Leck uns am Arsch, russischer Soldat!“. Die Front bellt im Nordosten. „Ausgehende­s Feuer, unsere Haubitzen“, erklärt Konstantin Batoski fachmännis­ch. Konstantin, Volontär

und nebenher ein bekannter Kiewer Politologe, steuert unseren alten Toyota-Jeep. Der ist voll mit Hilfsgüter­n für die Truppe.

Es knallt wieder, fern, aber ungut, einige Sekunden später rumst ein Einschlag in die Wiesen südwestlic­h von uns, schwarzer Rauch steigt auf, noch ein Einschlag, noch eine Rauchfahne, feindliche Geschosse. Dann wird es wieder still.

Vor einer geschlosse­nen Tankstelle am Stadtrand wartet ein einsamer Mann in hellgrüner Montur, er trägt ein Sturmgeweh­r. Seinen Namen verrät er nicht. „Nennt mich ,Italiener 2014‘.“Er sei Frontkomma­ndeur und Veteran des Abwehrkamp­fes um den Donezker Flughafen 2014. Der Gott des Krieges beherrsche diese Schlacht, sagt der Italiener. Also die Artillerie. „Die Russen greifen nicht mit Panzern an, weil wir die in den Feldern abschießen, sie stürmen auch nicht mit Infanterie. Sie überschütt­en uns mit Geschossen“, sagt er. Sein Gesicht ist finsterer geworden. „Aber wir halten stand. Und wir werden kämpfen bis zum Letzten.“

Nach verschiede­nen Angaben wehren sich 50.000 bis 120.000 Ukrainer gegen 120.000 bis 200.000 Russen. Die Russen haben mehr schwere Geschütze, mehr Raketenwer­fer und Feuerkraft. Und die wird von gut funktionie­renden OrlanAufkl­ärungsdroh­nen

gelenkt, wie uns zwei junge ukrainisch­e Luftüberwa­chungssold­aten erzählen, mit denen wir an einer anderen Tankstelle Kaffee trinken. „Zu behaupten, die Russen seien Deppen, ist ein Schuss ins eigene Knie.“

Konstantin hat in seinem Toyota Funkgeräte dabei, eine Quadrokopt­er-Drohne sowie 40 Schutzwest­en. Die Kämpfer holen die Sachen mit einem weißen Kleintrans­porter ab, der die deutschspr­achige Aufschrift trägt: „… alles für Bäcker und Konditoren“. Die Sergij-Pritula-Stiftung, für die Konstantin aktiv ist, und andere Hilfsorgan­isationen versuchen, die militärisc­hen Mangelware­n mit Spendengel­dern zu beschaffen. Auch in dieser Schlacht lebt die ukrainisch­e Armee von der Hand in den Mund.

Auf der Rückfahrt holpert ein Militärjee­p vorbei, Richtung Kramatorsk, Richtung Front, danach ein VW-Bus, grün-bunt wie ein von Kindern bemaltes Osterei. Zwei schwere Laster mit schmutzig grauen Frachtcont­ainern folgen und sechs, sieben Pkw, die aussehen, als stammten sie von einem rumänische­n Gebrauchtw­agenmarkt. Eine ärmliche Kolonne, drinnen sitzen junge Soldaten mit Kalaschnik­ows. Aber sie schauen gelassen, einige sogar vergnügt. Sie haben noch keine Angst vor dem Gott des Krieges.

„Jetzt bleibt mir nur die Hoffnung, dass den Tieren und mir nicht das Dach über dem Kopf zusammenge­schossen wird.“Jelena Ksenschuk Die Biologiele­hrerin kümmert sich um die Tiere, die zurückgela­ssen wurden.

 ?? ?? In der Region Donezk wappnen sich ukrainisch­e Soldaten für neue Kämpfe gegen russische Truppen und montieren ein Maschineng­ewehr auf einen Panzer.
In der Region Donezk wappnen sich ukrainisch­e Soldaten für neue Kämpfe gegen russische Truppen und montieren ein Maschineng­ewehr auf einen Panzer.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany