Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Verbrauche­r oder Industrie? Wen ein Gas-Stopp zuerst treffen würde

- Von Tobias Kisling

Berlin.

Nachdem Russland in dieser Woche Polen und Bulgarien den Gashahn zugedreht hat, fürchten auch in Deutschlan­d immer mehr Unternehme­n und Verbrauche­r ein abruptes Ende der Gasimporte. Während insbesonde­re in Polen angesichts gut gefüllter Speicher und getroffene­r Vorkehrung­en die Auswirkung­en des Gasstopps begrenzt sind, würden in Deutschlan­d wirtschaft­liche Verwerfung­en drohen, sollte sich Russlands Präsident Wladimir Putin zu einem Embargo entschließ­en. Die Speicher hierzuland­e sind gerade einmal zu knapp 34 Prozent gefüllt, Deutschlan­d ist noch mindestens bis 2024 von dem Energieträ­ger aus Russland abhängig.

Wo aber wird rationiert, wenn es zu einem Gasstopp kommt? Der von der Bundesregi­erung aktivierte Notfallpla­n Gas sieht eine klare Antwort vor: Privathaus­halte sind besonders geschützt. Eine Rationieru­ng würde also zuerst die Wirtschaft treffen.

Doch dagegen regt sich immer mehr Widerstand seitens der Unternehme­n. Eon-Aufsichtsr­atschef Karl-Ludwig Kley forderte im „Manager Magazin“eine Umkehrung der Reihenfolg­e: Erst den Privathaus­halten das Gas abstellen und dann der Industrie. Kritische Töne kommen auch vom Bundesverb­and mittelstän­dische Wirtschaft (BVMW): „Eine strikte Trennung zwischen einer bevorzugte­n Belieferun­g von Privathaus­halten und einer primären Abschaltun­g von Industrieb­etrieben wird aus unserer Sicht der Art und Größe der aktuellen Herausford­erungen nicht gerecht“, sagte BVMW-Chefvolksw­irt Hans-Jürgen Völz unserer Redaktion. Ein Problem: Nicht jede Anlage kann einfach wieder so hochgefahr­en werden, wenn sie einmal vom Netz genommen worden ist.

Das trifft etwa auf die Glasindust­rie zu. „Ein abrupter Stopp der Erdgaszufu­hr hätte zum Teil irreversib­le Schäden an den Wannen zur Foldie ge“, sagte Johann Overath, Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­ands der Glasindust­rie, unserer Redaktion. Die Glasindust­rie treibe die Forschung nach Alternativ­en zum Erdgas, etwa Wasserstof­fanwendung­en, voran. Das brauche aber Zeit, mahnt Overath. Zeit, die

Industrie möglicherw­eise nicht haben wird.

Auf der anderen Seite steht der Schutz der Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r – den auch Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) ausdrückli­ch zusichert. Beim Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and (vzbv) kommt das gut an. „Im Falle von Versorgung­sengpässen müssen private Haushalte als sogenannte geschützte Kunden weiter mit Erdgas und anderen Energien sicher versorgt werden“, sagte Thomas Engelke, Teamleiter Energie und Bauen im vzbv, unserer Redaktion. Der Schutz der Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r dürfe nicht infrage gestellt werden. Zugleich

müsse mehr Energie gespart werden – vonseiten der Industrie, beim Handel und Gewerbe ebenso wie im öffentlich­en Sektor und bei den privaten Haushalten. „Alle müssen einen Beitrag leisten, auch schon vor einem Embargo“, mahnte Engelke.

Sollte es zu einer Rationieru­ng kommen, müsste die Bundesnetz­agentur entscheide­n, welche Firmen noch Strom erhalten. Deren Präsident Klaus Müller lehnte gegenüber der „Rheinische­n Post“eine Bevorzugun­g der Industrie gegenüber den privaten Haushalten ab und warnte zugleich davor, die beiden Gruppen gegeneinan­der auszuspiel­en.

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