Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Der Wald steht schwarz und schweiget nicht Eine zivilisationskritische Komödie von Björn SC Deigner befragt diesen deutschen Mythos
Meiningen.
Hänsel und Gretel vergnügen sich im Wald. Sie treiben als ganz wörtlich genommener Running Gag bösen Scherz mit denen, die sich aus der Stadt hierher verirrten, ob planmäßig oder absichtslos.
Und das ist eine ganze Handvoll. Zwischen Buchen und Eichen herrscht Rushhour. Von Waldeinsamkeit kaum ein Hauch. Nur lauter Einsame im Wald. Und der steht schwarz und schweigt nicht länger. Er spielt so kultiviert wie wild mit.
Auf einem Waldstück also ereignet sich: ein „Waldstück“, geschrieben im Auftrag des Meininger Theaters von Björn SC Deigner. Die Texte des Autors und Musikers, der einen ganz eigenen Ton auf die Bühne bringt, werden inzwischen vorzugsweise in Bamberg uraufgeführt: zuletzt gerade „Der endlos tippende Affe“, ein spielerischer Anti-Theater-Text, aber kein Antitheater-Text.
Dem Meininger Schauspielchef Frank Behnke fiel in Bamberg Deigners „Reichskanzler von Atlantis“auf – weshalb er ihn für die hiesigen Kammerspiele gewann, wo nun auch ein Reichsbürger auftaucht, um einigermaßen unterzugehen. Andere gehen im Wald indes auf.
Die Doppelrolle wird in dieser Aufführung zum menschlichen Prinzip Dieses „Waldstück“ist eine finstere moderne und zivilisationskritische Märchen- und Mythen-Komödie geworden, in der nichts und niemand ist oder bleibt, was oder wer er zu sein scheint. Steter Wandel.
So hat Schirin Khodadadian die Uraufführung auch inszeniert: in jeder Figur, hinter jedem Baum und Busch ein Geheimnis. Sie besetzt die im Kern zehn Rollen mit fünf Schauspielern. Das ist kein Pragmatismus,
Vivian Frey als Reichsbürger-Druide im „Waldstück“. Dahinter: Evelyn Fuchs als Hexe, Lukas Umlauft als Förster.
das ist Programm: die Doppelrolle als menschliches Prinzip. Zwei Seelen wohnen, ach!, . . .
Lukas Umlauft spielt den so aufrechten wie klein karierten Förster („Eigentlich ist das kein Wald. Man sagt das so, aber es ist Forst.“) sowie den pseudoromantischen Literaturprofessor Felix auf Seitensprung mit der anhänglichen, sich dann abkoppelnden Studentin Biggi. Die will lieber ans Meer („Es ist beschissen hier.“). Und die Möchtegern-Baumaktivistin Pauline, die Emma Suthe ebenfalls gibt, hat sich bei der Suche nach dem Lebens buchstäblich den Faden verloren: Carmen Kirschner huscht als verwahrloste Gestalt stumm durchs Gebüsch, trennt Paulines knielangen Pulli auf und spannt daraus einen wirren Leitfaden übers Unterholz, durch das wiederum Kirschners Silvie als Stadtpflanze stöckelt. Die legt die Axt an Vaters Erbe: eine Buche seines Waldstücks, mit der sie stattdessen fusionieren wird. Vivian Frey spielt diese Buche ebenso wie Cedric, einen im Reichsbürger inkarnierter Druide, dem zur politischen Metapher gerinnt, heimische Arten zu schützen, Unkraut zu vernichten.
Und da ist Evelyn Fuchs: eine irrlichternde schwarze Waldfee, eine als Hexe verschriene alte Frau, die den Titel scheu angenommen hat.
Sie ist die unheimliche Spielmacherin, die mit dem Akkuschrauber an der schwarzen stilisierten Kulissenbühne Carolin Mittlers diesen Wald fast undurchdringlich werden lässt.
Darin verfangen sich heiter-melancholische Figuren, eine jede gleichsam einen Wanderrucksack voller Sorgen auf dem Rücken. Lauter längst vom Wege Abgekommene, bevor sie den Wald betraten. Hier streifen sie ihr Zivilisationskleid ab, werden selbst zu Wald.
Wir sehen ein ganz und gar munteres Ensemble in fortwährender Metamorphose, das uns jeden Wegweiser durch seinen knapp zweistündigen Abend versagt. Sie ziehen uns immer tiefer hinein in ihr tragikomisches Dickicht, durch das mitunter ein lustiger Kabarettton flirrt.
Das alles hat derart Tempo und Rhythmus, schnell fließende Übergänge, dass wir innerlich starr stehen, wenn mal Waldes Ruh eintritt. Und doppelten Boden hat es auch.
Musikalisch eingerichtet von Johannes Winde, singen sie zudem so erhaben wie zugleich ironisch gebrochen vom Thüringer Wald und das Rennsteiglied in Moll. Sie singen vom verfluchten Sehnsuchtsort. Dieser Abend bedeutet, so oder so, ein unheimliches Vergnügen.