Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Auf Spurensuche
Über das Speziallager II in Buchenwald wird künftig unweit des Lagertors informiert
Unter dem Blätterdach herrscht Friedhofsruhe. Hier – auf dem Ettersberg am Rande des Lagers – wurden zwischen August 1945 und Februar 1950 die Toten des Speziallagers II verscharrt. 28.500 – darunter nur etwa 900 Frauen – hatten hier eingesessen, in der Regel ohne einen gerechten Prozess zu erhalten. 7113 von ihnen überlebten Hunger, Verelendung, Krankheit, Ungeziefer und seelische Qualen nicht. Die meisten der Älteren waren zum Nichtstun verdammt. Auch das machte den Aufenthalt hinter Stacheldraht und Bretterzaun schwer. Von den Jüngeren wurden 1000 auf den „Pelzmützentransport“nach Karaganda geschickt, um dort die Stadt aufzubauen.
Das Internierungslager war für den Arrest von kleineren Funktionsträgern gedacht. Aber unter den Gefangenen war auch Personen, deren Internierungsgrund sich für die Angehörigen bis heute nicht erschlossen hat. Immer wieder ist die Rede davon, das Einzelne angeschwärzt worden seien. Oder verleumdet. Etwa als angebliche Werwölfe, also junge Männer, die vermeintlich den Kampf der Nazis noch nicht aufgegeben hatten. Oft sei die Erwartung, Schuld oder Unschuld zu belegen. Die Gedenkstätte aber kann nur die Fakten weitergeben, die verschriftlicht sind.
Erst nach dem Mauerfall trauten sich Betroffene offen zu reden
Die Geschichte des Internierungslagers war zu DDR-Zeiten ein Tabu. Erst mit dem Mauerfall trauten sich Überlebende, offen davon zu reden, was ihnen passiert war. Angehörige begannen nach Gräber zu suchen. Speziallager heißen diese Internierungslager, weil das der sowjetische Terminus ist. Insgesamt waren es zehn in der sowjetisch besetzten Zone. Die Speziallager wurden nur in Buchenwald, Sachsenhausen und Jamlitz (Lieberose) in ehemaligen KZ eingerichtet.
Dass es auf dem Lagergelände selbst keine Hinweise auf das Speziallager gibt, erklärt sich beim Blick zurück: Bereits in ihrer konstituierenden Sitzung am 15. September 1991 empfahl die damalige Historikerkommission zur Neuorientierung der Gedenkstätte Buchenwald, sowohl an das nationalsozialistische Konzentrationslager als auch an das Speziallager Nr. 2 zu erinnern. Der Schwerpunkt sollte dabei auf dem nationalsozialistischen Konzentrationslager liegen, die Erinnerung an das Speziallager nachgeordnet und die Erinnerungsstätten an die beiden Lager räumlich voneinander getrennt werden. Deshalb gibt es unterschiedliche Ausstellungsorte.
Was es bedeutet, dass die Erinnerung an das Speziallager nachgeordnet sein soll, zeigt sich bei unserer Spurensuche mit einigen Personen, die sich bei einem Seminar der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit jüngst in Buchenwald treffen. Unterhalb des Krematoriums gibt es Reste von Beton und Armierung zu sehen. Das Bauwerk ist seit Jahrzehnten abgetragen – und es ist insofern interessant, da es sich nicht wie an anderen Orten des Lagers um eine Umnutzung, sondern um den Neubau für das Speziallager II handelte – und zwar eine Bäckerei. Das Speziallager sollte möglichst autark sein.
Gedenken ist immer am dritten Samstag im September
Es ist nicht so, dass alles längst erforscht wäre. In den frühen 1990erJahren fehlten die sowjetischen Akten. Um die Jahrtausendwende konnte das Totenbuch erstellt werden, das seit sieben Jahren zudem online zur Verfügung steht. In einem neuen, gegenüber einem der Gräberfelder des Speziallagers errichteten Gebäude ist seit 1997 die historische Dauerausstellung zu sehen. Nun kommt etwas hinzu.
Erst seit fünf Jahren gibt die Erkenntnis, dass das Gebäude, das unweit des Lagertors lange als Sitz der „Politischen Abteilung“des Konzentrationslagers galt, falsch zugeordnet war. Die Baracke der politischen Abteilung war bereits beim Luftangriff 1944 zerstört worden. Der knapp daneben errichtete Neubau nach Kriegsende diente dann als Verwaltungsgebäude der Lagerleitung. Nun wird umgebaut und spätestens 2023 können sich Besucher auch hier informieren. So werden Zeitzeugeninterviews zugänglich gemacht, etwa von Erika Pelke, Lothar Vollbrecht oder Joachim Kretschmar. Sie erzählt von der Sorgen, ob man ihr daheim glauben würde, dass sie unschuldig sei. Sie spricht auch von der Gemeinschaft unter den Häftlingen. Einer sagt, dass er die ihm bekannten Namen der Toten aufschrieb, was strengstens verboten war, um diese Information in die Freiheit zu schmuggeln. Das gelang ihm dann auch bei der Entlassung, Die letzten Überlebenden des Speziallagers, aber auch Angehörige von Überlebenden wie Toten treffen sich immer am dritten Samstag im September – in diesem Jahr also am 17. – zum Gedenken.