Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Auf der Suche nach Antworten
Uwe Seidel aus Saaldorf teilt seine Erfahrungen vom Jakobsweg in seinem ersten Buch
Im Sommer 2021, mitten in der Corona-Pandemie, geht Uwe Seidel (64) aus Saaldorf mit großen Erwartungen auf eine Pilgerreise von Saint-Jean-Pied-de-Port in Frankreich nach Santiago de Compostela in Spanien. Der klassische Jakobsweg, der Camino. 800 Kilometer Fußweg in 20 Tagen liegen am 11. August vor ihm. Aus seinen Erlebnisse unterwegs hat er ein Buch geschrieben und im März beim Romeon-Verlag herausgebracht. Es versteht sich als eine Mischung aus Abenteuerroman, Reisebericht und praktische Anleitung zum Pilgern auf dem klassischen Jakobsweg. Der gelernte Werkzeugmacher ist seit 2020 in Rente.
Herr Seidel, was hat Sie zu dieser Reise bewegt?
In erster Linie der Verlust meiner eigener Firma in Georgenthal. Ich hatte ein Konstruktionsbüro mit angeschlossenem Prototypenbau, in dem hauptsächlich Dienstleistungen für namhafte Firmen aus der Fahrradbranche erbracht wurden. Es wurden aber auch hochwertige Wettkampf-Mountainbikes für Sportler entwickelt, konstruiert und komplett gefertigt. Vom Rahmenschweißen, Montage bis zum Verkauf im Internet. Durch Corona gab es keine Wettkämpfe mehr, der Markt ist im Sportbereich weggebrochen. Außerdem habe ich Speedskater vorwiegend für Marathon konstruiert und gefertigt, die auch patentrechtlich geschützt sind. Eine einzigartige Konstruktion für hohe Geschwindigkeiten mit wenig Krafteinsatz der Sportler. Auch das ist weggebrochen durch Corona. Dazu kamen familiäre Probleme. In der Summe der ganzen Unstimmigkeiten hab ich mich zu der Reise entschlossen. Im Vordergrund stand die Suche nach Antworten wie es weitergehen soll.
Wie haben Sie sich vorbereitet?
Konditionell habe ich mich nicht speziell vorbereitet, da ich auf den Speedskatern selbst mehrere Marathons im Jahr gelaufen bin. Einzig die Planung der Reise, wie viel und welches Gepäck, sowie die Anreise zum Startpunkt, musste ich durchdenken. Und das alles sehr kurzfristig binnen einer Woche.
Was sind die klassischen Fehler, die man machen kann?
Der Klassiker ist, man meint, man müsse für einen gewissen Komfort alles Mögliche mitnehmen. Aber der Komfort stellt sich nicht ein. Die Füße streiken aufgrund des Übergewichtes spätestens am dritten Tag. Maximal 10 Prozent des Körpergewichts gehören auf den Rücken. Vorab sollte man einen passenden, leichten Rucksack auswählen und richtig einstellen. Unterwegs darf man sich nicht zu viel zutrauen und dann womöglich zwischen zwei Herbergen im freien Gelände ohne Übernachtungsmöglichkeit hängen bleiben. Das verursacht nur Schmerzen, Blasen und Frust.
Was ist unterwegs mit Ihnen mental passiert?
Ich habe versucht, allein zu laufen, um mich in meinen Gedanken zu finden. Ich wollte keine Ablenkung. Zu allererst habe ich eine tiefe innere Ruhe gefunden – ähnlich eines Anglers am See, der nicht spricht. Dadurch stellen sich von selbst Gedanken ein, die sich im Alltag nicht ausweiten wollen. Insgesamt ist der ganze Weg sehr spirituell, es passieren Dinge, die man nicht erklären kann. Allerdings brauchte das eine Weile und die Erkenntnisse kamen erst ungefähr nach der Hälfte des Weges.
Was war Ihre Erwartungshaltung vor dieser Reise?
Ich wollte mit Lösungen für meine schwierigen Aufgaben zurück kommen, die für alle passen. Für Freunde, Familie, für mich.
Wie sind Sie zurückgekehrt?
Ich war mir ganz sicher, dass ich Lösungen gefunden hatte und habe mit der Umsetzung begonnen. Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass ich den Weg zu schnell gelaufen bin. Ich hätte mehr Zeit gebraucht, um meinen richtigen Weg im Leben zu finden. Erst heute mit etwas Abstand passen die Lösungen. Und das war nur mit der Ruhe, Erkenntnis und Intuition aus der Pilgerreise möglich. Diesen Weg sind schon Millionen Menschen gelaufen. Alle haben ihre Spuren hinterlassen. Wenn man sich dessen bewusst wird, spürt man eine tiefe Ergebenheit.
Bücher und Reisebeschreibungen gibt es schon viele. Warum empfehlen Sie Ihr Buch?
Es ist kurz und knapp eine Reise beschrieben, die auch ein Stück Abenteuer ist, was ich so auf keinen Fall erwartet habe. Der Leser erfährt einiges über meine Persönlichkeit und einen Blick in meine Seele. Ein Buch mit viel Handlung auf wenigen Seiten. In ein bis zwei Tagen hat man es gelesen. Der Drang zu wissen, wie es weitergeht, ist sehr groß. Ich habe Tagebuch geführt bis zum Schluss und daraus ist das Buch entstanden. Nach einer privaten Erstauflage des Buches haben mir meine Freunde und Verwandten zugeraten, das Erlebte zu veröffentlichen.
Was hat sich seither in Ihrem Leben verändert?
Ich lebe jetzt intensiver aber gleichzeitig ruhiger. Ich genieße den Augenblick und leben im Hier und Jetzt. Es gibt nur wenig Sorge um die persönliche Zukunft. Man lernt, was wichtig ist im Leben und gewinnt auch eine gewisse Toleranz.