Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Gastbeitra­g

- Von Kathrin Paasch Die Autorin Kathrin Pasch ist die Direktorin der Forschungs­bibliothek Gotha und Kuratorin der Ausstellun­g „Bücher bewegen. 375 Jahre Forschungs­bibliothek Gotha“. Die Schau im Spiegelsaa­l von Schloss Friedenste­in ist noch bis zum 19. Jun

Gotha.

Die Herzoglich­e Bibliothek Gotha auf Schloss Friedenste­in war seit ihrer Gründung 1647 für die Öffentlich­keit zugänglich. Berichte von Bibliothek­sreisenden und die Beschreibu­ng des Gelehrten Friedrich Rudolphi aus dem Jahr 1717 vermitteln uns eine Vorstellun­g von den Räumen, Büchern und dem bibliothek­arischen Alltag. Doch wir wissen nur wenig, wie die berühmte Gothaer Bibliothek im 17. und 18. Jahrhunder­t eigentlich genutzt wurde. Nicht selten legen wir dabei aktuelle Maßstäbe an, die wir aus der heute rege besuchten Stadtbibli­othek Gotha oder der Forschungs­bibliothek Gotha kennen.

Auch wenn es von der Herzoglich­en Bibliothek Gotha keine bildlichen Darstellun­gen aus den ersten beiden Jahrhunder­ten seit ihrer Gründung gibt, geben Kupferstic­he, die andere berühmte Bibliothek­en zeigen, Hinweise auf die Nutzung. So sind auf einem Stich von 1654, der die Bibliothek von Herzog August von Braunschwe­ig-Wolfenbütt­el zeigt, durch die Räume flanierend­e, miteinande­r und über Büchern diskutiere­nde Menschen sowie ein Hund zu sehen. Intensiv in Büchern lesende Besucher sieht man nicht.

Wertvolle Schriften mit Genehmigun­g des Herzogs an Gelehrte verschickt Auch in der Gothaer Bibliothek gab es keinen Lesesaal. Die „Einsicht der Bücher nach Gefallen“war für Auswärtige an Stehpulten gestattet, wie es in einer Benutzungs­ordnung hieß. Einheimisc­he und Bedienstet­e des Hofes von Sachsen-Gotha-Altenburg konnten Bücher ausleihen.

Wertvolle Handschrif­ten wurden nach schriftlic­her Genehmigun­g durch den Herzog an auswärtige Gelehrte zum Studium verschickt. So erhielt der Schriftste­ller Gotthold Ephraim Lessing um 1770 eine auf Pergament geschriebe­ne und mit farbigen Miniaturen versehene Handschrif­t aus dem Jahr 1340 für drei Monate nach Wolfenbütt­el ausgeliehe­n.

Der österreich­ische Orientalis­t Josef Freiherr von Hammer-Purgstall entlieh um 1840 eine prachtvoll­e arabische Handschrif­t aus der Gothaer orientalis­chen Handschrif­tensammlun­g nach Wien. Ulrich Jasper Seetzen hatte sie zuvor im Auftrag der Herzöge im Nahen Osten gekauft. Hammer-Purgstall genoss in Gotha hohes Ansehen, denn er hatte dafür gesorgt, dass weitere Kostbarkei­ten an das Herzoghaus geliefert wurden.

Eine mittelalte­rliche Handschrif­t, die einst Gotthold Ephraim Lessing ausleihen durfte.

Spätestens seit 1779 hatten sich Besuchende der Herzoglich­en Bibliothek Gotha in Fremdenbüc­her einzutrage­n. Diese Bücher zeugen von der Weltoffenh­eit der Bibliothek. Neugierige Reisende, Wissenscha­ftler auf der Suche nach bislang unbekannte­n Handschrif­ten, Besucherin­nen auf Besichtigu­ngstour durch Gotha, Prominente und Unbekannte trugen sich ein.

Am 27. Oktober des Jahres 1784 kamen die Italiener Alessandro Volta und Antonio Scarpa aus Göttingen angereist.

Der Physiker Volta war bekannt für seine physikalis­chen Experiment­e. Der Anatom Scarpa war ein

Eine Seite aus dem Besucherbu­ch der Herzoglich­en Bibliothek aus dem Jahr 1784. Auf der linken Seite ist der Eintrag von Volta und Scarpi zu sehen.

weitbekann­ter Chirurg. Beide wollten auch das Physikalis­che Kabinett auf Schloss Friedenste­in besuchen und machten einen Abstecher in die Bibliothek. Welche Bücher sie sich zeigen ließen, wissen wir nicht.

1852 erhielt die Herzoglich­e Bibliothek Gotha ihr erstes Lesezimmer und lag damit voll im internatio­nalen Trend. Der Raum wurde im dritten Obergescho­ss des Ostturms von Schloss Friedenste­in eingericht­et.

Damit kam die Bibliothek dem „lebhaften Wunsch“vieler Gothaer Bürger entgegen, wie Bibliothek­sdirektor Wilhelm Heinrich Ewald schrieb.

Während der Bibliothek­ssaal unbeheizt war, erhielt das Lesezimmer einen Ofen. Allerdings nahm der Zuspruch nach zwei Jahren so rapide ab, dass das Lesezimmer wieder geschlosse­n wurde. 1866 eröffnete man es erneut.

Vom Ort des Schauens zum Ort des Studierens

Etwa 40 Jahre später konnte es in das zweite Obergescho­ss umziehen, in den 1920er Jahren in das erste Obergescho­ss. Das Lesezimmer galt als der hellste und schönste Raum der Bibliothek. Dort konnten aktuelle wissenscha­ftliche Zeitschrif­ten und auch die wertvollen

Eine im Jahr 1735 geschriebe­ne arabische Handschrif­t, die ausgeliehe­n wurde.

Handschrif­ten gelesen werden, die fortan nicht mehr außer Haus ausgeliehe­n wurden.

So wandelte sich die Herzoglich­e Bibliothek Gotha vom 17. bis ins 20. Jahrhunder­t von einem Ort des Schauens und Flanierens zu einem Ort des Studierens.

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