Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Gastbeitrag
Gotha.
Die Herzogliche Bibliothek Gotha auf Schloss Friedenstein war seit ihrer Gründung 1647 für die Öffentlichkeit zugänglich. Berichte von Bibliotheksreisenden und die Beschreibung des Gelehrten Friedrich Rudolphi aus dem Jahr 1717 vermitteln uns eine Vorstellung von den Räumen, Büchern und dem bibliothekarischen Alltag. Doch wir wissen nur wenig, wie die berühmte Gothaer Bibliothek im 17. und 18. Jahrhundert eigentlich genutzt wurde. Nicht selten legen wir dabei aktuelle Maßstäbe an, die wir aus der heute rege besuchten Stadtbibliothek Gotha oder der Forschungsbibliothek Gotha kennen.
Auch wenn es von der Herzoglichen Bibliothek Gotha keine bildlichen Darstellungen aus den ersten beiden Jahrhunderten seit ihrer Gründung gibt, geben Kupferstiche, die andere berühmte Bibliotheken zeigen, Hinweise auf die Nutzung. So sind auf einem Stich von 1654, der die Bibliothek von Herzog August von Braunschweig-Wolfenbüttel zeigt, durch die Räume flanierende, miteinander und über Büchern diskutierende Menschen sowie ein Hund zu sehen. Intensiv in Büchern lesende Besucher sieht man nicht.
Wertvolle Schriften mit Genehmigung des Herzogs an Gelehrte verschickt Auch in der Gothaer Bibliothek gab es keinen Lesesaal. Die „Einsicht der Bücher nach Gefallen“war für Auswärtige an Stehpulten gestattet, wie es in einer Benutzungsordnung hieß. Einheimische und Bedienstete des Hofes von Sachsen-Gotha-Altenburg konnten Bücher ausleihen.
Wertvolle Handschriften wurden nach schriftlicher Genehmigung durch den Herzog an auswärtige Gelehrte zum Studium verschickt. So erhielt der Schriftsteller Gotthold Ephraim Lessing um 1770 eine auf Pergament geschriebene und mit farbigen Miniaturen versehene Handschrift aus dem Jahr 1340 für drei Monate nach Wolfenbüttel ausgeliehen.
Der österreichische Orientalist Josef Freiherr von Hammer-Purgstall entlieh um 1840 eine prachtvolle arabische Handschrift aus der Gothaer orientalischen Handschriftensammlung nach Wien. Ulrich Jasper Seetzen hatte sie zuvor im Auftrag der Herzöge im Nahen Osten gekauft. Hammer-Purgstall genoss in Gotha hohes Ansehen, denn er hatte dafür gesorgt, dass weitere Kostbarkeiten an das Herzoghaus geliefert wurden.
Eine mittelalterliche Handschrift, die einst Gotthold Ephraim Lessing ausleihen durfte.
Spätestens seit 1779 hatten sich Besuchende der Herzoglichen Bibliothek Gotha in Fremdenbücher einzutragen. Diese Bücher zeugen von der Weltoffenheit der Bibliothek. Neugierige Reisende, Wissenschaftler auf der Suche nach bislang unbekannten Handschriften, Besucherinnen auf Besichtigungstour durch Gotha, Prominente und Unbekannte trugen sich ein.
Am 27. Oktober des Jahres 1784 kamen die Italiener Alessandro Volta und Antonio Scarpa aus Göttingen angereist.
Der Physiker Volta war bekannt für seine physikalischen Experimente. Der Anatom Scarpa war ein
Eine Seite aus dem Besucherbuch der Herzoglichen Bibliothek aus dem Jahr 1784. Auf der linken Seite ist der Eintrag von Volta und Scarpi zu sehen.
weitbekannter Chirurg. Beide wollten auch das Physikalische Kabinett auf Schloss Friedenstein besuchen und machten einen Abstecher in die Bibliothek. Welche Bücher sie sich zeigen ließen, wissen wir nicht.
1852 erhielt die Herzogliche Bibliothek Gotha ihr erstes Lesezimmer und lag damit voll im internationalen Trend. Der Raum wurde im dritten Obergeschoss des Ostturms von Schloss Friedenstein eingerichtet.
Damit kam die Bibliothek dem „lebhaften Wunsch“vieler Gothaer Bürger entgegen, wie Bibliotheksdirektor Wilhelm Heinrich Ewald schrieb.
Während der Bibliothekssaal unbeheizt war, erhielt das Lesezimmer einen Ofen. Allerdings nahm der Zuspruch nach zwei Jahren so rapide ab, dass das Lesezimmer wieder geschlossen wurde. 1866 eröffnete man es erneut.
Vom Ort des Schauens zum Ort des Studierens
Etwa 40 Jahre später konnte es in das zweite Obergeschoss umziehen, in den 1920er Jahren in das erste Obergeschoss. Das Lesezimmer galt als der hellste und schönste Raum der Bibliothek. Dort konnten aktuelle wissenschaftliche Zeitschriften und auch die wertvollen
Eine im Jahr 1735 geschriebene arabische Handschrift, die ausgeliehen wurde.
Handschriften gelesen werden, die fortan nicht mehr außer Haus ausgeliehen wurden.
So wandelte sich die Herzogliche Bibliothek Gotha vom 17. bis ins 20. Jahrhundert von einem Ort des Schauens und Flanierens zu einem Ort des Studierens.