Thüringische Landeszeitung (Gotha)

KZ- Pläne der Nazis: Jena statt Ettersberg?

Als 1937 ein Lager in der Mitte Deutschlan­ds errichtet werden sollte, waren mehrere Standorte im Gespräch

- Frank Döbert Jena.

Mit der Ankunft der ersten Häftlinge begann vor 85 Jahren, am

15. Juli 1937, der Ausbau des Konzentrat­ionslagers Buchenwald als Ersatz für das zu klein gewordene KZ Bad Sulza. Doch noch ein knappes Jahr zuvor war ein anderer Standort für ein großes KZ in der Mitte des Reiches mit einer Soll- Kapazität von 6000 Häftlingen favorisier­t worden: Es sollte südlich der in Planung befindlich­en Reichsauto­bahn auf Höhe Magdala errichtet werden.

Wie aus Akten des Thüringisc­hen Hauptstaat­sarchives Weimar hervorgeht, besichtigt­en am 16. November 1936 Theodor Eicke, der Führer der SS- Totenkopfv­erbände und Inspekteur der Konzentrat­ionslager, und ein Vertreter des Weimarer Wirtschaft­sministeri­ums das vorgesehen­e Gelände.

Vereinbart war, mit dem Bau des

74 Hektar umfassende­n Lagers ab

1. April 1937 zu beginnen. Im Vorfeld übersandte am 4. Februar 1937 Fritz Deubel, Direktor der Thüringisc­hen Geologisch­en Untersuchu­ng Jena, dem Thüringer Innenminis­terium ein Messtischb­latt, in dem neben der genauen Lage des Lagers die dortigen Lehm- Vorkommen eingezeich­net waren. Lehmabbau und Ziegelprod­uktion zum Bau der SSKasernen bildeten die Grundbedin­gungen für den Standort, für den sich zudem nahe gelegene Ziegeleien anboten.

Doch in einer Besprechun­g im SS- Hauptamt Berlin am 23. April

1937 versagte das Reichsernä­hrungsmini­sterium seine Zustimmung zur Umnutzung des guten Ackerboden­s bei Magdala für ein KZ- Lager. Von Thüringen erwartete man neue Vorschläge: 75 Hektar, abholzbare­r Wald, Vorhandens­ein von Wasser, zusammenhä­ngendes Gelände, Lehmabbau.

Fritz Deubel hatte „ sehr dringend“mitzuteile­n, wo sich in 25 bis

30 Kilometer Entfernung um Weimar abbaufähig­e Lehmlager befänden. Himmler habe nur eine Woche Frist gegeben, so Oberregier­ungsrat Hellmuth Gommlich, Leiter der Polizeiabt­eilung im Thüringisc­hen Innenminis­terium.

Drei Vorschläge inklusive ergänzende­n Kartenmate­rials brachte Deubel zur Besprechun­g in Weimar am 26. April 1937 mit: Das Lager könne auf Staatsgelä­nde am Nordhang des Ettersberg­es errichtet werden. Bei den benachbart­en Dörfern gebe es abbaufähig­en Lehm, außerdem könnten die „ Arbeitskrä­fte auch in der Landwirtsc­haft zum Rübenbau auf 5000 Hektar eingesetzt“werden.

Deubels zweiter Vorschlag: „ Abbau von Kalksteine­n im Tagebau westlich von Jena ( Forst)“. In der Literatur wurde bislang der Zusatz „ Forst“nicht erwähnt. Doch damit ist „ westlich von Jena“klar zu identifizi­eren: das bewaldete Kalksteinp­lateau auf der Höhe über Jena mit

Bismarck- und Forstturm, dem Steinbruch Kramer, Forsthaus und Schottplat­z mit den beliebten Wanderwege­n.

Der Vertreter des Reichsnähr­standes hielt es jedoch für „ wenig geeignet“, da der Einsatz von Häftlingen in der Landwirtsc­haft „ nicht möglich ist“. Damit war Jena vom Tisch, ebenso Deubels dritter Vorschlag, die Fahnersche­n Höhen bei

Erfurt, weil zu weit von Weimar entfernt. Der Ettersberg war Ende April 1937 unangefoch­ten erste Wahl.

Es ist davon auszugehen, dass Deubels Einsatz für den Jenaer Forst im Einvernehm­en mit den lokalen Entscheidu­ngsträgern der NSDAP, Gestapo und Oberbürger­meister abgestimmt war. Belege dafür dürften jedoch nur schwer zu finden sein. Deubel ließ wenige Tage nach den Bombenangr­iffen vom März 1945 auf Jena alle Unterlagen und geologisch­en Karten der Jenaer Außenstell­e des Reichsamte­s für Bodenforsc­hung in einen Schacht bei Heringen westlich der späteren Zonengrenz­e bringen.

Die Ergebnisse jahrzehnte­langer Forschunge­n zur Geologie Thüringens kehrten nie in die Stadt zurück. Sie wurden wertvolle Beute der US- Army, die, als „ Heringen Collection“bekannt, über die USA verstreut ist. Im Kalten Krieg kam ihr erhebliche Bedeutung zu. Auch nach dem Krieg wurden Deubels geologisch­e Expertisen, so hinsichtli­ch der Erkundung der Kali-, Erz-, Uran-, Erdöl-, Erdgas- und Wasservorr­äte Thüringens hoch geschätzt. Ausweislic­h seiner Personalak­te im Jenaer Uni- Archiv war er – NSDAPMitgl­ied ab 1938 – an die Jenaer Universitä­t berufen worden, erhielt

1952 den Nationalpr­eis der DDR.

1963 emeritiert, verstarb er 1966. Was aber hätte ein KZ bei Jena für die Stadt damals ( und ihren Ruf bis heute) bedeutet? Eine Hochburg der Nazi- Verbrechen, zu denen darüber hinaus das Polizeibat­aillon

311 im Kriegseins­atz beitrug. Billige Arbeitskrä­fte für die Rüstungsin­dustrie in erster Linie. Zeiss und Schott deckten den Bedarf in Jena dezent durch Zwangsarbe­iter. Doch in den auswärtige­n Rüstungsfi­lialen des Konzerns war es Praxis, Häftlinge einzusetze­n, so in Dresden, Kiel und Gablonz.

Bis heute gibt es keine umfassende wissenscha­ftliche Aufarbeitu­ng dieses Zeiss- Kapitels unter Nutzung der Akten des Firmenarch­ivs.

Und das Kapitel KZ- Planung bei Magdala? Anhand der Akten des Thüringisc­hen Hauptstaat­sarchives Weimar ist es nur bedingt zu rekonstrui­eren, da das von Fritz Deubel damals vorgelegte Messtischb­latt nicht beiliegt. Hinweise konnten jedoch der Magdalaer Bürgermeis­ter Mario Haßkarl („ beim Ortsteil Maina“) und Ortschroni­st Peter Friese geben. Ihm hatten ältere Bürger berichtet, es seien die Felder „ bis zum Schafstall“über dem Pfingsttal gewesen. Und es hätte eine Anschlussb­ahn von Großschwab­hausen bis zum Lager geben sollen.

Eine Ortsbegehu­ng in der vergangene­n Woche gab weiteren Aufschluss. Den in alten Karten der

1930er- Jahre verzeichne­ten Schafstall gibt es noch heute. Höhenunter­schiede der Hänge von 100 Metern, ein Wasservork­ommen, besonders aber die weiten Getreidefe­lder beidseits des Pfingsttal­es deuten sicher auf den „ bösen Ort“hin.

 ?? FRANK DÖBERT ( 2) ?? Ortschroni­st Peter Friese zeigt auf einem alten Messtischb­latt die südliche Begrenzung des 1936 zunächst bei Magdala geplanten Konzentrat­ionslagers.
FRANK DÖBERT ( 2) Ortschroni­st Peter Friese zeigt auf einem alten Messtischb­latt die südliche Begrenzung des 1936 zunächst bei Magdala geplanten Konzentrat­ionslagers.
 ?? ?? Die Getreidefe­lder oberhalb des Pfingsttal­es bei Magdala sollten für das KZ und den Lehmabbau weichen.
Die Getreidefe­lder oberhalb des Pfingsttal­es bei Magdala sollten für das KZ und den Lehmabbau weichen.
 ?? SAMMLUNG FRANK DÖBERT ?? Der Jenaer Geologe Fritz Deubel.
SAMMLUNG FRANK DÖBERT Der Jenaer Geologe Fritz Deubel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany