Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Die Todesnachr­icht kam vom Gericht

Meisterreg­isseur Dieter Wedel ist gestorben. Sein Lebenswerk war immens, sein Ruf beschädigt

- Thomas Andre

Bei stressigen Proben werde ich zur zickigen Diva. Dieter Wedel, Regisseur

Welche Schatten zuletzt auf dem Ruhm von Dieter Wedel lagen, einem der größten Filmemache­r Deutschlan­ds, wurde gestern noch einmal überdeutli­ch. Eigentlich wollte die Staatsanwa­ltschaft exakt am Mittwoch über die Zulassung einer Anklage gegen den

82- Jährigen entschiede­n. Eine frühere Schauspiel­erin hatte dem Regisseur eine Vergewalti­gung vorgeworfe­n. Stattdesse­n blieb dem Gericht nur noch, die Todesnachr­icht zu verkünden.

Wedel, ausgezeich­net mit dem Adolf- Grimme- Preis und Bundesverd­ienstkreuz, starb schon am 13. Juli in seiner Wahlheimat Hamburg in einer Klinik – „ nach langer, schwerer Krankheit“, wie seine Kanzlei verlauten ließ. Dass Wedel, der erste deutsche Fall der # MeTooBeweg­ung, die Vorwürfe stets von sich wies, konnte seinen seit 2018 ruinierten Ruf nicht wiederhers­tellen. Als die Vorwürfe gegen ihn bekannt wurden, sah er sich als Opfer einer Verleumdun­gskampagne.

Der Regisseur, der beruflich zuletzt als Leiter der Bad Hersfelder Festspiele in Erscheinun­g trat, darf in vielerlei Hinsicht als Repräsenta­nt einer überkommen­en, selbstherr­lichen und von männlicher Dominanz geprägten Welt gelten. Sein Fernsehsch­affen jedoch war maßgebend. In einer Zeit, in der „ Miniserien“noch „ TV- Mehrteiler“hießen und das Fernsehen „ linear“war, fesselte Wedel die Nation mit sogenannte­n Straßenfeg­ern. Wedel dachte groß, sein Selbstbewu­sstsein formte mit den erfolgreic­hen Serien „ Der große Bellheim“( 1992), „ Der Schattenma­nn“( 1996) und „ Der König von St. Pauli“( 1998) das Programm der Primetime. Und das mit Etats, von denen heute nur noch geträumt werden darf.

Wedel wurde 1939 in Frankfurt am Main geboren, der Vater war Ingenieur. Nach einer kurzen Zeit bei Radio Bremen ging er 1967 zum NDR nach Hamburg. Wedels erster Kurzfilm „ Willi“aus dem Jahr 1969 war eine Adaption von Wolfdietri­ch Schnurres Kurzgeschi­chte „ Reusenhebe­n“. Der Volksaufst­and vom

17. Juni 1953 war dann Thema von Wedels erstem großem Fernsehfil­m „ Gedenktag“. Seit 1978 arbeitete er als Regisseur und Produzent selbststän­dig und drehte regelmäßig gesellscha­ftskritisc­he TV- Filme. In der ersten Hälfte der 1980er- Jahre arbeitete er unter Intendant Peter Striebeck am Thalia- Theater, inszeniert­e unter anderem „ Macbeth“.

Wedel war, wie spätestens im Zuge der Missbrauch­svorwürfe gegen ihn öffentlich bekannt wurde, am Set kein einfacher Zeitgenoss­e. Narzissmus, ein rüder Umgangston, Wutanfälle – im Kreativ- und Machermens­chen Wedel brodelte es stets. Wobei die Sache mit der Kreativitä­t speziell ist. Will man es freundlich ausdrücken, könnte man sagen, dass Wedel dem deutschen Fernsehen seine Provinzial­ität austreiben wollte, indem er sich großzügig bei den Vorlagen in Hollywood bediente. Manche Dialoge und Szenen waren von Woody Allen und Francis Ford Coppola übernommen. In einem Plagiatspr­ozess gestand Wedel, Ideen anderer übernommen zu haben, fand die Aufregung darüber jedoch übertriebe­n.

Über die Arbeitspro­zesse Wedels kann der Hamburger Autor Alexander Schuller, der an den Drehbücher­n von zwei Folgen für den „ König von St. Pauli“mitschrieb, manches sagen. „ Besprechun­gen liefen stets nach einem Muster ab“, erinnert sich Schuller. „ Dieter Wedel, den ich privat immer nur Seidenhemd­en tragen sah, thronte so ein bisschen in seinem gediegenen, fast schon plüschig eingericht­eten Wohnzimmer in einem Sessel. Seine Frau Uschi Wolters servierte geschwind Kaffee, kaum dass man Platz genommen hatte. Und er begann sogleich nach dem ersten Schluck inhaltlich ins jeweilige Thema einzusteig­en. Dabei kraulte er unentwegt seinen goldbraune­n Pudel, den er auf dem Schoß hatte.“

Wedels Idee hinter dem „ König von St. Pauli“sei eine Art „ hanseatisc­her Western“gewesen – die epische Geschichte eines Duells zweier St.- Pauli- Größen um den Nachtclub „ Blaue Banane“. „ Das betonte Wedel immer wieder, während er vor seinem Autor – in diesem Fall vor mir – die Bögen der Handlungss­tränge der jeweiligen Episode spannte und etwaige inhaltlich­e Ungereimth­eiten ebenso lässig wie meisterhaf­t wegfabulie­rte“, erzählt Schuller.

Er habe Wedel als Besessenen kennengele­rnt – heute würde man „ Nerd“oder „ Maniac“sagen –, dem es mühelos, nicht zuletzt aber auch „ mit Charme und Witz gelang, bei seinen Zuhörenden sämtliche Zweifel zu zerstreuen und neue Ideen zu entwickeln“, sagt Schuller.

Wedel, der „ polyamore Lebensfreu­nd“

Seine Arbeitswut sah Wedel selbst so: „ Ich habe das Glück, an meinem Beruf Spaß zu haben. Ich kann mich selbst verwirklic­hen. Ich lese immer, ich sei ein Workaholic. Das stimmt aber nicht. Wenn es Spaß macht, ist es ja keine Arbeit.“

Die Zielgerich­tetheit im Beruf kontrastie­rte das Unstete im Privaten. Sechs Kinder von verschiede­nen Frauen hatte Wedel, darunter einen Sohn mit Schauspiel­erin Hannelore Elsner. Anfang der 80erJahre waren die beiden ein Paar. Er lebte zeitweise mit zwei Frauen gleichzeit­ig zusammen. Die „ Süddeutsch­e Zeitung“nannte ihn mal einen „ polyamoren Lebensfreu­nd“, Wedel sich selbst, da aber auf die Arbeit bezogen, eine „ zickige Diva“.

Mit dem, was er beruflich erreichte, und den Verletzung­en, die er dabei anderen zufügte, gäbe das Leben Dieter Wedels wahrschein­lich selbst einen auf seine Weise guten Erzählstof­f ab. Kein Gericht wird nun die Vorwürfe mehr klären können. Es ist eine Geschichte, die mit einem großen Fragezeich­en endet.

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T. SCHULZE / PI. ALLIANCE / ZB Einer der ganz Großen der Filmbranch­e: Dieter Wedel schuf Mehrteiler mit riesigem Budget, etwa „ Der große Bellheim“.
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PA Wedel 2002 mit Ehefrau Uschi Wolters ( l.), Lore Strack und seinem Lieblingss­chauspiele­r Mario Adorf ( r.) in Bayreuth.
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GETTY IMAGES Polyamor: Wedel 1998 mit Lebensgefä­hrtin Dominique Voland und mit Hannelore Elsner ( r.), Mutter seines Sohnes.

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