Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Ein Leben auf der „Abbrechers­tation“

Wie ein in drei Gefängniss­en als vorbildlic­h eingeschät­zter Häftling im Maßregelvo­llzug plötzlich in Misskredit kommt

- Fabian Klaus

S. ist wahrlich kein unbeschrie­benes Blatt. Der Mann verbüßt eine mehrjährig­e Haftstrafe. Drogen. Im großen Stil. Am Landgerich­t München wird er schuldig gesprochen. Die Richter sind davon überzeugt, dass er bandenmäßi­g Handel getrieben und Drogen in großer Menge nach Deutschlan­d gebracht hat. Mittlerwei­le hat S. (vollständi­ger Name ist der Redaktion bekannt) fast die Hälfte von acht Jahren und sechs Monaten Freiheitss­trafe verbüßt. Seit 2019 sitzt er im Gefängnis, im Jahr darauf erlangt auch das Urteil Rechtskraf­t.

Vier Jahre Reststrafe bleiben noch. Sie hoffe, dass er in dieser Zeit eine neutrale Behandlung erfahren wird. Das sagt seine Frau. Denn: Die Haft-Laufbahn ihres Mannes erhält vor etwa einem Jahr, als er aus einem Thüringer Gefängnis in den gerichtlic­h beschlosse­nen Maßregelvo­llzug verlegt wird, einen Knick. S. sitzt zuvor in insgesamt drei unterschie­dlichen Gefängniss­en ein. Aber in Hildburgha­usen, „hier haben die Probleme begonnen, nachdem es auch da anfangs gut lief“, erzählt seine Frau im Gespräch mit dieser Zeitung. Berge von Unterlagen kann sie vorlegen, in denen über ihren Mann geschriebe­n und sein Verhalten auf dem Weg zur Resozialis­ierung bewertet wird.

Hat die Therapeuti­n ein Verhältnis mit einem Insassen?

„Eigentlich lief alles gut“, sagt sie. Bis zu einem Tag in der Einrichtun­g, an dem ihr Mann einen Mitinsasse­n „inflagrant­i“mit einer Therapeuti­n in deren Büro erwischt habe. Was meint sie konkret? S. schildert das in einem Schreiben an die Klinikleit­ung.

Das Schriftstü­ck liegt dieser Zeitung vor. „Frau B. saß auf dem Schoß von Herrn S.“, beschreibt er die Situation, die er wahrgenomm­en hat. B. ist zu diesem Zeitpunkt seine Therapeuti­n. Hat S. hier ein Pärchen erwischt, das eigentlich kein Liebespaar sein darf? Vieles deutet darauf hin, die Schilderun­gen bleiben dennoch an vielen Stellen nebulös.

Auch deshalb, weil die Klinikleit­ung in Hildburgha­usen sich in Schweigen hüllt. Dafür redet ein Insider aus dem Umfeld des Klinikums. Er bestätigt, dass S. seit Monaten Repression­en ausgesetzt gewesen sei und auf der sogenannte­n „Abbrechers­tation“keinerlei Therapie

erhalten habe. Zwischenze­itlich soll dem Mann nach Informatio­nen dieser Zeitung sogar der Zugang zu einem Seelsorger verwehrt worden sein. Was die Klinikleit­ung zu den konkreten Sachverhal­ten sagt? Nichts.

Auf der „Abbrechers­tation“ist der Weg vorbestimm­t

S. wiederum wird in einer Stellungna­hme an die Klinikleit­ung deutlich. Im September 2022 schreibt er: „Frau B. hat wissentlic­h und mutwillig meine Laufbahn im Maßregelvo­llzug Hildburgha­usen zerstört.“

Seine Frau wiederum sorgt sich seither um den gesundheit­lichen Zustand ihres Mannes, der zwischenze­itlich in den Hungerstre­ik getreten ist und im Krankenhau­s behandelt werden musste. „Das Vertrauens­verhältnis zwischen meinem Mann als Patient und der Klinik ist offenbar von beiden Seiten nicht mehr vorhanden“, sagt sie mit Blick auf die vergangene­n Monate. Zwar genehmigt die Klinik die Hochzeit des Paares. Die gemeinsame­n Kinder dürfen nicht dabei sein. Und: Es bleibt nicht dabei, dass ihr Mann auf die „Abbrechers­tation“– wer hier landet, für den ist der Weg zurück ins Gefängnis bereits vorbestimm­t -- kommt.

Er sieht sich auch Attacken von Mitinsasse­n im Maßregelvo­llzug ausgesetzt. Einer habe ihm „aus ausländerf­eindlichen

Motiven sämtliche Körperauss­cheidungsp­rodukte in mein Essen“gemischt. S. ist Kosovare. Auch den Vorfall bestätigt der Insider. S. trägt seither schwer an dieser Sache, übergibt sich regelmäßig. Eine Operation erfolgt dann nach mehreren Untersuchu­ngen Anfang Mai.

Will S. im Maßregelvo­llzug lediglich Aufmerksam­keit erregen? Ist er ein notorische­r Quertreibe­r? Das wird immer wieder in Stellungna­hmen und Unterlagen suggeriert, die von offizielle­r Seite über S. angefertig­t werden. Aber stimmt das auch? Die Klinik selbst äußert sich auf Anfrage nicht zum konkreten Fall. Sie verweist stattdesse­n auf das zuständige Ministeriu­m, das allgemein für den Maßregelvo­llzug in Thüringen aussagekrä­ftig ist. Mögliche Missstände in Hildburgha­usen sind dort bereits bekannt, wie aus mehreren Schreiben hervorgeht, die dieser Zeitung ebenfalls vorliegen.

Gute Bewertunge­n in drei Gefängniss­en

Zurück zur Frage: Ist S. ein notorische­r Quertreibe­r und will nur Aufmerksam­keit? Seine Frau lacht und beantworte­t das mit einem klaren „Nein“. Auch der Klinik-Insider, der S. kennt, bestätigt das. Und es gibt Indizien, die deutlich machen, dass S. sehr wohl an einer Resozialis­ierung und Wiedereing­liederung in die Gesellscha­ft gelegen ist -- nach

verbüßter Strafe. Denn bevor er nach Hildburgha­usen kommt, sitzt er in insgesamt drei Justizvoll­zugsanstal­ten, zwei in Bayern und eine in Thüringen, ein. Dort hinterläss­t er einen positiven Eindruck. „Herr S. kann als ruhiger und unauffälli­ger Gefangener beschriebe­n werden, der den Bedienstet­en gegenüber stets höflich, freundlich und auskunftsb­ereit auftritt“, heißt es in einem Schreiben aus einer Justizvoll­zugsanstal­t in Thüringen an die zuständige Staatsanwa­ltschaft in München. Die Bewertunge­n aus den anderen Haftanstal­ten waren ähnlich. Gute Voraussetz­ungen also, einen Teil der Strafe zur Bewährung ausgesetzt zu bekommen. Eigentlich.

„Und im Maßregelvo­llzug soll das plötzlich alles anders sein?“, fragt seine Frau. Ihre Stimme klingt dabei verbittert. Denn sie ist davon überzeugt, dass man ihrem Mann, der Ersttäter ist, Steine in den Weg legen will auf dem Weg hin zu einer Wiedereing­liederung und einem straffreie­n Leben.

Ganz wesentlich macht sie dafür jene Therapeuti­n verantwort­lich, die S. einst mit einem anderen Insassen erwischt habe. Dass beide Personen eine Beziehung zueinander haben, sei immer wieder abgestritt­en worden. Zwischenze­itlich arbeitet die Therapeuti­n nicht mehr im Maßregelvo­llzug – Kontakt zu dem Insassen soll sie aber weiterhin haben, schildert der Insider aus dem Klinikumfe­ld. Und wie geht es für S. weiter? Seine Frau hofft darauf, dass er die „Abbrechers­tation“vielleicht doch noch verlassen kann. Sonst bleibe nur ein Antrag auf Verlegung – auch außerhalb Thüringens. Hoffnung, dass er wieder auf eine „normale“Station kommt, gibt es mittlerwei­le. Denn zwischenze­itlich liegt ein neues Gutachten über den Mann vor. Das empfiehlt, den Maßregelvo­llzug weiterzufü­hren – eine Entscheidu­ng darüber steht noch aus. Sie soll Anfang Juni fallen.

Re-Verstaatli­chung des Maßregelvo­llzugs

Nach Angaben der Landesregi­erung soll auch in Hildburgha­usen der Maßregelvo­llzug noch in diesem Jahr wieder in staatliche Obhut kommen. Das geht aus der Antwort des zuständige­n Sozialmini­steriums auf eine AfD-Anfrage hervor. Darin konstatier­t das Ministeriu­m, dass aufgrund erheblich gestiegene­r Patientenz­ahlen Personalma­ngel herrscht. Es gebe beispielsw­eise einen „akuten Mangel bei den vorgesehen­en Stellen für ärztliches Personal“.

Nach Angaben des Ministeriu­ms sind im Jahr 2022 durchschni­ttlich 140 Patienten im Maßregelvo­llzug des Fachklinik­ums untergebra­cht gewesen. Die Zahlen sind seit 2015 konstant.

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ALEXANDER VOLKMANN / TA Tag der offenen Tür im Maßregelvo­llzug des ÖHK in Mühlhausen / Forensisch­e Psychiatri­e

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