Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Ein Leben auf der „Abbrecherstation“
Wie ein in drei Gefängnissen als vorbildlich eingeschätzter Häftling im Maßregelvollzug plötzlich in Misskredit kommt
S. ist wahrlich kein unbeschriebenes Blatt. Der Mann verbüßt eine mehrjährige Haftstrafe. Drogen. Im großen Stil. Am Landgericht München wird er schuldig gesprochen. Die Richter sind davon überzeugt, dass er bandenmäßig Handel getrieben und Drogen in großer Menge nach Deutschland gebracht hat. Mittlerweile hat S. (vollständiger Name ist der Redaktion bekannt) fast die Hälfte von acht Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verbüßt. Seit 2019 sitzt er im Gefängnis, im Jahr darauf erlangt auch das Urteil Rechtskraft.
Vier Jahre Reststrafe bleiben noch. Sie hoffe, dass er in dieser Zeit eine neutrale Behandlung erfahren wird. Das sagt seine Frau. Denn: Die Haft-Laufbahn ihres Mannes erhält vor etwa einem Jahr, als er aus einem Thüringer Gefängnis in den gerichtlich beschlossenen Maßregelvollzug verlegt wird, einen Knick. S. sitzt zuvor in insgesamt drei unterschiedlichen Gefängnissen ein. Aber in Hildburghausen, „hier haben die Probleme begonnen, nachdem es auch da anfangs gut lief“, erzählt seine Frau im Gespräch mit dieser Zeitung. Berge von Unterlagen kann sie vorlegen, in denen über ihren Mann geschrieben und sein Verhalten auf dem Weg zur Resozialisierung bewertet wird.
Hat die Therapeutin ein Verhältnis mit einem Insassen?
„Eigentlich lief alles gut“, sagt sie. Bis zu einem Tag in der Einrichtung, an dem ihr Mann einen Mitinsassen „inflagranti“mit einer Therapeutin in deren Büro erwischt habe. Was meint sie konkret? S. schildert das in einem Schreiben an die Klinikleitung.
Das Schriftstück liegt dieser Zeitung vor. „Frau B. saß auf dem Schoß von Herrn S.“, beschreibt er die Situation, die er wahrgenommen hat. B. ist zu diesem Zeitpunkt seine Therapeutin. Hat S. hier ein Pärchen erwischt, das eigentlich kein Liebespaar sein darf? Vieles deutet darauf hin, die Schilderungen bleiben dennoch an vielen Stellen nebulös.
Auch deshalb, weil die Klinikleitung in Hildburghausen sich in Schweigen hüllt. Dafür redet ein Insider aus dem Umfeld des Klinikums. Er bestätigt, dass S. seit Monaten Repressionen ausgesetzt gewesen sei und auf der sogenannten „Abbrecherstation“keinerlei Therapie
erhalten habe. Zwischenzeitlich soll dem Mann nach Informationen dieser Zeitung sogar der Zugang zu einem Seelsorger verwehrt worden sein. Was die Klinikleitung zu den konkreten Sachverhalten sagt? Nichts.
Auf der „Abbrecherstation“ist der Weg vorbestimmt
S. wiederum wird in einer Stellungnahme an die Klinikleitung deutlich. Im September 2022 schreibt er: „Frau B. hat wissentlich und mutwillig meine Laufbahn im Maßregelvollzug Hildburghausen zerstört.“
Seine Frau wiederum sorgt sich seither um den gesundheitlichen Zustand ihres Mannes, der zwischenzeitlich in den Hungerstreik getreten ist und im Krankenhaus behandelt werden musste. „Das Vertrauensverhältnis zwischen meinem Mann als Patient und der Klinik ist offenbar von beiden Seiten nicht mehr vorhanden“, sagt sie mit Blick auf die vergangenen Monate. Zwar genehmigt die Klinik die Hochzeit des Paares. Die gemeinsamen Kinder dürfen nicht dabei sein. Und: Es bleibt nicht dabei, dass ihr Mann auf die „Abbrecherstation“– wer hier landet, für den ist der Weg zurück ins Gefängnis bereits vorbestimmt -- kommt.
Er sieht sich auch Attacken von Mitinsassen im Maßregelvollzug ausgesetzt. Einer habe ihm „aus ausländerfeindlichen
Motiven sämtliche Körperausscheidungsprodukte in mein Essen“gemischt. S. ist Kosovare. Auch den Vorfall bestätigt der Insider. S. trägt seither schwer an dieser Sache, übergibt sich regelmäßig. Eine Operation erfolgt dann nach mehreren Untersuchungen Anfang Mai.
Will S. im Maßregelvollzug lediglich Aufmerksamkeit erregen? Ist er ein notorischer Quertreiber? Das wird immer wieder in Stellungnahmen und Unterlagen suggeriert, die von offizieller Seite über S. angefertigt werden. Aber stimmt das auch? Die Klinik selbst äußert sich auf Anfrage nicht zum konkreten Fall. Sie verweist stattdessen auf das zuständige Ministerium, das allgemein für den Maßregelvollzug in Thüringen aussagekräftig ist. Mögliche Missstände in Hildburghausen sind dort bereits bekannt, wie aus mehreren Schreiben hervorgeht, die dieser Zeitung ebenfalls vorliegen.
Gute Bewertungen in drei Gefängnissen
Zurück zur Frage: Ist S. ein notorischer Quertreiber und will nur Aufmerksamkeit? Seine Frau lacht und beantwortet das mit einem klaren „Nein“. Auch der Klinik-Insider, der S. kennt, bestätigt das. Und es gibt Indizien, die deutlich machen, dass S. sehr wohl an einer Resozialisierung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft gelegen ist -- nach
verbüßter Strafe. Denn bevor er nach Hildburghausen kommt, sitzt er in insgesamt drei Justizvollzugsanstalten, zwei in Bayern und eine in Thüringen, ein. Dort hinterlässt er einen positiven Eindruck. „Herr S. kann als ruhiger und unauffälliger Gefangener beschrieben werden, der den Bediensteten gegenüber stets höflich, freundlich und auskunftsbereit auftritt“, heißt es in einem Schreiben aus einer Justizvollzugsanstalt in Thüringen an die zuständige Staatsanwaltschaft in München. Die Bewertungen aus den anderen Haftanstalten waren ähnlich. Gute Voraussetzungen also, einen Teil der Strafe zur Bewährung ausgesetzt zu bekommen. Eigentlich.
„Und im Maßregelvollzug soll das plötzlich alles anders sein?“, fragt seine Frau. Ihre Stimme klingt dabei verbittert. Denn sie ist davon überzeugt, dass man ihrem Mann, der Ersttäter ist, Steine in den Weg legen will auf dem Weg hin zu einer Wiedereingliederung und einem straffreien Leben.
Ganz wesentlich macht sie dafür jene Therapeutin verantwortlich, die S. einst mit einem anderen Insassen erwischt habe. Dass beide Personen eine Beziehung zueinander haben, sei immer wieder abgestritten worden. Zwischenzeitlich arbeitet die Therapeutin nicht mehr im Maßregelvollzug – Kontakt zu dem Insassen soll sie aber weiterhin haben, schildert der Insider aus dem Klinikumfeld. Und wie geht es für S. weiter? Seine Frau hofft darauf, dass er die „Abbrecherstation“vielleicht doch noch verlassen kann. Sonst bleibe nur ein Antrag auf Verlegung – auch außerhalb Thüringens. Hoffnung, dass er wieder auf eine „normale“Station kommt, gibt es mittlerweile. Denn zwischenzeitlich liegt ein neues Gutachten über den Mann vor. Das empfiehlt, den Maßregelvollzug weiterzuführen – eine Entscheidung darüber steht noch aus. Sie soll Anfang Juni fallen.
Re-Verstaatlichung des Maßregelvollzugs
Nach Angaben der Landesregierung soll auch in Hildburghausen der Maßregelvollzug noch in diesem Jahr wieder in staatliche Obhut kommen. Das geht aus der Antwort des zuständigen Sozialministeriums auf eine AfD-Anfrage hervor. Darin konstatiert das Ministerium, dass aufgrund erheblich gestiegener Patientenzahlen Personalmangel herrscht. Es gebe beispielsweise einen „akuten Mangel bei den vorgesehenen Stellen für ärztliches Personal“.
Nach Angaben des Ministeriums sind im Jahr 2022 durchschnittlich 140 Patienten im Maßregelvollzug des Fachklinikums untergebracht gewesen. Die Zahlen sind seit 2015 konstant.