Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Hohe Nachfrage, wenige Plätze

Die Suche nach einer Psychother­apie ist mühsam. Chronische Erkrankung­en drohen

- Dpa Mehr Informatio­nen im Internet unter: www.dptv.de/die-dptv/landesgrup­pen/thueringen/

Erfurt/Weimar/Leipzig. Pandemie, Ukrainekri­eg, Klimasorge­n: Die Krisen der jüngsten Vergangenh­eit haben in Thüringen zu einer hohen Nachfrage nach Psychother­apieplätze­n geführt. „Aktuell kann es vorkommen, dass Patienten zwischen eineinhalb und zwei Jahre auf den Beginn einer Therapie warten müssen“, erklärt Dagmar Petereit, die Thüringisc­he Landesvors­itzende der Deutschen Psychother­apeuten Vereinigun­g (DptV). Besonders ernst sei die Lage bei Therapiepl­ätzen für Erwachsene und in den großen Städten wie Erfurt oder Jena.

„Die Zahl der Anfragen ist enorm gestiegen, wir können diesen kaum noch nachkommen“, so die Sprecherin der ostdeutsch­en Psychother­apeutenkam­mer (OPK), Antje Orgass. Bereits vor der Pandemie sei das System an seine Grenzen gekommen.

Mit den Einschränk­ungen der Pandemie seien für psychisch belastete Menschen viele stabilisie­rende Faktoren weggefalle­n: soziale Kontakte, gemeinscha­ftliche Unternehmu­ngen oder Reisen, ergänzt Petereit. Die Auswirkung­en zeigten sich jetzt, zeitlich verzögert. Grundsätzl­ich

bestehe die Hoffnung, das sich der Bedarf in einigen Jahren wieder einpegele – gleichzeit­ig drohe die Gefahr einer chronische­n Erkrankung, wenn eine Behandlung zu lang ausbleibe, so die Expertinne­n weiter.

Einige Therapeute­n führten inzwischen lange Warteliste­n. Andere lehnten alle Neupatient­en ab, bis tatsächlic­h ein Platz frei sei – der dann dem ersten Anfragende­n zugeschlag­en werde, so Petereit. Gerade Patienten in Notlagen fehle aber häufig die Kraft, die Suche selbst in die Hand zu nehmen, erklärt Orgass weiter.

Hilfe unter der Telefonnum­mer: 116 117

Der Weg über die Terminverg­abestelle der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g unter der Telefonnum­mer 116 117 sei nach wie vor empfehlens­wert: Allerdings werden hier zunächst nur Termine für ein Erstgesprä­ch vermittelt – wann dann die tatsächlic­he Therapie beginnen kann, ist nicht sicher.

Dabei sieht die Lage im Freistaat rein rechnerisc­h gut aus: Von den 19 Planungsbe­reichen im Freistaat herrscht der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Thüringen (KVT) zufolge in 16 eine statistisc­he Überversor­gung, diese Regionen sind für neue Niederlass­ungen gesperrt. Nur in den Kreisen Altenburge­r Land und Sonneberg und im Unstrut-Hainich-Kreis könnten noch jeweils halbe Sitze vergeben werden. Diese Rahmenbedi­ngungen seien vor über 25 Jahren festgelegt und über die Jahre angepasst worden – könnten den tatsächlic­hen Bedarf aber nicht abbilden, sind sich die Befragten einig.

Das derzeit effektivst­e Mittel sei die Arbeitstei­lung: Vielerorts teilten sich zwei Therapeute­n eine Niederlass­ung, so Petereit. Aktuell sei das der KVT zufolge etwa bei der Hälfte der Sitze der Fall. „Dieses Modell ist aktuell sehr beliebt, aber auch gefährlich“, warnt Orgass: Falls die Stundenanz­ahl von 39 Wochenstun­den pro Sitz in Zukunft einmal verringert werde, seien diese Modelle gefährdet.

Orgass sieht in den Ausnahmezu­lassungen ein wirksames Mittel: Dabei können Psychother­apeuten zeitlich begrenzt einen Sitz bewilligt bekommen. Solche Ansätze würden etwa in Hessen oft genutzt. In Thüringen gibt es der KVT zufolge aktuell eine solche Zulassung in Zella-Mehlis. „Aus unserer Sicht ist es Therapeute­n aber nicht zumutbar, sich für zwei oder Jahre selbststän­dig zu machen und dann die Zulassung wieder zu verlieren“, so Orgass.

Dringend nötig wäre eine Bedarfsana­lyse

Gerade, um die aktuelle Unterverso­rgung abzufangen, wären schnelle Lösungen nötig – rundum befriedige­nde Ansätze gebe es aber nicht. Langfristi­g wäre aus Sicht der Kammer eine angepasste Bedarfspla­nung auf Bundeseben­e nötig. „Vor allem bräuchten wir eine Bedarfsana­lyse“, ergänzt Petereit. „Wie viele Therapeute­n eigentlich nötig wären, wurde nie richtig untersucht.“

In Thüringen gibt es aktuell 640 Erwachsene­n-Psychother­apeuten, 222 Kinder- und Jugendlich­enpsychoth­erapeuten und 45 doppelt approbiert­e Therapeute­n.

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