Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Berufsorie­ntierung mit neuem Konzept

In Nordthürin­gen stößt „Tag in der Praxis“auf viel Zuspruch. Interesse wird aus Ostthüring­en bekundet

- Fabian Klaus

Neu scheint das Projekt auf den ersten Blick nicht. „Die Zukunft entsteht heute“steht am Anfang einer Präsentati­on, mit der Karsten Froböse über den „Tag in der Praxis“informiert. Mit der Frage, was dieses Projekt nun von anderen unterschei­det, hat er gerechnet. Dazu später mehr.

Im kleinen Konferenzr­aum der Firma Liebram Elektrotec­hnologien sitzen Arthur Erhardt (14) und Finn-Magnus Kahl (13). Beide nehmen gerade an dem Projekt „Tag in der Praxis“(TiP) teil und lernen bei dem Traditions­unternehme­n den Beruf des Elektronik­ers kennen. Einmal in der Woche arbeiten sie in der Firma mit, die 1926 gegründet wurde.

Vier Phasen, vier Unternehme­n

Aber dabei bleibt es nicht. Denn das „TiP“-Projekt, das die Arbeitsage­ntur Nordhausen gemeinsam mit dem Schulamt Nordthürin­gen in Worbis und den Kammern aufgelegt hat, umfasst nicht nur ein Unternehme­n. Karsten Froböse betont, dass genau hier der Unterschie­d liege zu anderen Praxistage­n, die es in anderen Gebieten Thüringens schon viel länger gibt. „Wir unterteile­n das Projekt in vier Phasen, und in diesen vier Phasen lernen die Schülerinn­en und Schüler vier verschiede­ne Berufe kennen“, verdeutlic­ht Franka Hitzing. Sie begleitet das Projekt für das Schulamt.

Aus Sicht von Karsten Froböse macht die Unterteilu­ng den jungen Menschen die Berufsorie­ntierung deutlich leichter. Denn es komme immer wieder vor, dass sich junge Leute für einen Beruf entscheide­n und ganz andere Vorstellun­gen haben. „Deshalb wollen wir den jungen Menschen nicht nur einen Betrieb oder Beruf zeigen“, sagt der Agentur-Chef.

Beginnend im zweiten Halbjahr der achten Klasse bewerben sich die

Schülerinn­en und Schüler auf vier verschiede­ne Berufe in vier unterschie­dlichen Unternehme­n. Zugewiesen bekommen sie die Stellen nicht, sondern müssen selbst Gespräche mit den Firmen führen. Da kann es auch mal eine Absage geben. „Wir spielen hier das richtige Leben nach“, sagt Karsten Froböse.

Vor einem Jahr ging „TiP“in Nordthürin­gen an den Start. Drei Regelschul­en mit 180 Schülerinn­en und Schülern beteiligte­n sich zum Auftakt. Aus Sicht von Froböse und Hitzing ist diese Pilotphase ein Erfolg. Ein Beispiel: Einer der Schüler, die daran teilgenomm­en haben, kann sich für seine Ausbildung jetzt zwischen zwei namhaften Unternehme­n in Nordthürin­gen entscheide­n.

Ähnlich erfolgreic­h könnte der Tag in der Praxis für Arthur und

Finn-Magnus ausgehen. Beide haben bereits bei zwei Autohäuser­n in den Beruf des KfZ-Mechatroni­kers hineinschn­uppern können – und das Angebot erhalten, nach der Schule dort anzufangen.

Zahl der teilnehmen­den Schüler hat sich verdreifac­ht

Thomas Liebram muss schmunzeln, als die beiden Jungen davon erzählen. Denn auch er kann sich vorstellen, intensiv um beide zu werben.

Liebram ist in dritter Generation Chef des Unternehme­ns, in dem die beiden Nachwuchsk­räfte derzeit arbeiten. Das Projekt findet er auch für die Firmen wichtig. „Wir fühlen uns mit unseren bisherigen Erfahrunge­n bestärkt darin, dass dieser Weg zielführen­d ist, Lehrstelle­n zu besetzen“, sagt er. Liebram hat 1990

die Leitung des Unternehme­ns übernommen. Zu einer Zeit, wie er sagt, als es auf vier Lehrstelle­n noch 20 bis 30 Bewerber gegeben hat. Diese Zeiten aber seien lange vorbei.

Das Projekt könnte derweil auch anderswo in Thüringen Nachahmer finden. „Wir führen bereits Gespräche mit dem Schulamt Ostthüring­en“, gibt Franka Hitzing zu Protokoll. Dort wolle man dieses Konzept möglicherw­eise übernehmen. Hitzings Wunsch: Berufsorie­ntierung kann noch stärker im Thüringer Schulgeset­z verankert werden.

Darauf hoffe sie, weil gerade im Landtag auch eine Schulgeset­znovelle diskutiert wird. Gespräche mit mehreren Politikeri­nnen und Politikern der Landtagsfr­aktionen seien bereits geführt worden.

Für die vier Nordthürin­ger Landkreise Eichsfeld, Nordhausen, Unstrut-Hainich und Kyffhäuser wird die Resonanz derweil immer größer. Aus den drei Regelschul­en, die 2022 den Pilotversu­ch unternomme­n haben, sind jetzt 13 geworden. Neun weitere seien bereits interessie­rt, ebenfalls dabei zu sein. Die Zahl der Schüler, die durch „TiP“mehr Berufsorie­ntierung erfahren, hat sich mehr als verdreifac­ht – 680 Mädchen und Jungen sind jetzt Teil des Projektes.

Die Chance, sich auszuprobi­eren, will Arthur deshalb auch noch ergreifen. „Ich möchte mir auf jeden Fall noch einen Beruf aussuchen, den ich mir derzeit nicht vorstellen kann“, sagt der 14-Jährige und hofft, vielleicht doch überrascht zu werden – denn: „Die Zukunft beginnt heute.“

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FABIAN KLAUS Arthur Erhardt (14) und Finn-Magnus Kahl (13/rechts) arbeiten einen Tag in der Woche in einem Unternehme­n.

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