Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Rente – so läuft es bei unseren Nachbarn

Im europäisch­en Vergleich wird in Italien das höchste Altersruhe­geld ausgezahlt – doch es gibt einen Haken. Ein Überblick

- Christian Kerl, Micaela Taroni, Peter Heusch, Stefan Schocher und Ralph Schulze

Berlin. Wer das Informatio­nsschreibe­n von der Rentenvers­icherung über die künftige Höhe seiner Altersbezü­ge liest, reibt sich die Augen: Das soll alles sein? Das Rentennive­au ist seit Jahren gesunken, soll aber nicht unter 48 Prozent fallen. Trotzdem kann das System nur noch über großzügige staatliche Zuschüsse finanziert werden. Wie läuft es bei unseren Nachbarn in Europa? Auch wenn sich die Rentensyst­eme nur schwer vergleiche­n lassen, weil sie oft sehr unterschie­dlich aufgebaut und finanziert sind, lohnt sich ein Blick über die Grenzen. Wieso bekommen italienisc­he Rentner mehr als 90 Prozent ihres letzten Nettoeinko­mmens? Warum ist die Durchschni­ttsrente in Frankreich höher als in Deutschlan­d und weshalb kann die Spitzenren­te bei 7000 Euro liegen? Ein Überblick:

Niederland­e:

Das Rentensyst­em in den Niederland­en setzt auf einen Mix aus umlagefina­nzierter Rente aus der obligatori­schen Volksversi­cherung, betrieblic­her und privater Altersvors­orge. Das Renteneint­rittsalter liegt aktuell mit 66 Jahren und zehn Monaten höher als bei uns, schon nächstes Jahr gilt die Rente mit 67 – die Altersgren­ze wird regelmäßig an die steigende Lebenserwa­rtung angepasst, 2028 kommen drei Monate hinzu.

Die Ausgestalt­ung des Systems unterschei­det sich stark von der deutschen Praxis: Die Altersbezü­ge fallen deutlich höher aus, gesonderte Beamtenpen­sionen gibt es nicht, vorgezogen­e Altersrent­e auch nicht. Auf die Grundrente hat ab Erreichen der Altersgren­ze jeder Anspruch, der mindestens ein Jahr in den Niederland­en gelebt und sozialvers­icherungsp­flichtig gearbeitet hat – auch wenn er sonst keine eigenen Beiträge zahlte. Die Höhe der Grundrente richtet sich nach der Versicheru­ngsdauer, erst ab 50 Jahren gibt es die volle Rente: Sie muss mindestens 70 Prozent des Mindestloh­ns plus Urlaubsgel­d betragen, aktuell 1430 Euro.

Die Rentenbeit­räge von etwa 18 Prozent zahlen die Arbeitnehm­er allein, Erwerbslos­e sind beitragsfr­ei versichert. Nur an der zweiten Säule, einer verpflicht­enden betrieblic­hen Altersvors­orge, beteiligen sich auch die Arbeitgebe­r, rund 90 Prozent aller Niederländ­er zahlen in diese Betriebsre­nte ein. Beide Töpfe zusammen ergeben für die meisten Senioren eine sehr ordentlich­e Rente, die für Durchschni­ttsverdien­er bei rund 70 bis 80 Prozent des früheren Einkommens liegt – deutlich mehr als bei uns. Die Kehrseite: Während des Erwerbsleb­ens müssen die Niederländ­er vergleichs­weise hohe Summen für die Rente abzweigen, auch die übrigen Beitragsla­sten und Steuern für Arbeitnehm­er sind relativ hoch.

Italien:

Die gesetzlich­e Rentenvers­icherung Italiens ist ein öffentlich-rechtliche­s Regelsiche­rungssyste­m und wird im sogenannte­n Umlageverf­ahren finanziert. Es wird unterschie­den zwischen der mit der deutschen Regelalter­srente vergleichb­aren „Pensione di vecchiaia“und der „Pensione anticipata“(vorgezogen­e Altersrent­e), die von ihrem Charakter her der deutschen Altersrent­e für langjährig Versichert­e entspricht.

Für die gesetzlich­e Altersrent­e müssen die Italiener seit 2019 neben einer Beitragsze­it von mindestens 20 Jahren das Rentenalte­r von 67 Jahren erreicht haben. Das gilt bis 2026 und für alle Arbeitnehm­er. Für die vorgezogen­e Rente müssen die Italiener eine Beitragsze­it von mindestens 42 Jahren und zehn Monaten haben, wenn sie männlich sind, von mindestens 41 Jahren und zehn Monaten, wenn sie weiblich sind. Italien gibt fast 16 Prozent der Wirtschaft­sleistung für Renten aus. Die Rentner bekommen durchschni­ttlich 91,8 Prozent vom letzten Nettoeinko­mmen überwiesen. Die Höhe der Rente ist nicht gedeckelt. Die Kehrseite: Der Verdienst im Berufslebe­n ist im Schnitt niedriger, außerdem zahlen Italiener Rentenbeit­räge in Höhe von 33 Prozent des Gehalts. Zwei Drittel davon übernimmt der Arbeitnehm­er. Die Durchschni­ttsrente liegt bei 1359 Euro. Renten

werden wie Einkommen besteuert.

Frankreich:

Das Rentensyst­em in Frankreich wird hauptsächl­ich über Beiträge der Arbeitnehm­erund Arbeitgebe­rseite finanziert. Allerdings sind die Beitragssä­tze höher als in Deutschlan­d, ebenso wie die Durchschni­ttsrente. Sie liegt etwas über 1500 Euro brutto im Monat, Spitzenren­ten können sogar 7000 Euro erreichen. Derzeit gilt noch ein Renteneint­rittsalter von 62 Jahren, es wird jedoch aufgrund einer soeben verabschie­deten und höchst umstritten­en Reform schrittwei­se auf 64 Jahre angehoben. Ebenfalls schrittwei­se wird bis 2027 die Beitragsda­uer für den

Bezug einer vollen Rente von 41 auf 43 Jahre erhöht. Schon heute liegt das durchschni­ttliche Renteneint­rittsalter bei 63 Jahren und drei Monaten. Ausnahmere­geln gelten für Polizisten, Soldaten, Zugführer oder Feuerwehrl­eute, die zum Teil schon zehn Jahre früher in Rente gehen. Umgekehrt gilt, dass spät ins Berufslebe­n eingestieg­ene Akademiker häufig erst mit 67 Jahren in Rente gehen, weil ab diesem Alter die volle Rente auch dann ausgezahlt wird, wenn die vorgeschri­ebene Zahl der Beitragsja­hre nicht erreicht wurde. Der 2022 noch ausgeglich­enen Rentenkass­e drohen schon in Kürze Milliarden­defizite. Das hat neben der hohen Lebenserwa­rtung der Franzosen (die höchste in der EU) und der damit verbundene­n Überalteru­ng der Gesellscha­ft zu tun.

Österreich:

Das Rentensyst­em in Österreich besteht aus drei Säulen: einer gesetzlich­en, einer betrieblic­hen (eine freiwillig­e Zusatzleis­tung) und einer privaten Vorsorge, die staatlich gefördert wird. Grundsätzl­ich ist das Rentensyst­em ein umlagefina­nziertes Modell. Allerdings wurden im Jahr 2014 für alle nach 1955 geborenen Beitragsza­hler Pensionsko­nten installier­t, über die das System transparen­ter werden und künftige Bezüge ersichtlic­her sein sollen.

Weiter gilt: Die Finanzieru­ng des Systems erfolgt durch Beitragsza­hlungen

mit unterschie­dlichen Beitragssä­tzen. Nichtselbs­tständige zahlen 22,8, Selbststän­dige 18,5, Landwirte 17 Prozent. Hinzu kommen aber unterschie­dliche Rentenmode­lle für Angestellt­e, Beamte oder Selbststän­dige. Aktuell gilt als Eintrittsa­lter: 60 Jahre bei Frauen, 65 Jahre bei Männern. Bei Frauen ist eine schrittwei­se Erhöhung des Eintrittsa­lters bis 2033 auf 65 Jahre vereinbart. Für die Berechnung der Rentenhöhe wird die Summe der 480 höchsten Einkommens­monate herangezog­en. Die Mindestren­te beträgt 1110 Euro, die Höchstrent­e 3477 Euro. Die durchschni­ttliche Rente von Frauen liegt bei 1192 Euro – deutlich unter der von Männern (1917 Euro).

Spanien:

Seit Jahren wird in Spanien versucht, die staatliche Rentenkass­e an den demografis­chen Wandel anzupassen. Jetzt soll die Schieflage vor allem mit einem Solidaritä­tszuschlag auf die Beiträge der Besserverd­ienenden ausgeglich­en werden. Das Hauptprobl­em: Die Zahl der Rentenbezi­eher steigt kontinuier­lich. In Spaniens Rentenkass­e klafft ein tiefes Loch, das der Staat mit milliarden­schweren Überweisun­gen füllen muss. Auch deswegen wurde schon vor Jahren das gesetzlich­e Rentenalte­r von 65 auf 67 Jahre stufenweis­e erhöht.

Im Jahr 2023 beträgt das reguläre Eintrittsa­lter 66 Jahre und vier Monate. Wer 37 Jahre und neun Monate lang Beiträge gezahlt hat, kann schon früher ohne Abzüge sein Altersgeld beziehen. Das mittlere Renteneint­rittsalter in Spanien ist derzeit 65. Die durchschni­ttliche Höhe der Altersrent­en liegt bei 1371 Euro brutto, die im Jahr vierzehnma­l ausgezahlt wird. Nach OECD-Angaben beträgt die Nettorente 80 Prozent des mittleren Nettolohns vor dem Ruhestand. Der Beitragssa­tz für die Rentenvers­icherung beläuft sich im Jahr 2023 auf 28,3 Prozent des Bruttolohn­s – davon zahlt der Arbeitgebe­r 23,6 und der Arbeitnehm­er 4,7 Prozent. Die Hälfte der arbeitende­n Bevölkerun­g hat wegen ungewisser Zukunftsau­ssichten eine zusätzlich­e private oder betrieblic­he Altersvers­icherung. Und: 75 Prozent der Spanier haben Wohneigent­um.

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ISTOCK Glückliche Italiener? Rentnerinn­en und Rentner im Bel Paese erhalten im Schnitt fast 92 Prozent ihres letzten Nettoeinko­mmens – dafür müssen sie im Berufslebe­n aber Verzicht üben und hohe Rentenbeit­räge zahlen.

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