Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Rente – so läuft es bei unseren Nachbarn
Im europäischen Vergleich wird in Italien das höchste Altersruhegeld ausgezahlt – doch es gibt einen Haken. Ein Überblick
Berlin. Wer das Informationsschreiben von der Rentenversicherung über die künftige Höhe seiner Altersbezüge liest, reibt sich die Augen: Das soll alles sein? Das Rentenniveau ist seit Jahren gesunken, soll aber nicht unter 48 Prozent fallen. Trotzdem kann das System nur noch über großzügige staatliche Zuschüsse finanziert werden. Wie läuft es bei unseren Nachbarn in Europa? Auch wenn sich die Rentensysteme nur schwer vergleichen lassen, weil sie oft sehr unterschiedlich aufgebaut und finanziert sind, lohnt sich ein Blick über die Grenzen. Wieso bekommen italienische Rentner mehr als 90 Prozent ihres letzten Nettoeinkommens? Warum ist die Durchschnittsrente in Frankreich höher als in Deutschland und weshalb kann die Spitzenrente bei 7000 Euro liegen? Ein Überblick:
Niederlande:
Das Rentensystem in den Niederlanden setzt auf einen Mix aus umlagefinanzierter Rente aus der obligatorischen Volksversicherung, betrieblicher und privater Altersvorsorge. Das Renteneintrittsalter liegt aktuell mit 66 Jahren und zehn Monaten höher als bei uns, schon nächstes Jahr gilt die Rente mit 67 – die Altersgrenze wird regelmäßig an die steigende Lebenserwartung angepasst, 2028 kommen drei Monate hinzu.
Die Ausgestaltung des Systems unterscheidet sich stark von der deutschen Praxis: Die Altersbezüge fallen deutlich höher aus, gesonderte Beamtenpensionen gibt es nicht, vorgezogene Altersrente auch nicht. Auf die Grundrente hat ab Erreichen der Altersgrenze jeder Anspruch, der mindestens ein Jahr in den Niederlanden gelebt und sozialversicherungspflichtig gearbeitet hat – auch wenn er sonst keine eigenen Beiträge zahlte. Die Höhe der Grundrente richtet sich nach der Versicherungsdauer, erst ab 50 Jahren gibt es die volle Rente: Sie muss mindestens 70 Prozent des Mindestlohns plus Urlaubsgeld betragen, aktuell 1430 Euro.
Die Rentenbeiträge von etwa 18 Prozent zahlen die Arbeitnehmer allein, Erwerbslose sind beitragsfrei versichert. Nur an der zweiten Säule, einer verpflichtenden betrieblichen Altersvorsorge, beteiligen sich auch die Arbeitgeber, rund 90 Prozent aller Niederländer zahlen in diese Betriebsrente ein. Beide Töpfe zusammen ergeben für die meisten Senioren eine sehr ordentliche Rente, die für Durchschnittsverdiener bei rund 70 bis 80 Prozent des früheren Einkommens liegt – deutlich mehr als bei uns. Die Kehrseite: Während des Erwerbslebens müssen die Niederländer vergleichsweise hohe Summen für die Rente abzweigen, auch die übrigen Beitragslasten und Steuern für Arbeitnehmer sind relativ hoch.
Italien:
Die gesetzliche Rentenversicherung Italiens ist ein öffentlich-rechtliches Regelsicherungssystem und wird im sogenannten Umlageverfahren finanziert. Es wird unterschieden zwischen der mit der deutschen Regelaltersrente vergleichbaren „Pensione di vecchiaia“und der „Pensione anticipata“(vorgezogene Altersrente), die von ihrem Charakter her der deutschen Altersrente für langjährig Versicherte entspricht.
Für die gesetzliche Altersrente müssen die Italiener seit 2019 neben einer Beitragszeit von mindestens 20 Jahren das Rentenalter von 67 Jahren erreicht haben. Das gilt bis 2026 und für alle Arbeitnehmer. Für die vorgezogene Rente müssen die Italiener eine Beitragszeit von mindestens 42 Jahren und zehn Monaten haben, wenn sie männlich sind, von mindestens 41 Jahren und zehn Monaten, wenn sie weiblich sind. Italien gibt fast 16 Prozent der Wirtschaftsleistung für Renten aus. Die Rentner bekommen durchschnittlich 91,8 Prozent vom letzten Nettoeinkommen überwiesen. Die Höhe der Rente ist nicht gedeckelt. Die Kehrseite: Der Verdienst im Berufsleben ist im Schnitt niedriger, außerdem zahlen Italiener Rentenbeiträge in Höhe von 33 Prozent des Gehalts. Zwei Drittel davon übernimmt der Arbeitnehmer. Die Durchschnittsrente liegt bei 1359 Euro. Renten
werden wie Einkommen besteuert.
Frankreich:
Das Rentensystem in Frankreich wird hauptsächlich über Beiträge der Arbeitnehmerund Arbeitgeberseite finanziert. Allerdings sind die Beitragssätze höher als in Deutschland, ebenso wie die Durchschnittsrente. Sie liegt etwas über 1500 Euro brutto im Monat, Spitzenrenten können sogar 7000 Euro erreichen. Derzeit gilt noch ein Renteneintrittsalter von 62 Jahren, es wird jedoch aufgrund einer soeben verabschiedeten und höchst umstrittenen Reform schrittweise auf 64 Jahre angehoben. Ebenfalls schrittweise wird bis 2027 die Beitragsdauer für den
Bezug einer vollen Rente von 41 auf 43 Jahre erhöht. Schon heute liegt das durchschnittliche Renteneintrittsalter bei 63 Jahren und drei Monaten. Ausnahmeregeln gelten für Polizisten, Soldaten, Zugführer oder Feuerwehrleute, die zum Teil schon zehn Jahre früher in Rente gehen. Umgekehrt gilt, dass spät ins Berufsleben eingestiegene Akademiker häufig erst mit 67 Jahren in Rente gehen, weil ab diesem Alter die volle Rente auch dann ausgezahlt wird, wenn die vorgeschriebene Zahl der Beitragsjahre nicht erreicht wurde. Der 2022 noch ausgeglichenen Rentenkasse drohen schon in Kürze Milliardendefizite. Das hat neben der hohen Lebenserwartung der Franzosen (die höchste in der EU) und der damit verbundenen Überalterung der Gesellschaft zu tun.
Österreich:
Das Rentensystem in Österreich besteht aus drei Säulen: einer gesetzlichen, einer betrieblichen (eine freiwillige Zusatzleistung) und einer privaten Vorsorge, die staatlich gefördert wird. Grundsätzlich ist das Rentensystem ein umlagefinanziertes Modell. Allerdings wurden im Jahr 2014 für alle nach 1955 geborenen Beitragszahler Pensionskonten installiert, über die das System transparenter werden und künftige Bezüge ersichtlicher sein sollen.
Weiter gilt: Die Finanzierung des Systems erfolgt durch Beitragszahlungen
mit unterschiedlichen Beitragssätzen. Nichtselbstständige zahlen 22,8, Selbstständige 18,5, Landwirte 17 Prozent. Hinzu kommen aber unterschiedliche Rentenmodelle für Angestellte, Beamte oder Selbstständige. Aktuell gilt als Eintrittsalter: 60 Jahre bei Frauen, 65 Jahre bei Männern. Bei Frauen ist eine schrittweise Erhöhung des Eintrittsalters bis 2033 auf 65 Jahre vereinbart. Für die Berechnung der Rentenhöhe wird die Summe der 480 höchsten Einkommensmonate herangezogen. Die Mindestrente beträgt 1110 Euro, die Höchstrente 3477 Euro. Die durchschnittliche Rente von Frauen liegt bei 1192 Euro – deutlich unter der von Männern (1917 Euro).
Spanien:
Seit Jahren wird in Spanien versucht, die staatliche Rentenkasse an den demografischen Wandel anzupassen. Jetzt soll die Schieflage vor allem mit einem Solidaritätszuschlag auf die Beiträge der Besserverdienenden ausgeglichen werden. Das Hauptproblem: Die Zahl der Rentenbezieher steigt kontinuierlich. In Spaniens Rentenkasse klafft ein tiefes Loch, das der Staat mit milliardenschweren Überweisungen füllen muss. Auch deswegen wurde schon vor Jahren das gesetzliche Rentenalter von 65 auf 67 Jahre stufenweise erhöht.
Im Jahr 2023 beträgt das reguläre Eintrittsalter 66 Jahre und vier Monate. Wer 37 Jahre und neun Monate lang Beiträge gezahlt hat, kann schon früher ohne Abzüge sein Altersgeld beziehen. Das mittlere Renteneintrittsalter in Spanien ist derzeit 65. Die durchschnittliche Höhe der Altersrenten liegt bei 1371 Euro brutto, die im Jahr vierzehnmal ausgezahlt wird. Nach OECD-Angaben beträgt die Nettorente 80 Prozent des mittleren Nettolohns vor dem Ruhestand. Der Beitragssatz für die Rentenversicherung beläuft sich im Jahr 2023 auf 28,3 Prozent des Bruttolohns – davon zahlt der Arbeitgeber 23,6 und der Arbeitnehmer 4,7 Prozent. Die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung hat wegen ungewisser Zukunftsaussichten eine zusätzliche private oder betriebliche Altersversicherung. Und: 75 Prozent der Spanier haben Wohneigentum.