Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Was den Leopard antreibt
Die Firma Renk baut Getriebe für die Rüstungsindustrie. Ein Einblick hinter verschlossene Türen
Augsburg. Kaum ein Satz passt besser zum Topprodukt des Unternehmens: „Da jagen sie 15.000 PS durch ein Schweizer Uhrwerk“, sagt Susanne Wiegand. Es geht um enorme Kraft, es geht um Präzision. Und ein bisschen spielt die Chefin von Renk in Augsburg auch mit der Größe: Die Armbanduhr verhält sich zu den meisten Getrieben, die das Werksgelände verlassen, wie ein Bobbycar zum Leopard 2.
Ohne Renk kommt kaum ein Panzer in Europa vom Fleck. Das Unternehmen baut Spezialgetriebe für die Kampfmaschinen und noch viel größere für Fregatten, Eisbrecher und die Industrie. Selten lässt die Firma einen Blick in die Produktion zu, die unscheinbar an einer Ausfallstraße in einem Wohngebiet liegt. Doch die Produktionshallen haben es in sich.
Die älteste stammt von 1892, die neueste, Halle 18, von 2019. Zu hören sind das Knattern der Akkuschrauber und vereinzelte dumpfe Hammerschläge. Ab und an zischt Pressluft. Hier werden auf zwei Stockwerken und insgesamt 10.000 Quadratmetern Panzergetriebe hergestellt. In Taktfertigung: Jeden Tag wandern die Getriebe in den Produktionslinien eine Montagestation weiter. Je nach Getriebetyp dauert es vom Rohgehäuse bis zur letzten Schraube zehn bis 15 Tage.
Alles sehr bedächtig, alles sehr sauber, kein Ölgeruch. Hier geht es um Präzision, nicht um Tempo. Bis zu 20.000 Teile werden verbaut, viele fertigt Renk selbst. Das Getriebe für den Leopard 2 hat das Format eines großen Schreibtisches, kann die 1500 PS des Antriebs gut umsetzen, wiegt gut 2,2 Tonnen, so viel wie eine Mercedes-S-Klasse. Der ganze Panzer kommt je nach Ausstattung auf 50 bis 70 Tonnen.
Anders als ein Autogetriebe, das nur die hohe Motordrehzahl in geringere Drehzahlen für die Reifen umsetzt, muss das im Kettenpanzer nicht nur schalten, sondern auch lenken und bremsen, wie Produktionsleiter Stefan Müller sagt. Wobei Fahrzeuge vor allem Panzer heißt: Puma, Panzerhaubitze, Lynx, Leopard 2, Leclerc.
Firma mit 3400 Mitarbeitern soll an die Börse gebracht werden
Bis vor Kurzem war Renk eher verschwiegen, schließlich zählt das Unternehmen zur ungeliebten deutschen Rüstungsindustrie. Außerdem gehörte es über den Lastwagenund Motorenbauer MAN zum VWKonzern. Zwischen Autos und Lkw passten Großgetriebe für Panzer, Schiffe und Windanlagen nicht so recht, entsprechend wenig interessierte sich die Konzernzentrale im fernen Wolfsburg für die Augsburger. 2020 kaufte der Finanzinvestor Triton mit Sitz in London den Getriebebauer
für einen hohen dreistelligen Millionenbetrag. Seither wird Renk mit seinen rund 3400 Mitarbeitern umgekrempelt und soll börsenfähig werden. Chefin Wiegand, die vorher unter anderem in der Führung des Panzerbauers
Rheinmetall und der Marinesparte von Thyssenkrupp arbeitete, treibt den Umbau voran.
Die Industrie benötigt ebenfalls Getriebe – wie den blau lackierten, containergroßen Kasten in der nächsten Halle, aus dem vorn zwei
silberne Wellen mit mehr als 20 Zentimeter Durchmesser ragen. Das Getriebe, Gewicht 100 bis 105 Tonnen, geht an einen Kunststoffhersteller. Angebaut werden noch ein Antrieb und vorn „eine Art Fleischwolf, der bis zu 100 Tonnen Kunststoff pro Stunde durchdrückt“, sagt Produktionsleiter Thomas Weichselbaumer.
Hauptgeschäftsfeld ist aber das Militär. Zwischen 40 und 50 Armeen beliefert Renk – Nato-Partner, Japan, Kanada, Südkorea. Etwa 70 Prozent der 850 Millionen Euro setzte Renk im vergangenen Jahr mit Panzer- und Schiffsgetrieben um. Auch hier sehen sie Potenzial. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist vielen Ländern klar geworden, dass sie in Verteidigung investieren müssen. Deutschland hat 100 Milliarden Euro bereitgestellt. Wenn Geld davon für neue Panzer ausgegeben wird, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Renk davon profitiert. Ebenso, wenn neue Schiffe gekauft werden.
Das Größte, was sie hier am Stammsitz gebaut haben, war ein Planetengetriebe mit gut 350 Tonnen Gewicht. Die Clemson University in den USA hatte es für einen Windkraftprüfstand bestellt. Und hier kam sogar Renk an seine Grenzen: „Wir mussten es in zwei Teilen bauen, weil wir auf 200 Tonnen begrenzt
sind“, sagt Weichselbaumer. Das Getriebe montierten dann die Kollegen in Rheine, die mehr Gewicht verarbeiten können.
Johann Julius Renk begann sein Geschäft vor 150 Jahren
Das Produkt dürfte deutlich größer gewesen sein als der Raum, in dem Johann Julius Renk sein Geschäft vor 150 Jahren begann. Die ersten Zahnräder haben auch nur vom Ansehen her etwas gemein mit Zahnrad und Welle, die hier neben einem Schiffsgetriebe im Garagenformat (35 Tonnen) stehen: etwa 3,20 Meter Durchmesser hat das Rad, die Zähne auf 1/3000 Millimeter genau geschliffen, 26,7 Tonnen Gewicht. „Das entspricht 19 Porsche Boxster S“, sagt Produktionsleiter Weichselbaumer. „Ist in Leichtbauweise ausgeführt.“
Welle und Zahnrad sind für ein sogenanntes Turbogetriebe vorgesehen und gehen nach Asien. Dorthin liefert Renk per Schiff. Allerdings hat der Standort Augsburg keinen Wasseranschluss, weshalb die Zahnräder und Schiffsgetriebe per Lkw mit Überbreite auf festgelegten Strecken transportiert werden. Straßenschilder werden herausgezogen, Ampeln umgelegt, wie Bechtel sagt. „Die fahren schon mal drei oder vier Tage, immer nachts.“Langsam. Und präzise.