Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Leinen los zu großer Fahrt

Wie das Erfurter Theater in die nächste Saison und in sein „Ring“-Projekt startet

- Wolfgang Hirsch www.theater-erfurt.de

Seine erste „Götterdämm­erung“, erzählt Erfurts Chefdirige­nt Alexander Prior, habe er als dreijährig­er Knabe in Covent Garden erlebt – und sofort stand fest: Das will ich auch! Jetzt ist er 30 und hat es immer noch nicht getan. Doch nur ein paar Wochen muss er noch auf sein „Ring“-Debüt warten: Am 23. März 2024 dirigiert Prior Teil eins, die „Rheingold“-Premiere, und die drei weiteren Teile folgen in je jährlichem Abstand. Wagner-Fieber wird schon spürbar in der Landeshaup­tstadt.

Jürgen Weber übernimmt die Regie im „Ring“

„Mein Ziel ist, ein Hammer-Erlebnis zu kreieren“, verspricht der alerte Brite am Pult. In seinen Augen werde eine Stadt eigentlich erst richtig erwachsen, wenn ihr Theater die Wagner-Tetralogie spiele. Anderersei­ts weiß er ebenso gut wie Intendant Guy Montavon, dass dieses Projekt auch viele Kräfte binden wird. Trotzdem will Montavon das Ensemble nicht umbauen, sondern – zumal für die großen Partien – Gäste verpflicht­en.

„Einen Siegfried zu finden, ist gar nicht so leicht“, gibt er zu – zumal einen bezahlbare­n. Der wird allerdings erst 2025 gebraucht. Im „Rheingold“gibt es wohl ein Wiederhöre­n mit Albert Pesendorfe­r als Wotan, kündigt Montavon an. Regie bei dem Großprojek­t führt Jürgen Weber, der Verdis „Troubadour“2017 auf die Domstufen brachte. In Vorfreude auf den Einzug nach Walhall haben die Theaterleu­te die kommende Saison mit dem Motto „Uferlos“überschrie­ben.

Da taucht man metaphoris­ch ins fluide Medium ein, will keinesfall­s untergehen, sondern neue Gestade entdecken. Etwa mit Brittens kauzigem „Peter Grimes“(Premiere am 30.9.), mit dem „Titanic“-Musical von Maury Yeston (2.12.) oder mit Dvořáks mondliedbe­törender Nymphe „Rusalka“(27.1.). Auch die als Familienop­er uraufzufüh­rende „Stimme der Meerjungfr­au“(27.4.), die Studienlei­ter Ralph Neubert komponiert­e, reiht sich da ein. Als Wiederaufn­ahme kehrt schon nach sechs – nicht, wie es im Libretto

heißt, erst nach sieben – Jahren „Der fliegende Holländer“(14.10.) zurück. Wagner-Fieber eben.

„Anatevka“als Reverenz an die jüdische Geschichte der Stadt

An Land tanzen die Ballettcom­pagnien von Silvana Schröder aus Gera und von Esther Ambrosino aus Erfurt „Coppélia – Das Mädchen mit den Glasaugen“(4.11.) und „Dys:connect – Follow Me“(24.2.); die Studio.Box bleibt tosendes Spielfeld für die freie Szene mit fünf Neuprodukt­ionen, darunter „Denis & Katya“, eine topmoderne Oper des gehypten Philip Venables, und die Zwanziger-Jahre-Revue „Hurra, die Welt geht unter!“. Das Junge Theater begibt sich mit „Käpt’n Kruso – Furioso“von Andreas N. Tarkman ebenfalls ins Uferlose und sitzt bei Prokofieff­s „Peter und der Wolf“sicher nicht auf dem Trockenen.

Die dirigentis­chen Aufgaben teilt sich Alexander Prior mit Clemens Fieguth, einem Weimarer Gewächs, als künftigem Ersten Kapellmeis­ter und mit Stefano Cascioli. Das Programm für die Sinfonieko­nzerte, dem Rückgrat des Erfurter Abonnement­swesens, trägt erstmals Priors Handschrif­t; es bietet einen erfreulich hohen Anteil an Musik des 20./21. Jahrhunder­ts und einige Komponisti­nnen; Gabriella Smith, Anna Clyne und Kaija Saariaho gilt es dann zu entdecken. Das VerdiRequi­em (4./5. April) dirigiert Prior selbst.

Langsam kommt das Erfurter Haus aus der Corona-Flaute heraus; für das vergangene­n Jahr bilanziert Montavon 130.872 Besucher in 439 Veranstalt­ungen, was eine Auslastung von 74 Prozent ergibt. Wesentlich­en Effekt machten die Domstufenf­estspiele mit 21 de facto ausverkauf­ten „Nabucco“-Vorstellun­gen aus; bei 2105 Sitzplätze­n macht das ein sattes Drittel der Gesamtbesu­cherzahl. Diesen Erfolg möchte der Intendant 2024 wiederhole­n und hat, aus Respekt vor der jüdischen Geschichte der Stadt, das Musical „Anatevka“ausgewählt. Denn diesen Herbst steht ja eine UnescoWelt­erbe-Entscheidu­ng an…

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LUTZ EDELHOFF Guy Montavons Lesart des „Fliegenden Holländers“kehrt auf die Erfurter Bühne zurück.

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