Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Mann ohne Beine besteigt höchsten Berg der Welt
Hari Budha Magar (43) bezwingt in einer Extremtour den Mount Everest
Berlin. Als er am Ziel war, als er den höchsten Gipfel der Welt erklommen hatte, wollte er nur noch eins: Danke sagen. Danke an sein Team, das diese Sensation überhaupt möglich gemacht habe. Und Danke für sein Schicksal, so der Mann, der ohne Beine den legendären Gipfel bezwang. „Ohne den Verlust wäre ich nicht auf den Mount Everest geklettert, und selbst wenn, hätte es nicht viel bedeutet“, sagte Hari Budha Magar. Seine Besteigung sei als Botschaft für Menschen mit Behinderung gedacht: „Wir können alles schaffen.“
Hari Budha Magar (43) hatte seit Jahren nur noch ein Ziel. Er wollte Geschichte schreiben. Er wollte der erste doppelt oberschenkelamputierte Bergsteiger sein, der den 8849 Meter hohen Gipfel erreicht. Wissenschaftler hatten ihm Hightech-Prothesen mit besonderen Spikes angepasst. Doch dann machte der Berg eine andere Variante nötig: Der Nepalese kletterte einen Großteil der Extremstrecke nur mithilfe seiner Hände hoch. Am Freitag um 15 Uhr war es dann so weit, wie es auf seiner Webseite heißt: Ziel erreicht. Gestartet war Magar am 17. April.
Die Bedingungen waren hart: 18 Tage harrten der ehemalige Soldat und sein Team im Everest-Basislager aus, bevor sie den Gipfel erklimmen konnten. Die Kälte machte ihnen zu schaffen. „Es war alles gefroren“, erzählte Magar der Nachrichtenagentur PA. „Sogar unser warmes Wasser, das wir in die Thermoskannen gefüllt hatten, war gefroren.“Dann aber grünes Licht für eine Tour, die weltweit Staunen auslösen sollte.
Eine Botschaft an Menschen mit Behinderung
Nach elf Tagen war er, gemeinsam mit seinem nepalesischen Weltklasseteam, am Ziel. Viele Bergsteiger brauchen etwa eine Woche. Dann die Jubelbotschaft: „Wir haben es geschafft!“, rief er übers Satellitentelefon. Seine Botschaft hatte ihn beflügelt: „Wenn ich an die Spitze der Welt klettern kann, kann jeder, unabhängig von seiner Behinderung, seinen Traum verwirklichen. Egal wie groß ihre Träume sind, egal wie herausfordernd ihre Behinderung ist, mit der richtigen Einstellung ist alles möglich.“
Schon als Kind faszinierte ihn die Geschichte der Besteigung des Everest. Magar wurde in einem kleinen Dorf am Fuße des Himalaya geboren. Er schaute gern auf die Schwarz-Weiß-Bilder der Legenden
Sir Edmund Hillary und Tenzing Norgay, denen im Mai 1953 die Erstbesteigung gelang. Der Mount Everest war immer in seinem Kopf, doch sein Leben nahm eine andere Richtung. Er wurde Soldat der Gurkha, so steht es auf seiner Webseite. Die in der britischen Armee dienenden Elitesoldaten galten als die härtesten Kämpfer der Welt.
2010 passierte das Unheil: Während einer Patrouille in Afghanistan trat Magar auf einen Sprengsatz. Im Bruchteil von Sekunden änderte sich sein Leben. Er verlor beide Beine oberhalb des Knies. Jetzt begann für ihn ein neuer Kampf: Er wollte wieder gehen können. Und mehr: Er wollte der Welt eine Lehre erteilen. Behinderungen, das bedeutete in Nepal ein Stigma, schreibt Magar. Eine Art Strafe für Fehler aus früheren Leben. Das wollte er so nicht gelten lassen. Nach einem Monat Krankenhaus kam die Härtetour: Ein Jahr lang arbeitete er unermüdlich daran, auf seinen Beinprothesen laufen zu können. Oder besser gesagt: auf seinen Prothesen
Abenteuer zu bestehen. Jeder Erfolg war eine Bestätigung für sein Selbstwertgefühl, das oft auf die Probe gestellt wurde, auch durch Sprüche wie diesen: warum er keine Hosen über seine Prothesen ziehe. Sein Anblick war für viele seiner Landsleute eine Provokation. Kurzzeitig verfiel er in Depressionen.
Doch dann zogen ihn die Demütigungen nicht mehr in die Tiefe, sondern machten Höchstleistungen möglich: Fallschirmspringen, Skifahren, Hochgebirgsklettern. Und dann kam der ultimative Plan.
Immer wieder haben Menschen mit Handicap versucht, den Gipfel der Gipfel zu bezwingen. Auch
Beinamputierte wagten das Abenteuer. Dem neuseeländischen Extremsportler Mark Inglis gelang es 2006 als erstem beidseitig Beinamputierten, den Everest zu erklimmen. Nach seiner Expedition mussten wegen Erfrierungen seine Beine weiter eingekürzt werden.
Magar scheiterte fast an den Sicherheitsvorschriften vor Ort. Nepal hatte 2017 „Blinden und doppelamputierten Bergsteigern“die Besteigung verboten. Magar war entsetzt. Sein Team hatte ihn bestens vorbereitet. Spezialprothesen waren angefertigt. Alles umsonst? Magar gab nicht auf. Er schloss sich mit Bergsteigern und Behindertenorganisationen zusammen. 2018 wurde das Verbot aufgehoben.
Diese Szene hatte er oft durchgespielt: wie er am Gipfel steht und auf die Welt blickt. Doch dazu blieb kaum Zeit. Das Wetter war extrem schlecht. Und die Sicht auch. Aber all das zählt nicht für Hari Budha Magar. Was für ihn zählt, ist nur eins: dass er seinen Traum verwirklicht hat..