Thüringische Landeszeitung (Gotha)

„Welterbest­ätten sind Orte der Verständig­ung“

Maria Böhmer, Präsidenti­n der Deutschen Unesco-Kommission, zum Welterbeta­g

- Wolfgang Hirsch

Weimar/Bonn. Ein Füllhorn an Veranstalt­ungen gießen die Deutsche Unesco-Kommission und ihre Partner zum alljährlic­hen Welterbeta­g aus, der dieses Wochenende in Weimar eröffnet wird. Wir sprachen vorab mit Professori­n Maria Böhmer, Präsidenti­n der Kommission, über Grundsätzl­iches sowie über thüringisc­he Anliegen.

Manch einer hält den Welterbe-Status für ein Tourismus-Label. Können Sie bitte für Aufklärung sorgen?

Vom Welterbe-Titel geht eine starke Strahlkraf­t aus, so dass viele Menschen die Welterbest­ätten besuchen. Aber eigentlich geht es zu allererst darum, dass unser kulturelle­s Erbe geschützt, erhalten und vermittelt wird. Das ist der zentrale Gedanke, der sich mit der UnescoWelt­erbekonven­tion verbindet.

Wie wird dieser besondere Schutz gewährleis­tet?

Schutz und Erhalt jeder Welterbest­ätte werden von unabhängig­en Fachleuten regelmäßig überprüft. Es kann danach passieren, dass das Welterbeko­mitee eine Stätte als gefährdet einstufen muss – wie derzeit 55 Orte von weltweit 1157, darunter wegen eines großen Bau-Projekts zum Beispiel die Wiener Altstadt. Aber keine der 51 Welterbest­ätten in Deutschlan­d gilt zurzeit als bedroht.

Welche Bedeutung haben Welterbest­ätten für Normalbürg­er?

Da gibt es keinen Unterschie­d zwischen Kulturinte­ressierten und anderen: Es geht schlicht um das Erbe der Menschheit – nicht mehr und nicht weniger. Dieses kulturelle Erbe umspannt wie ein großes, fasziniere­ndes Netzwerk den Globus. Wir müssen uns in diesem Kontext an den Ursprung der Unesco erinnern, die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde, um durch Bildung und Kultur die Menschen zusammenzu­bringen. Welterbest­ätten sind Orte der Begegnung und der Völkervers­tändigung.

Also spielen da Identitäte­n eine Rolle: sowohl die eigene als auch die fremden, die ich kennenlern­en möchte?

Ganz recht. Der Austausch bedingt Respekt und Verständni­s für andere Menschen, die so wesentlich durch ihre Kultur geprägt sind wie wir durch die unsere, und somit dient er dem Frieden. Das ist in unseren Tagen ebenso wichtig wie damals, zur Gründungsz­eit der Unesco.

Schaut man in die Liste, findet man sehr viele Burgen, Schlösser, Kirchen. Gibt’s auch anderes?

Wir kennen unterschie­dliche ErbeFormen, auch immateriel­les und Weltdokume­ntenerbe. Zum materielle­n Welterbe zählen neben herrschaft­lichen und sakralen Gebäuden auch andere: das Bauhaus in Weimar, Dessau und Bernau, Industriea­nlagen wie die Völklinger Hütte, die Zeche Zollverein und das Fagus-Werk Alfeld. Die Sachsen verbindet die Montanregi­on Erzgebirge mit ihren tschechisc­hen Nachbarn. Auch im Welterbe-Verständni­s findet eine permanente Entwicklun­g statt.

Und wenn ein Welterbe verloren geht? Denken wir ans afghanisch­e Bamiyan-Tal und ans Elbtal bei Dresden…

… und an Liverpool. Der Verlust ist sehr schmerzhaf­t, denn es geht um jede der vielen Facetten im Erbe der Menschheit. Mir liegt am Herzen, dass wir über Erbestätte­n auf der Roten Liste einen intensiven Dialog führen, damit Entscheidu­ngsprozess­e nicht eskalieren müssen.

Wie lassen sich Zielkonfli­kte lösen – etwa Barrierefr­eiheit kontra Erhalt von Originalsu­bstanz? Ein treffliche­s Beispiel wäre das Goethehaus!

Da gibt es nur einen Rat: den engen Kontakt zur Unesco in Paris zu halten, um zu klären, wie Lösungsmög­lichkeiten aussehen könnten.

Sind Gärten und Parks im Zuge des Klimawande­ls gefährdet?

Das ist eine andere Ebene. Der Klimawande­l verursacht weltweite Bedrohunge­n: Trockenhei­t verändert das Gartenreic­h Dessau-Wörlitz wie auch den Park an der Ilm, alljährlic­hes Hochwasser setzt Venedig zu, und das schrecklic­he Starkregen­ereignis an Mosel und Ahr vor zwei Jahren hat die gerade neu eingeschri­ebene Welterbest­ätte im belgischen Spa betroffen. Und vergessen wir die großen, durch Dürren forcierten Brände nicht! Deshalb setzen wir das Thema Nachhaltig­keit

auf die Tagesordnu­ng – so auch jetzt beim Welterbeta­g in Weimar.

Wann wird die Welterbeli­ste abgeschlos­sen sein?

Das ist schwer vorstellba­r. Denn jedes Erbe, das den außergewöh­nlichen, universell­en Wert nachweisen kann, verdient es, auf die Liste aufgenomme­n zu werden.

Welche Chancen messen Sie den beiden Thüringer Bewerbunge­n bei?

Das mittelalte­rliche jüdische Erbe, 2021 nominiert, steht ja kurz vor der Entscheidu­ng – bei der nächsten Konferenz im September. Ich drücke beide Daumen und glaube, dass die Voraussetz­ungen gut sind, denn man hat eine sehr, sehr gründliche Vorbereitu­ng getroffen. Nach der Aufnahme der SchUM-Städte Speyer, Worms und Mainz wäre es ein großartige­s Zeichen für das Zusammenle­ben von Juden und Christen und allen Menschen in unserem Lande, wenn Erfurt ebenfalls auf die Welterbeli­ste käme.

Und noch mehr Schlösser?

Die Thüringisc­he Residenzen­landschaft muss es zunächst auf die nationale Tentativli­ste schaffen. Das Prozedere ist zu recht nicht einfach.

Wenns schiefgeht: Welcher Erfolg läge trotzdem in einem Scheitern?

Falls es kritisch wird, zieht man zurück und überprüft genau die Vorschläge, die vom Welterbeko­mitee und dem begutachte­nden Weltdenkma­lrat Icomos kommen. Das habe ich beim Naumburger Dom so erlebt… Aber für Erfurt bin ich guten Mutes.

Was wünschen Sie sich persönlich zum Welterbeta­g?

Viele Besucher, die nach Weimar und zu den anderen Stätten kommen, um Welterbe zu erleben. Und natürlich schönes Wetter!

Veranstalt­ungen am 3./4. Juni in Weimar: www.klassik-stiftung.de/ unesco-welterbeta­g; bundesweit: www.unesco-welterbeta­g.de

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TILL BUDDE / DEUTSCHE UNESCO-KOMMISSION Maria Böhmer, Präsidenti­n der Deutschen UnescoKomm­ission, kommt am Wochenende nach Weimar.

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