Thüringische Landeszeitung (Gotha)
„Welterbestätten sind Orte der Verständigung“
Maria Böhmer, Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission, zum Welterbetag
Weimar/Bonn. Ein Füllhorn an Veranstaltungen gießen die Deutsche Unesco-Kommission und ihre Partner zum alljährlichen Welterbetag aus, der dieses Wochenende in Weimar eröffnet wird. Wir sprachen vorab mit Professorin Maria Böhmer, Präsidentin der Kommission, über Grundsätzliches sowie über thüringische Anliegen.
Manch einer hält den Welterbe-Status für ein Tourismus-Label. Können Sie bitte für Aufklärung sorgen?
Vom Welterbe-Titel geht eine starke Strahlkraft aus, so dass viele Menschen die Welterbestätten besuchen. Aber eigentlich geht es zu allererst darum, dass unser kulturelles Erbe geschützt, erhalten und vermittelt wird. Das ist der zentrale Gedanke, der sich mit der UnescoWelterbekonvention verbindet.
Wie wird dieser besondere Schutz gewährleistet?
Schutz und Erhalt jeder Welterbestätte werden von unabhängigen Fachleuten regelmäßig überprüft. Es kann danach passieren, dass das Welterbekomitee eine Stätte als gefährdet einstufen muss – wie derzeit 55 Orte von weltweit 1157, darunter wegen eines großen Bau-Projekts zum Beispiel die Wiener Altstadt. Aber keine der 51 Welterbestätten in Deutschland gilt zurzeit als bedroht.
Welche Bedeutung haben Welterbestätten für Normalbürger?
Da gibt es keinen Unterschied zwischen Kulturinteressierten und anderen: Es geht schlicht um das Erbe der Menschheit – nicht mehr und nicht weniger. Dieses kulturelle Erbe umspannt wie ein großes, faszinierendes Netzwerk den Globus. Wir müssen uns in diesem Kontext an den Ursprung der Unesco erinnern, die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde, um durch Bildung und Kultur die Menschen zusammenzubringen. Welterbestätten sind Orte der Begegnung und der Völkerverständigung.
Also spielen da Identitäten eine Rolle: sowohl die eigene als auch die fremden, die ich kennenlernen möchte?
Ganz recht. Der Austausch bedingt Respekt und Verständnis für andere Menschen, die so wesentlich durch ihre Kultur geprägt sind wie wir durch die unsere, und somit dient er dem Frieden. Das ist in unseren Tagen ebenso wichtig wie damals, zur Gründungszeit der Unesco.
Schaut man in die Liste, findet man sehr viele Burgen, Schlösser, Kirchen. Gibt’s auch anderes?
Wir kennen unterschiedliche ErbeFormen, auch immaterielles und Weltdokumentenerbe. Zum materiellen Welterbe zählen neben herrschaftlichen und sakralen Gebäuden auch andere: das Bauhaus in Weimar, Dessau und Bernau, Industrieanlagen wie die Völklinger Hütte, die Zeche Zollverein und das Fagus-Werk Alfeld. Die Sachsen verbindet die Montanregion Erzgebirge mit ihren tschechischen Nachbarn. Auch im Welterbe-Verständnis findet eine permanente Entwicklung statt.
Und wenn ein Welterbe verloren geht? Denken wir ans afghanische Bamiyan-Tal und ans Elbtal bei Dresden…
… und an Liverpool. Der Verlust ist sehr schmerzhaft, denn es geht um jede der vielen Facetten im Erbe der Menschheit. Mir liegt am Herzen, dass wir über Erbestätten auf der Roten Liste einen intensiven Dialog führen, damit Entscheidungsprozesse nicht eskalieren müssen.
Wie lassen sich Zielkonflikte lösen – etwa Barrierefreiheit kontra Erhalt von Originalsubstanz? Ein treffliches Beispiel wäre das Goethehaus!
Da gibt es nur einen Rat: den engen Kontakt zur Unesco in Paris zu halten, um zu klären, wie Lösungsmöglichkeiten aussehen könnten.
Sind Gärten und Parks im Zuge des Klimawandels gefährdet?
Das ist eine andere Ebene. Der Klimawandel verursacht weltweite Bedrohungen: Trockenheit verändert das Gartenreich Dessau-Wörlitz wie auch den Park an der Ilm, alljährliches Hochwasser setzt Venedig zu, und das schreckliche Starkregenereignis an Mosel und Ahr vor zwei Jahren hat die gerade neu eingeschriebene Welterbestätte im belgischen Spa betroffen. Und vergessen wir die großen, durch Dürren forcierten Brände nicht! Deshalb setzen wir das Thema Nachhaltigkeit
auf die Tagesordnung – so auch jetzt beim Welterbetag in Weimar.
Wann wird die Welterbeliste abgeschlossen sein?
Das ist schwer vorstellbar. Denn jedes Erbe, das den außergewöhnlichen, universellen Wert nachweisen kann, verdient es, auf die Liste aufgenommen zu werden.
Welche Chancen messen Sie den beiden Thüringer Bewerbungen bei?
Das mittelalterliche jüdische Erbe, 2021 nominiert, steht ja kurz vor der Entscheidung – bei der nächsten Konferenz im September. Ich drücke beide Daumen und glaube, dass die Voraussetzungen gut sind, denn man hat eine sehr, sehr gründliche Vorbereitung getroffen. Nach der Aufnahme der SchUM-Städte Speyer, Worms und Mainz wäre es ein großartiges Zeichen für das Zusammenleben von Juden und Christen und allen Menschen in unserem Lande, wenn Erfurt ebenfalls auf die Welterbeliste käme.
Und noch mehr Schlösser?
Die Thüringische Residenzenlandschaft muss es zunächst auf die nationale Tentativliste schaffen. Das Prozedere ist zu recht nicht einfach.
Wenns schiefgeht: Welcher Erfolg läge trotzdem in einem Scheitern?
Falls es kritisch wird, zieht man zurück und überprüft genau die Vorschläge, die vom Welterbekomitee und dem begutachtenden Weltdenkmalrat Icomos kommen. Das habe ich beim Naumburger Dom so erlebt… Aber für Erfurt bin ich guten Mutes.
Was wünschen Sie sich persönlich zum Welterbetag?
Viele Besucher, die nach Weimar und zu den anderen Stätten kommen, um Welterbe zu erleben. Und natürlich schönes Wetter!
Veranstaltungen am 3./4. Juni in Weimar: www.klassik-stiftung.de/ unesco-welterbetag; bundesweit: www.unesco-welterbetag.de