Thüringische Landeszeitung (Gotha)
„Spielt andere Geschichten!“
Landestheater Eisenach und Nationaltheater Weimar diskutieren über Geschlechterfragen auf der Bühne
Um 2000 herum stand Marguerite Windblut, damals 14jährig und als Junge wahrgenommen, in High Heels und Kleid auf der Bühne des Eisenacher Landestheaters, in einer Schultheateraufführung. Das schien an diesem Ort ganz unproblematisch gewesen zu sein. „Auf der Straße wäre das anders gewesen.“Windblut, in Eisenach geboren, im nahen Gerstungen zur Schule gegangen, hatte damals das Gefühl, „dass ich hier die einzige Person bin, die ,anders‘ ist.“So wie der „Smalltown Boy“in einer Ballade des britischen Poptrios Bronski Beat, das (seine) Homosexualität regelmäßig zum Thema machte, verließ Windblut, mit 18, die Heimatprovinz und kehrte nun als zu queerfeministischen Themen arbeitende Theaterpädagog*in für einen Tag zurück: als non-binäre Persönlichkeit mit Kleidchen, Nagellack und Nasenring, die „trotz meines Bartes und meines Körpers gern mit ,sie’ adressiert werden möchte.“Und die eine Botschaft im Gepäck hatte: „Liebe Theater, spielt andere Geschichten!“Solche, „an die ich anknüpfen kann.“
Wider stereotype Darstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit
Dergleichen hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits ereignet. Windblut fand es „toll, dass wir queere Narrative sehen konnten“, jenseits einer Großstadt. Auf der Hinterbühne des Landestheaters fand eine Vorstellung von „Bromance“statt, ein Jugendstück des Niederländers Joachim Robbrecht, das Eisenach jüngst zur deutschsprachigen Erstaufführung brachte. Es handelt von drei Jungs in der Provinz, einer fragilen Freundschaft hier und einer erwachenden zarten homosexuellen Liebe dort, besetzt allerdings mit
drei Schauspielerinnen, darunter wiederum eine, die mit dieser Inszenierung en passant ihre ebenfalls non-binäre Existenz endgültig öffentlich machte.
Das Stück markiert am deutlichsten eine Spielzeit des Jungen Schauspiels, die insgesamt im Inhalt und/ oder in der Form die Geschlechterfrage aufwirft. So traten etwa zwei Frauen und zwei Männer im steten Rollentausch in „Die neuen Leiden des jungen W.“auf. Am Dienstag eröffnete „Bromance“einen Fachtag, den das Landestheater mit dem Nationaltheater Weimar zum Thema
ausrichtete: „Gender on stage“, gefördert vom deutschen Ableger der Assistej, der internationalen Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche. Knapp 40 Teilnehmer trafen sich zum Austausch in Gesprächs-, Workshop- und Vortragsrunden, jeweils zur Hälfte Lehrer aus Thüringen sowie Theaterpädagogen und -macher auch aus Leipzig, Dresden oder Frankfurt/ Main; Eisenach selbst verfügt aktuell über keine TheaterpädagogenStelle.
Für Eisenachs leitenden Dramaturgen Christoph Macha, der zudem
im deutschen Assitej-Vorstand sitzt, bedeutete der Tag zugleich ein Finale nach zwei Spielzeiten, bevor er in gleicher Funktion ans Neue Theater und Thalia Theater Halle/S. wechselt. Für den Herbst hat man dort das Stück „Wasted (Verschwendet)“von Kae Tempest programmiert, einer Transperson aus London.
Der Text des Stückes verwendet konsequent Gendersprache. So weit ging man am Landestheater Eisenach bislang nicht. Aber dass sich auf und hinter den Bühnen „etwas verändert“hat, wie es einleitend zu diesem Fachtag hieß, ist auch hier abzulesen.
In der Jugend sah Marguerite Windblut auf Eisenachs Bühne „meistens verhandelte toxische Heterosexualität. Das gab mir keinerlei persönliche Orientierung, geschweige denn ein Gefühl von Repräsentation.“Und auch die Theaterwissenschaftlerin Jenny Schrödl von der Freien Universität Berlin, die zu Inszenierungen von Geschlecht in den performativen Künsten der Gegenwart forscht, konnte vor einigen Jahren an Stadtund Staatstheatern „die zum Teil stereotype Darstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit nicht mehr ertragen.“Da habe sich aber vieles getan, räumte sie ein, nachdem sie über im doppelten Wortsinn diverse Tendenzen in der freien Szene berichtete.
Schrödl nimmt naturgemäß den Metropolenblick ein. Aber auch hierzulande drängt das Thema ans Licht. Theaterwerkstätten des „Art der Stadt Gotha“haben es mit queeren Jugendlichen zu tun (wovon deren Lehrer oder Eltern zum Teil gar nichts wissen), die Altenburger Theaterpädagogin Anna Fricke organisiert für die kommende Spielzeit eine queere Theatergruppe, im Nachgang des Stückes „Liebe macht frei“, das Schauspieldirektor Manuel Kressin über Homosexualität in der NS-Zeit schrieb und inszenierte.
„Wir sind ja alle auf so einem Weg von Transformation“, sagt Christoph Macha unserer Zeitung. Ohnehin sei „Theater eine luzide Kunstform, die sich permanent verändert.“Man könne Dinge ausprobieren. Da gebe es kein Richtig oder Falsch, allenfalls „Trial and Error.“Und bei Jugendlichen, so seine Theatererfahrung, existiere bereits eine neue Normalität im Umgang mit vielfältigen Geschlechtern.