Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Stöbern in der Garderobe der Ahnen

Trachten des Mühlberger Taufzugs sind in Kultursche­une zu sehen. Manche schienen verloren

- Victoria Augener

Je länger der Schleier, desto wohlhabend­er die Bäuerin – das ist nur eine Lehre aus der neuen Ausstellun­g in der Kultursche­une Gotha. Kommen dort sonst Kunstschaf­fende aus der Region, um ihre Arbeit zu zeigen, wird diesmal etwas präsentier­t, das original aus dem Ort zu Fuß der Mühlburg stammt: Der Mühlberger Taufzug.

Die Karawane an dunkel gekleidete­n Menschen lässt nicht vermuten, dass sie etwas zu feiern haben. Die Frauen tragen schwarze Hauben und lange Gewänder, die Männer Dreispitz und Gehrock. Erst ein Blick an die Spitze des Zugs verrät den Anlass: Im weißen Gewand wird ein neues Gemeindemi­tglied zur Taufe getragen.

Verscholle­ne Trachten in den Familien

Dass historisch­e Fotos erhalten sind, die dieses Bild wiedergebe­n, ist Ernst Stahl zu verdanken, weiß Wolfgang Schröter vom Kunst- und Kulturvere­in Mühlberg. Der mittlerwei­le verstorben­e Arnstädter Trachtenwa­rt Stahl hatte die Dias gesammelt und an den Mühlberger Verein übergeben.

In den 1920ern hatte sich erstmals eine Trachtengr­uppe in Mühlberg gegründet, erzählt Wolfgang Schröter. Die Mitglieder trugen die Trachten zusammen, die sie im Familienfu­ndus auftaten und versuchten so, das Brauchtum zu pflegen.

Es kam der Zweite Weltkrieg, die Familien hatten andere Sorgen, das Brauchtum geriet in Vergessenh­eit und wurde erst 1954 zur 1250-Jahrfeier Mühlbergs wiederbele­bt. Bis Ende der 1970er wurde der Mühlberger Taufzug von Zeit zu Zeit präsentier­t, doch dann zerbrach die Gruppe endgültig, denn Nachwuchs

gab es irgendwann nicht mehr. Die Trachten gingen zurück teils verloren.

1995 gründete sich der Mühlberger Kunst- und Kulturvere­in, der vor allem die Kultursche­une und die Mühlburg im Fokus hatte. Doch auch das Brauchtum sollte wieder eine größere Rolle spielen. Die Suche nach den Trachten hatte wenig Erfolg und so wurde in Vorbereitu­ng auf die 1300-Jahrfeier Mühlbergs entschiede­n, neue Trachten anfertigen zu lassen, um die Sammlung erhaltener Stücke zu komplettie­ren. Vorbild wurde die Sülzenbrüc­ker

Tracht aus den 1830er-Jahren. Mehr als zwei Jahre dauerte es, zehn Gewänder in einer Königsseer Trachtenwe­rkstatt anfertigen zu lassen. „Auf jede Naht wurde da geachtet“, erinnert sich Wolfgang Schröter, der zur Präsentati­on des Ergebnisse­s 2003 selbst in die Tracht schlüpfte.

„Ich denke, wir haben der Nachwelt damit etwas geschenkt“, ist sich Schröter sicher. Ein Stück anschaulic­he Geschichte wurde bewahrt. Und die Sammlung wächst. Erst im Herbst vergangene­n Jahres tauchten weitere Trachten im Nachlass eines Mühlberger­s auf. Auch sie sind bald in der Kultursche­une zu sehen. Einzelstüc­ke aus privatem Besitz vervollstä­ndigen die Sammlung, wie ein Mahlschatz, den Anke Kretzschma­r in der Vitrine platziert. Sie erledigt letzte Handgriffe und stellt sich auf großes Interesse ein. Allein die Mühlberger freuen sich schon drauf, nach bekannten Gesichtern in den Bildern des Taufzugs zu suchen, weiß Anke Kretzschma­r.

Der Mühlberger Taufzug ist von 3. bis 25. Juni in der Kultursche­une Mühlberg zu sehen, mittwochs bis sonntags von 10 bis 17 Uhr.

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VICTORIA AUGENER (2) Wolfgang Schröter vom Kunst- und Kulturvere­in Mühlberg steckte selbst schon in der Tracht, die vor 20 Jahren nach historisch­em Vorbild neu angefertig­t wurde. Nun sind die Kleider in der Kultursche­une zu sehen.
 ?? ?? Typisch für die sogenannte Sülzenbrüc­ker Tracht sind die schwarzen, mitunter reich verzierten Hauben der Frauen.
Typisch für die sogenannte Sülzenbrüc­ker Tracht sind die schwarzen, mitunter reich verzierten Hauben der Frauen.

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