Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Stöbern in der Garderobe der Ahnen
Trachten des Mühlberger Taufzugs sind in Kulturscheune zu sehen. Manche schienen verloren
Je länger der Schleier, desto wohlhabender die Bäuerin – das ist nur eine Lehre aus der neuen Ausstellung in der Kulturscheune Gotha. Kommen dort sonst Kunstschaffende aus der Region, um ihre Arbeit zu zeigen, wird diesmal etwas präsentiert, das original aus dem Ort zu Fuß der Mühlburg stammt: Der Mühlberger Taufzug.
Die Karawane an dunkel gekleideten Menschen lässt nicht vermuten, dass sie etwas zu feiern haben. Die Frauen tragen schwarze Hauben und lange Gewänder, die Männer Dreispitz und Gehrock. Erst ein Blick an die Spitze des Zugs verrät den Anlass: Im weißen Gewand wird ein neues Gemeindemitglied zur Taufe getragen.
Verschollene Trachten in den Familien
Dass historische Fotos erhalten sind, die dieses Bild wiedergeben, ist Ernst Stahl zu verdanken, weiß Wolfgang Schröter vom Kunst- und Kulturverein Mühlberg. Der mittlerweile verstorbene Arnstädter Trachtenwart Stahl hatte die Dias gesammelt und an den Mühlberger Verein übergeben.
In den 1920ern hatte sich erstmals eine Trachtengruppe in Mühlberg gegründet, erzählt Wolfgang Schröter. Die Mitglieder trugen die Trachten zusammen, die sie im Familienfundus auftaten und versuchten so, das Brauchtum zu pflegen.
Es kam der Zweite Weltkrieg, die Familien hatten andere Sorgen, das Brauchtum geriet in Vergessenheit und wurde erst 1954 zur 1250-Jahrfeier Mühlbergs wiederbelebt. Bis Ende der 1970er wurde der Mühlberger Taufzug von Zeit zu Zeit präsentiert, doch dann zerbrach die Gruppe endgültig, denn Nachwuchs
gab es irgendwann nicht mehr. Die Trachten gingen zurück teils verloren.
1995 gründete sich der Mühlberger Kunst- und Kulturverein, der vor allem die Kulturscheune und die Mühlburg im Fokus hatte. Doch auch das Brauchtum sollte wieder eine größere Rolle spielen. Die Suche nach den Trachten hatte wenig Erfolg und so wurde in Vorbereitung auf die 1300-Jahrfeier Mühlbergs entschieden, neue Trachten anfertigen zu lassen, um die Sammlung erhaltener Stücke zu komplettieren. Vorbild wurde die Sülzenbrücker
Tracht aus den 1830er-Jahren. Mehr als zwei Jahre dauerte es, zehn Gewänder in einer Königsseer Trachtenwerkstatt anfertigen zu lassen. „Auf jede Naht wurde da geachtet“, erinnert sich Wolfgang Schröter, der zur Präsentation des Ergebnisses 2003 selbst in die Tracht schlüpfte.
„Ich denke, wir haben der Nachwelt damit etwas geschenkt“, ist sich Schröter sicher. Ein Stück anschauliche Geschichte wurde bewahrt. Und die Sammlung wächst. Erst im Herbst vergangenen Jahres tauchten weitere Trachten im Nachlass eines Mühlbergers auf. Auch sie sind bald in der Kulturscheune zu sehen. Einzelstücke aus privatem Besitz vervollständigen die Sammlung, wie ein Mahlschatz, den Anke Kretzschmar in der Vitrine platziert. Sie erledigt letzte Handgriffe und stellt sich auf großes Interesse ein. Allein die Mühlberger freuen sich schon drauf, nach bekannten Gesichtern in den Bildern des Taufzugs zu suchen, weiß Anke Kretzschmar.
Der Mühlberger Taufzug ist von 3. bis 25. Juni in der Kulturscheune Mühlberg zu sehen, mittwochs bis sonntags von 10 bis 17 Uhr.