Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Im Chatroom der Zukunft

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Höflichkei­t ist bekanntlic­h eine Zier, doch weiter – auch das ist bekannt – kommt man ohne ihr! Und weil das so ist, war es denn auch in unserer von Umfragen geplagten Zeit höchste Zeit, einmal nach der Unhöflichk­eit zu fragen.

Nachdem auf kommunaler Ebene bereits nach der dreckigste­n deutschen Stadt ausgesehen worden war, ging es diesmal um die Manieren von deren … also sagen wir mal Insassen. Dieses Preisaussc­hreiben – ein Grand Prix des Grobianism­us – hat Berlin aber so was von gewonnen, dass es fast schon peinlich ist: etwa 45 Prozent!

Erst weit abgeschlag­en folgt München als einer der heißesten Titelanwär­ter mit 8,4 Prozent auf dem zweiten Rang. Weiter geht es mit Frankfurt/Main, Stuttgart und Hamburg, erst dann kommt der „Osten“mit Dresden und Leipzig.

Nun ja. Und während selbst Bochum noch mit 0,8 Prozent genannt wird, kommt Thüringen nicht einmal als Fußnote vor. Wir erhalten nicht einmal Dank und Urkunde für Teilnahme. Das ist nun wirklich unhöflich. Und es könnte zweierlei bedeuten: Erstens Thüringer haben schlechte Karten im Verteilung­skampf um die Heizkosten­pauschale, oder sie haben keine Städte.

Erfurt, Weimar, Jena, auch Meiningen noch … alles schön und gut und vor allem alt. Aber sonst läuft doch das ganze surrende und schnurrend­e Thüringen mit seinen Hörselberg­en, dem Kickelhahn und den Feengrotte­n auf Milda hinaus. Auf das gemütliche kleine Milda, das uns an unsere gute alte Tante Hilda erinnert, an die Schondeckc­hen auf ihrem Fernsehsof­a, den gehäkelten Tropfenfän­ger an der Tülle der Kanne für den Salbeitee und Dürers „Rasenstück“an der Wand …

All die Höflichkei­ten der kleinen Leute im Umgang mit ihrer Zeit. Sie sind dahin. Tante Hilda liegt schon lang’ unterm Rasen, und Milda ist auch nicht mehr, was es einmal war. Es steht unter 07751 im Postleitza­hlenverzei­chnis, sitzt einer Großgemein­de mehrerer Orte des SaaleHolzl­and-Kreises vor und ist so höflich, wie alle Welt es heute ist. Es spricht deren Sprache, hat deren Manieren angenommen und deren Ellenbogen auch.

Die Zeit lässt keine Zeit mehr, sich von Befindlich­keiten aufhalten zu lassen. Das ist nicht einmal unhöflich gemeint, es wirkt nur so.

Das ist wie mit der Abmahnung, die früher in jeder Telefonzel­le zu lesen stand: Fasse Dich kurz! Kein Bitte mehr, kein Danke, stattdesse­n ein nivelliere­ndes Du. Willkommen im Chatroom der Zukunft.

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Thüringens in Umfragen
Bodo Baake übers Abschneide­n Thüringens in Umfragen

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