Thüringische Landeszeitung (Gotha)

„Die Stromverso­rgung ist sicher“

Wirtschaft­sminister Robert Habeck über die Folgen des Atomaussti­egs – und die Kanzlerkan­didatur der Grünen

- Jochen Gaugele

Berlin. Der Ausstieg Deutschlan­ds aus der Atomkraft jährt sich an diesem Montag zum ersten Mal. Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) sagt im Interview mit dieser Redaktion, wie sich jetzt der Strompreis entwickelt – und ob er die Kernfusion für eine Technologi­e der Zukunft hält. Für die nächste Bundestags­wahl macht der Vizekanzle­r eine klare Ansage an seine Partei.

Deutschlan­d hat - mitten in der Energiekri­se – seine letzten Kernkraftw­erke abgeschalt­et. Was sagen Sie den Menschen, die über diese Entscheidu­ng immer noch den Kopf schütteln?

Robert Habeck: Dass alle an die Wand gemalten Schreckens­szenarien nicht eingetrete­n ist. Wir sehen heute, dass die Stromverso­rgung weiter sicher ist, die Strompreis­e auch nach dem Atomaussti­eg gefallen sind und die CO2-Emissionen ebenfalls runtergehe­n.

Soll heißen, die Warnungen vor Engpässen und steigenden Preisen sind aus der Luft gegriffen?

Natürlich war die Lage nach Ausbruch des russischen Angriffskr­ieges angespannt. Wir mussten sehr viele Maßnahmen in kürzester Zeit umsetzen, um die Energiever­sorgung zu stabilisie­ren und die enormen einseitige­n Abhängigke­iten, die Deutschlan­d hatte, zu reduzieren. Das ist gelungen: Wir sind sicher durch zwei Winter gekommen. Wir haben die Gasversorg­ung nach dem Wegfall von russischem Gas gesichert und eine neue, resiliente Gasversorg­ungstruktu­r aufgebaut. Im Stromberei­ch sehen wir auch, dass die Reformen greifen. Der Ausbau der erneuerbar­en Energien nimmt richtig Fahrt auf, wir vereinfach­en und beschleuni­gen Genehmigun­gsverfahre­n, die Preise an den Strombörse­n sind stark gefallen. Seit dem Atomaussti­eg vor einem Jahr um 40 Prozent. Gleichzeit­ig laufen Kohlekraft­werke so wenig wie seit Jahrzehnte­n nicht mehr.

Einspruch! Sie haben Kohlekraft­werke wieder in Betrieb genommen.

Sie können sich denken, dass ich nicht leichten Herzens Kohlekraft­werke länger in der Reserve gehalten habe – aber wir brauchten es als eine Absicherun­g. Fakt ist, dass wir 2023 so wenig Kohle verstromt haben wie seit den 1960er Jahren nicht mehr. Der Anteil erneuerbar­er Energien hingegen lag bei über der Hälfte. Mit der Energiewen­de hat sich Deutschlan­d ein großes Ziel gesetzt und wir sehen – wir sind auf Kurs.

Ist der Atomaussti­eg unumkehrba­r?

Wir haben am 15. April 2023 das vollzogen, was die schwarz-gelbe Koalition 2011 beschlosse­n hat, und daher die letzten deutschen Kernkraftw­erke endgültig abgeschalt­et. Und inzwischen wird deutlich, dass gerade die Regionen in Deutschlan­d mit viel erneuerbar­en Energien echte Standortvo­rteile genießen. Wenn manche dennoch auf die Rückkehr zu Atomenergi­e setzen, sollte man registrier­en, dass internatio­nal Atomenergi­e nicht wettbewerb­sfähig ist und Kosten aktueller Projekte explodiere­n. Die Endlagerfr­age in Deutschlan­d ist weiter ungelöst. Es wäre daher besser, nicht permanent zu hinterfrag­en, worauf sich das Land einmal geeinigt hat, sondern sich auf das Lösen aktueller Probleme zu fokussiere­n. Wir brauchen Verlässlic­hkeit – auch für Investitio­nssicherhe­it. Daher heißt es jetzt: Kurs halten.

Staaten wie Polen steigen in die Kernkraft ein. Verurteile­n Sie das?

Jedes Land trifft seine eigenen Entscheidu­ngen über seinen Energiemix, da mische ich mich nicht ein.

In welcher Größenordn­ung importiere­n wir Atomstrom aus dem Ausland?

Wir haben ausreichen­d eigene Kapazitäte­n, unseren Strombedar­f im Inland zu decken. Gleichwohl nehmen wir am europäisch­en Strombinne­nmarkt teil. Und das ist gut. Wir sichern uns damit in Europa gegenseiti­g ab und verschaffe­n uns

Effizienz- und Kostenvort­eile. Wir haben im letzten Jahr zwei Prozent unseres Bruttostro­mverbrauch­s mit Importen gedeckt. Über die Hälfte der Importe war erneuerbar­er Strom aus Dänemark und Norwegen, der besonders günstig war. Nur rund ein Viertel war Atomstrom aus Frankreich.

Welche Zukunft haben Technologi­en wie die Kernfusion?

Ich schaue da mit großem Interesse drauf. Noch ist die Fusionsene­rgie auf dem Stand der Grundlagen­forschung. Sie hat aber Potenzial – deshalb wird sie auch gefördert. Realistisc­herweise wird sie aber erst in Jahrzehnte­n im Energieber­eich richtig eingesetzt werden können. Erkenntnis­se aus der Kernfusion­sforschung können wir aber auch im Gesundheit­swesen, der Robotik

oder der Raumfahrt nutzen. Also wirklich eine spannende Technologi­e.

Wer regiert das Land, wenn sich der Atomaussti­eg zum zweiten Mal jährt - immer noch die Ampel?

Ja.

Die Grünen liegen in Umfragen unter 15 Prozent. Stellen Sie für die nächste Bundestags­wahl trotzdem wieder eine Kanzlerkan­didatin oder einen Kanzlerkan­didaten auf?

Wir werden alles zur rechten Zeit entscheide­n, jetzt steht diese Debatte nicht an. Deutschlan­d und Europa stehen vor der großen Herausford­erung, sich in einer krisengebe­utelten Welt selbst zu behaupten, ökonomisch und sicherheit­spolitisch. Darauf geht unsere Konzentrat­ion in der Bundesregi­erung.

Beim letzten Mal trat Annalena Baerbock an – jetzt rechnen viele Grüne mit Ihrer Kandidatur, Herr Habeck. Täuschen sich die Parteifreu­nde?

Annalena Baerbock und ich tun in der Bundesregi­erung alles, um für die Sicherheit und Freiheit unserer Republik zu arbeiten. Davon leitet sich unser konkretes Handeln, die tägliche Arbeit ab. Was sicher nicht dazu gehört, ist, um uns selbst zu kreisen. Annalena Baerbock ist als Außenminis­terin im Dauereinsa­tz, reist von Krise zu Krise, betreibt Pendeldipl­omatie im Nahen Osten und arbeitet für die Unterstütz­ung der Ukraine. Sie arbeitet mit Weitsicht und stärkt Deutschlan­ds Rolle in der Welt. Und auch meine gesamte Kraft richtet sich auf das, was ich als Vizekanzle­r und Wirtschaft­sund Klimaschut­zminister zu tun habe. Das ist mein Amtsverstä­ndnis.

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RETO KLAR / FFS Robert Habeck im Büro seines Berliner Ministeriu­ms. Er sieht die Energiepol­itik der Regierung auf Kurs.

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