Thüringische Landeszeitung (Gotha)

„Mit dem Herzen hören“

- Carola Gruber ist Gothas Stadtschre­iberin und Kurd-Laßwitz-Stipendiat­in im Jahr 2024.

Carola Gruber war im Erzählcafé in der Zukunftssc­hmiede

Als mein Vorgänger Thomas A. Herrig im März sein Kolumnenbu­ch präsentier­te, las er auch einen Text vor, in dem er beschrieb, wie schwierig es war, allem gerecht zu werden, was er innerhalb einer Woche erlebt hatte. Der Text kam an bereits fortgeschr­ittener Stelle der Lesung vor, meine ich.

Nun, das ist bereits meine dritte Kolumne. Und ich gebe ganz offiziell schon jetzt auf, dem Erlebten der letzten Tage gerecht zu werden.

Zur Auswahl stünden: der Myconius-Empfang (gelungen!), ein privater Schreibabe­nd (vertrauens­voll!) und ein Bürgerdial­og zu den Umgestaltu­ngsplänen für den Bahnhof (gut besucht!).

Das Gesagte verbleibt im Kreis der Zuhörenden

Trotzdem möchte ich Ihnen von einem anderen Erlebnis berichten: In der vergangene­n Woche war ich beim Erzählcafé in der Zukunftssc­hmiede in Gotha. Dort teilte eine Person einige Auszüge ihrer Lebensgesc­hichte mit den Zuhörern und Zuhörerinn­en. Eine Regel des Erzählcafé­s lautet, dass man das Gesagte im Kreis lässt, daher werde ich nichts aus der Biografie der Person schildern, die an dem Abend besprochen wurde – nur soweit: Die Veranstalt­ung stand unter dem Motto: „Auf-Bruch – Lebensgesc­hichten aus dem Osten“.

Es war mein erstes Erzählcafé und für den Fall, dass Sie ebenfalls noch keins besucht haben, fasse ich den Ablauf des Abends einmal zusammen: Zunächst sprach eine Person über ihr Leben. Anschließe­nd haben wir Zuhörende eigene Gefühle, Assoziatio­nen und Gedanken dazu gemeinsam reflektier­t.

Für Neulinge wie mich ist manches daran ungewohnt. Zum Beispiel

fiel es mir schwer, jemandem eine halbe Stunde lang dauerhaft zuzuhören, ohne die Person zu unterbrech­en oder sofort auf das Gesagte zu reagieren.

Trotzdem fand ich sehr schnell in das neue Format hinein, was unter anderem daran lag, dass der Abend sehr gut angeleitet war. Zudem standen einige Regeln gut sichtbar im Raum – sehr schöne Regeln, wie ich finde.

Etwa: „Sprich von Herzen“(spontan, intuitiv) und „Höre von Herzen“(vollkommen aufmerksam). Oder das Gebot, offen für Vielfalt zu sein. Und über allem stand der Grundsatz der Freiwillig­keit. Die behutsame Moderation und die Regeln bewirkten, dass der

Austausch viel bewusster und wertschätz­ender ablief, als es im Alltag oft der Fall ist.

An dem Abend habe ich sehr viel Freundlich­keit und Zugewandth­eit erlebt – und das von Menschen, mit denen ich zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal gesprochen habe. Das war eine tolle neue Erfahrung, die mich noch mehrere Tage begleitet hat.

Falls Sie neugierig geworden sind: Das Erzählcafé findet in der Zukunftssc­hmiede in Gotha regelmäßig statt, das nächste Mal wird es am Donnerstag, 23. Mai, veranstalt­et.

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