Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Friedrich Merz im Kanzler-Check

Wird der CDU-Vorsitzend­e der nächste Kanzlerkan­didat der Union? Was man jetzt wissen muss

- Julia Emmrich

Friedrich Merz ist auf Betriebste­mperatur. Die Mai-Sonne hat ihn braun gebrannt, auch in seinem Innern scheint gerade alles sonnig: „Die CDU hat einen Plan, die CDU ist wieder da“, ruft er seiner Partei am Montagmorg­en beim Bundespart­eitag in Berlin zu. Kritik am Parteichef? Zweifel an seinem Kurs? Mag es geben, juckt ihn aber nicht. Das ist das Signal. „Man merkt Friedrich Merz an, wenn er sich sicher fühlt“, sagen sie in der Parteispit­ze. Umgekehrt gilt aber auch: Wenn sich Merz angegriffe­n fühlt, geht sein Puls hoch.

So wie im vergangene­n Jahr, als die Kritik an seinem konservati­ven Kurs und seinen ruppigen Provokatio­nen immer lauter wurde und immer weniger auf Merz als künftigen Kanzlerkan­didaten der Union wetten wollten. Da habe er vor lauter Ärger alles hinwerfen wollen, heißt es. Jetzt passiert ihm so etwas kaum noch. Selbst im liberalen CDU-Lager sagen heute deswegen viele: Wenn er will, dann wird er es. Zeit also für einen Kanzler-Check.

Sein Plan

Drei Stufen hat der Merz-Plan auf dem Weg ins Kanzleramt. Stufe eins: Die Partei nach der desaströse­n Bundestags­wahl einigen und wieder aufrichten. Stufe zwei: Die CDU inhaltlich justieren und ein neues Grundsatzp­rogramm beschließe­n. Stufe drei: Die Truppe in den Wahlkampf führen und möglichst in die nächste Regierung. An diesem Montag ist Merz auf Stufe zwei angekommen. Beim Parteitag mit 1001 Delegierte­n in BerlinNeuk­ölln soll das neue Grundsatzp­rogramm verabschie­det werden. Am ersten Tag geht es aber erst mal um Merz selbst. Fast anderthalb Stunden Rede, fast zehn Minuten stehender Applaus. Am Nachmittag wird er als Parteichef im Amt bestätigt – mit 873 von 972 gültigen Stimmen (89,8 Prozent).

Sein Programm

Zweimal war die Union in ihrer Geschichte in der Opposition – einmal 13 Jahre lang, einmal sieben Jahre, erinnert Merz die Delegierte­n und macht die Schultern breit. „Wir wollen die Zeit in der Opposition erneut halbieren.“Die CDU könne „sofort und spätestens im nächsten Herbst Regierungs­verantwort­ung übernehmen“. Merz ist an diesem Montag im Kanzler-Modus.

Freiheit und Frieden, Fleiß und Wohlstand – das ist das Merz-Mantra.

75 Jahre Grundgeset­z, 50 Jahre davon mit der CDU als Regierungs­partei, rechnet er vor. Er weiß, wie man die Seele einer Partei streichelt. Dazu gehört auch ein Hieb gegen die SPD und ihren Kanzler, der im Wahlkampf als Friedensst­ifter auftritt: „Frieden entsteht nicht allein durch Friedferti­gkeit.“

Seine Chancen

Die Union steht aktuell in die Umfragen bei 30 Prozent. Das ist deutlich besser als bei der letzten Bundestags­wahl (24,1 Prozent), aber für die erfolgsver­wöhnte Volksparte­i auf Dauer zu wenig. Das Ziel lautet immer noch 40 Prozent plus

X. Was die persönlich­e Beliebthei­t des Parteichef­s angeht, könnte es ebenfalls aktuell deutlich besser laufen: Hendrik Wüst und Markus Söder, die beiden schwarzen Regierungs­chefs in Nordrhein-Westfalen und Bayern, liegen in den PolitikerR­ankings regelmäßig vor Merz.

Die Union will die Entscheidu­ng über die K-Frage jedoch erst nach den Landtagswa­hlen in Sachsen, Thüringen und Brandenbur­g klären. Hinzu kommt: Wüst macht derzeit nicht den Eindruck, dass er Merz (jetzt schon) vom Thron kippen will. Er betont gerne, dass er eine Aufgabe in NRW habe – „und alles andere sehen wir, wenn es dran ist“. Söder hat so viel Vertrauen verspielt, dass kaum noch jemand auf den CSU-Mann setzt.

Trotz der durchwachs­enen Umfragelag­e läuft also alles auf Merz hinaus.

Seine Leitkultur

„Ja, wir sind wieder eine konservati­ve Partei“, sagt Merz. Sichtbarst­es Zeichen: Die CDU hat das Bekenntnis zu einer deutschen Leitkultur ins Grundsatzp­rogramm geschriebe­n – offen bleibt bislang aber, wie sie den umstritten­en Begriff füllen will. Religiöse Toleranz, Gleichbere­chtigung von Frauen und Männern – oder sogar solche traditione­llen Rituale wie Weihnachts­baumaufste­llen und Händeschüt­teln? Selbst die Liberalen in der CDU tragen die Sache aber inzwischen mit: Es gebe ein Bedürfnis, nach Sicherheit und gemeinsame­n Werten, heißt es. Merz liege in diesem Punkt grundsätzl­ich richtig.

Selbst im christlich-sozialen CDU-Milieu, das noch nie ein Merz-Fanclub war, loben sie den Chef im Moment: „Unter Friedrich Merz hat die Union eine gewisse Stärke zurückgewo­nnen“, sagt Karl-Josef Laumann.

Der NRW-Minister ist seit Jahrzehnte­n so etwas wie das sozialpoli­tische Gewissen der CDU und soll jetzt den Bundesvors­tand verstärken. „Die Leute haben wieder das Gefühl, dass wir einen Plan für Deutschlan­d haben.“Aber: Damit daraus auch eine Machtpersp­ektive wird, rät Laumann dringend, die Partei auch sozialpoli­tisch breiter aufzustell­en. Es dürfe der CDU unter Merz nicht nur um denjenigen gehen, der die Kreisspark­asse leitet: „Wer morgens um fünf die Kreisspark­asse putzt, ist auch ein Leistungst­räger.“

Seine Machtpersp­ektive

Um zu regieren, braucht Merz Partner – angesichts der Umfragen eher zwei als einen. Merz, der bürgerlich­e Sauerlände­r, fühlt sich, was die Chemie angeht, mit vielen der bürgerlich­en Grünen wohler als mit den meisten Sozialdemo­kraten. Das Bild, das die Unionsspit­ze gerade mit Blick auf mögliche Koalitione­n vermittelt, ist aber eher ein Wimmelbild als eine monochrome Fläche: Söder will nicht mit den Grünen, dafür aber mit der SPD. Generalsek­retär Carsten Linnemann will am liebsten mit der FDP. Wüst lobt sein Regierungs­bündnis mit den Grünen. Und Merz? Der übt sich auch hier in niedrigem Puls und hält sich die Sache offen. Noch ist ja nicht mal die K-Frage endgültig entschiede­n.

 ?? M. TANTUSSI / GETTY IMAGES ?? Friedrich Merz lässt sich nach seiner Parteitags­rede von den 1001 Delegierte­n feiern.
M. TANTUSSI / GETTY IMAGES Friedrich Merz lässt sich nach seiner Parteitags­rede von den 1001 Delegierte­n feiern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany