Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Der Auftrag an den nächsten Landtag: Stärkt die Bürgerrechte!
Gastbeitrag: Ralf-Uwe Beck von Mehr Demokratie setzt auf Mitbestimmen als Frustschutz
Zunehmend mehr Menschen sind frustriert und meinen, dass „die da oben machen, was sie wollen“. Die direkte Demokratie bietet den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, selbst aktiv und sich notfalls durchsetzen zu können. Sie ist also ein Frustschutzmittel. Dafür muss sie aber auch zugänglich, muss sie nutzbar sein. Ist sie das nicht, laufen Initiativen, die sich einbringen, von der Frustwand, der sie entkommen wollen, vor die nächste.
Der Thüringer Landtag hat eine Chance vertan, noch rechtzeitig vor den Wahlen die Bürgerrechte zu schärfen. Dabei hätte er jetzt Verfassungsgeschichte schreiben können.
Jahrelang wurde im Verfassungsausschuss des Thüringer Landtages beraten, wie die Verfassung zu verbessern und wo sie zu ergänzen ist. Staatsziele sollten eingeführt und die direkte Demokratie ausgebaut werden. Dann – vor anderthalb Jahren – ist in der CDU der politische Wille erlahmt, mit Rot-Rot-Grün eine Verfassungsreform zu gestalten. Erst ein Bündnis aus 21 Organisationen hat die Stagnation aufgebrochen. Es haben sich die zusammengeschlossen, die zu den Anhörungen des Verfassungsausschusses eingeladen waren: darunter Sozialund Umweltverbände, der Feuerwehrverband, der Beamten- und der Kinderschutzbund. Am 26. April hat der Landtag tatsächlich Verfassungsänderungen beschlossen. Dies zeigt, welche Überzeugungskraft die Zivilgesellschaft entfalten kann, wenn sie sich einig ist. Die Förderung des Ehrenamtes, Nachhaltigkeit und gleiche Lebensverhältnisse in Stadt und Land sind jetzt Staatsziele.
Mit dem Volkseinwand wäre etwas Neues ermöglicht worden
Unter den Tisch gefallen aber ist der Ausbau der Bürgerrechte, und zwar komplett. Dabei lagen auf dem Tisch: der Volkseinwand – vorgeschlagen von der CDU. Und eine Verbesserung von Volksbegehren und Bürgeranträgen – vorgeschlagen von Rot-Rot-Grün. Von jeder Seite ein Vorschlag, das ist eine ideale Konstellation, wenn eine ZweiDrittel-Mehrheit zu organisieren ist. Der Volkseinwand wäre neu gewesen, es gibt ihn bisher in keinem der Bundesländer. Der frühere CDU-Partei- und Fraktionschef
Mike Mohring hatte ihn schon 2016 eingebracht, abgeschaut in der Schweiz. Gesetze, die vom Landtag verabschiedet werden, sollen erst nach 100 Tagen in Kraft treten. In dieser Zeit können gegen das Gesetz Unterschriften gesammelt werden. Kommt die nötige Zahl zusammen, wird in einer Volksabstimmung entschieden, ob das Gesetz in Kraft treten soll – oder eben nicht. Es ist das wirksamste Kontrollinstrument in der Hand der Bürgerinnen und Bürger.
Die Vorschläge, die bisher von der CDU zum Ausbau der direkten Demokratie gemacht wurden, lassen sich an einer Hand abzählen, wobei dafür nicht einmal alle fünf Finger gebraucht werden. Umso erstaunlicher war dieser sehr konsequente Vorstoß. Von der anderen Seite kamen die Vorschläge zur überfälligen Senkung der Unterschriftenhürden für Bürgeranträge und Volksbegehren. Zehn Prozent der Stimmberechtigten müssen in Thüringen für ein Volksbegehren unterschreiben, damit es zu einem Volksentscheid
kommt. Diese Hürde ist zu hoch. Sie sollte, wie in anderen Ländern auch, auf fünf Prozent gesenkt werden. Und dann ist da noch der Bürgerantrag. Damit können Bürgerinnen und Bürger dem Landtag ein Thema auf die Tagesordnung schieben, das er dann auch behandeln muss. Dafür verlangt die Verfassung 50.000 Unterschriften. Diese Hürde ist unverschämt, sie macht aus unserem Landtag ein Schloss hinter Dornenhecken.
Beim Bürgerantrag ist die Hürde viel zu hoch
In den vergangenen 30 Jahren hat es keinen einzigen Bürgerantrag gegeben. „Streicht eine Null“, hatten wir den Fraktionen noch zugerufen. 5000 Unterschriften sollten genügen. Rot-Rot-Grün war dazu bereit, nicht die CDU. Sie hat sämtliche Vorschläge vom Tisch gewischt. Selbst von ihrem eigenen, dem Volkseinwand, wollte sie nichts mehr wissen. Damit hat sie die Skepsis der anderen Parteien bestätigt, die ihr diese Innovation sowieso
nicht zugetraut hatten. Thüringen hätte in dem Jahr, in dem wir 35 Jahre friedliche Revolution feiern, Verfassungsgeschichte schreiben und zum Modell für andere Länder werden können. Hätte.
Angesichts der schwierigen Verhältnisse im Landtag und der politischen Spiele, die wir zu ertragen hatten, dürfen wir wohl dankbar sein für die beschlossene Verfassungsreform. Es ist fast ein Wunder, dass sie überhaupt noch zustande kam. Aber sie ist nur eine von der Stange. Damit der mangelnde politische Wille, die Bürgerrechte zu stärken, nicht das letzte Wort hat, wird in den nächsten Wochen eine Öffentliche Petition an den Thüringer Landtag gestartet – für eine Verfassungsreform 2.0.