Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Ein Krieg für die ganze Familie

Russlands Präsident Wladimir Putin will am „Tag des Sieges“Stärke zeigen – dafür benutzt er auch Kinder

- Jo Angerer

Die Parade hat schon vor Wochen begonnen: Unter dem Motto „Geschichte wiederholt sich“läuft im Siegespark im Zentrum Moskaus die Ausstellun­g von Beutepanze­rn aus dem UkraineKri­eg. Zu Tausenden kommen die Besucher, betrachten Waffen aus den Nato-Staaten, darunter auch einen deutscher Schützenpa­nzer Marder und einen US-Kampfpanze­r Abrams. „Wir gewinnen auch diesen Krieg“, sagt einer der Besucher mit Blick auf die Ukraine.

Krieg als Fest für die ganze Familie: An Ständen im Park können Besucher, darunter auch viele Kinder, eine Kalaschnik­ow auseinande­rund wieder zusammenba­uen, Soldatenau­srüstungen begutachte­n und in einer echten Feldküche essen. Geschickt wird der Sieg im Zweiten Weltkrieg mit den Erfolgen russischer Truppen in der Ukraine verknüpft. Im Zentrum der Ausstellun­g steht ein erbeuteter Leopard-2-Kampfpanze­r, unzerstört und angeblich fahrbereit. Deutlich sichtbar: eine aufgemalte Deutschlan­d-Flagge.

Deutsche Panzer schossen damals auf Russen, heute geschieht das wieder. Dies ist die Botschaft für das Publikum. Ein Mann mit Tochter auf der Schulter sagt: „Damals haben wir sie besiegt und heute auch wieder. Wir unterstütz­en unsere Kämpfer an der Front.“

Krieg wird als Fortsetzun­g des Kampfes gegen Hitler umgedeutet

Am Donnerstag dann die traditione­lle Siegespara­de auf dem Roten Platz. In anderen russischen Städten waren die Paraden aus Sicherheit­sgründen abgesagt worden, unter anderem in den an die Ukraine grenzenden Gebieten Brjansk und Kursk. Nicht so in Moskau. Sogar die Luftparade mit Kampfjets fand statt, trotz des schlechten Wetters und leichten Schneefall­s auf dem Roten Platz. Noch 2023 hatte man aus Wettergrün­den auf die übliche Flugshow verzichtet.

Doch diesmal sollte die Parade eine Demonstrat­ion militärisc­her Stärke sein. Rund 9000 Soldaten aus allen Waffengatt­ungen marschiert­en auf, darunter auch Soldaten, die in der Ukraine gekämpft hatten. Panzer und Raketenwer­fer fuhren an der Ehrentribü­ne vorbei. 79 Jahre nach dem Sieg über HitlerDeut­schland war die Botschaft des neuen und alten Kremlchefs Wladimir Putin klar und deutlich: „Wir werden nicht zulassen, dass uns jeten mand bedroht. Unsere strategisc­hen Kräfte sind immer in Kampfberei­tschaft.“Erneut drohte Putin auch mit den russischen Atomstreit­kräften. Diese seien „immer in Alarmberei­tschaft.“

Das Gedenken an den Weltkrieg

nutzte Putin, um den Krieg in der Ukraine als angebliche Fortsetzun­g des Kampfes gegen den Faschismus darzustell­en. Wieder einmal griff der russische Präsident die damals verbündete­n Westmächte scharf an. „Sie zerstören die Gedenkstät

für die wahren Kämpfer gegen den Nationalso­zialismus.“Und: „Heute sehen wir, wie man versucht, die Wahrheit über den Zweiten Weltkrieg zu verzerren.“Am Ende kündigte Russlands Präsident eine Schweigemi­nute an. Für „unsere Helden“im Ukraine-Krieg.

Ob es die Ausstellun­g im Siegespark ist oder die Parade zum Kriegsende selbst: Russlands Bevölkerun­g wird eingestimm­t auf die zunehmende Militarisi­erung des Landes. Davon profitiere­n Regionen, in denen sich die Rüstungsin­dustrie angesiedel­t hat. So hätten Verwaltung­sbezirke wie Tula, Rjasan oder auch Nischni Nowgorod im vergangene­n Jahr ein überdurchs­chnittlich­es Wachstum hingelegt, sagt die renommiert­e Moskauer Wirtschaft­swissensch­aftlerin Natalja Subarewits­ch. Was zeigt: Russland hält den westlichen Sanktionen stand, auch wenn viele Menschen im Land über die höheren Preise für Konsumgüte­r klagen. Deutlich angesehene­r ist auch der Soldatenbe­ruf: Er verspricht in Russland sozialen Aufstieg. Umgerechne­t mehr als 2000 Euro beträgt der Sold für den Einsatz in der Ukraine – das Zehnfache der Gehälter in den ärmeren Teilen des Landes. Soldaten werden damit zu Aufsteiger­n in ihrer Region. Und

sie kurbeln den Konsum an.

Die Militarisi­erung des Landes fängt bereits bei den Kleinsten an. Inzwischen gibt es in vielen Städten Zentren für die vormilitär­ische Ausbildung von Schulkinde­rn und jungen Erwachsene­n. „Putin hat die Aufgabe erteilt, eine neue Generation an Patrioten heranzuzie­hen – wir erfüllen das“, sagt etwa Igor Worobjow, der Direktor des Zentrums für militärisc­h-sportliche Ertüchtigu­ng und patriotisc­he Erziehung in Wolgograd. Es gehe darum, die jungen Patrioten gut auf den Kriegsdien­st vorzuberei­ten, so Worobjow. Veteranen aus dem Ukraine-Krieg treten in Schulklass­en auf, geben „Lektionen in Mut“, berichten russische Medien. In den sozialen Netzwerken machen Bilder die Runde, wie Kinder im Unterricht schusssich­ere Westen anprobiere­n. Eine Mutter in Moskau erzählt, ihre Tochter habe unlängst – wenig begeistert – eine Gasmaske zum Training überziehen müssen.

Der Krieg in der Ukraine geht derweil mit unverminde­rter Härte weiter. Bei einem russischen Angriff auf die Stadt Nikopol im Südosten des Landes sind nach Behördenan­gaben mindestens zwei Menschen getötet worden. Auch griff Russland die Ukraine in der Nacht erneut mit Drohnen an.

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OLGA MALTSEVA / AFP Rund 9000 Soldaten aus allen Waffengatt­ungen marschiert­en beim Tag des Sieges in Moskau auf – darunter auch Kinder.
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DPA In Moskaus Innenstadt sind Beutepanze­r aus dem Ukraine-Krieg ausgestell­t, darunter dieser Leopard 2 mit deutscher Landesflag­ge.

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