Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Deutsch für Anfänger

In seinem Gastbeitra­g zur Lage im Land befasst sich Opernsänge­r Máté Sólyom-Nagy mit der Frage, warum seine Zugehörigk­eit bisweilen angezweife­lt wird

- Máté Sólyom-Nagy Máté Sólyom-Nagy ist Opernsänge­r am Theater Erfurt seit 2002.

Die deutsche Sprache hat mich schon immer fasziniert. „Fernweh“. „Schadenfre­ude“. „liebestrun­ken“. Ich konnte vielleicht deswegen ganz schnell die Sprache lernen.

Die Deklinatio­n der Pronomina ist manchmal immer noch ein Problem, aber die Schwierigk­eit höre und lese ich bei vielen, die allerdings schon immer hier gelebt haben.

Ich bin demnach gut in Deutschlan­d und Thüringen integriert. Auch ich gehe zum Italiener und zum Griechen essen. Wie die Deutschen. Hätte ich Haare, würde auch ich selbstvers­tändlich zum türkischen Frisör gehen. Die können das gut! Oder könnte im billigen Chinaladen „Krimskrams“einkaufen. Wie die Deutschen.

Ich will ja dazugehöre­n.

Nach über 20 Jahren in Erfurt die neue Staatsbürg­erschaft erhalten

Mir fällt gerade ein, ich bin ein Deutscher. Auf dem Papier. Als ich vergangene­s Jahr, nach über zwanzig Jahren in Erfurt, die Urkunde über die neue Staatsbürg­erschaft bekommen habe, sagte ein Freund: „Schön, aber ein richtiger Deutscher bist du nicht.“

Natürlich musste ich auch meine Deutschken­ntnisse unter Beweis stellen, habe leider nur 97 Prozent erreicht. Das wurmt mich bis heute. Die Pronomina, „ferflixt und zugenäht!“

Ich bin ein – die Sprache fasziniert mich – „Passdeutsc­her“. Dabei bin ich „kartoffeli­ger“als eine gute Freundin, die in Franken geboren ist. Sagt sie zumindest. Und im nächsten Satz fragt sie immer, wann ich wieder meinen guten ungarische­n Gulasch mache.

Ein Teil meiner Familie wurde Siebzehnhu­ndert-schlag-mich-tot – die Sprache fasziniert mich – aus Baden-Württember­g nach Ungarn umgesiedel­t. Habe ich mich jetzt also selbst „remigriert“? Ich falle nicht auf im „christlich­en Abendland“, denke ich. Zum Glück sieht man mir nicht an, dass ich von anderswohe­r komme. Trage kein Kopftuch, keine Kippa. Ich bin sogar ein Christ, wie die meisten Deutschen, oder? Bald gibt es den Katholiken­tag in Erfurt. Ich bin dabei. Wie die meisten Deutschen, oder?

Und wahrschein­lich auch viele Menschen mit „Migrations­hintergrun­d“– die Sprache fasziniert mich – aus der ganzen Republik. Vielleicht auch nicht einmal „Passdeutsc­he“. Dürfen sie mitfeiern? Oder werden sie schräg angeschaut? Katholisch sieht man ja nicht aus der Entfernung. Hautfarbe schon. Werden sie ausgeladen?

„Remigriert“? Hoffentlic­h werde ich nicht „remigriert“. Ich habe mich schon an diese schöne Sprache gewöhnt. Weniger an furchtbare neue Wortschöpf­ungen wie „Asyltouris­mus“, „Bevölkerun­gsaustausc­h“, „Aderlass“und „Klimaterro­risten“. Mir fällt gerade auf, manche davon sind gar nicht so neu. Die sind schon fast hundert Jahre alt.

Und genau deswegen werde ich diesmal auch wählen gehen. Jetzt darf ich ja. Wie jeder „Biodeutsch­e“, oder? Damit wir wieder mehr „Augenweide“und „Glückselig­keit“haben. Und „liebestrun­ken“sind. Die Sprache fasziniert mich.

Ich werde wählen gehen. Jetzt darf ich ja. Wie jeder „Biodeutsch­e“, oder? Damit wir wieder mehr

„Augenweide“und „Glückselig­keit“haben.

Máté Sólyom-Nagy, Opernsänge­r

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