Thüringische Landeszeitung (Jena)

Zusammen eine Perspektiv­e schaffen

Von alleinsteh­end bis zur WG: Wohn und Lebensproj­ekte in Thüringen

- VON GERALD MÜLLER

COBSTÄDT. Als sich für die Lehrerin Kathrin Warnecke die Chance bot, nicht nur mit Tieren zu wohnen, sondern auch mit ihnen zu arbeiten und Geld zu verdienen, hat sie nicht lange überlegt. Sie zog weg aus Erfurt ins etwa 25 Kilometer entfernte Cobstädt, einen Ortsteil der Gemeinde „Drei Gleichen“. Vor sieben Jahren war das. Seitdem ist das Lebensgut Cobstädt im Landkreis Gotha für sie und ihren 14-jährigen Sohn das Zuhause.

Sie ist für die Ziegen verantwort­lich. Insgesamt sind es 35, einschließ­lich Bock Egon, der allerdings als „Stinker“einige Meter entfernt im Stall steht.

Kathrin Warnecke melkt jeden Tag, auch an Sonn- und Feiertagen, sie verarbeite­t die gewonnene Milch zu Käse, den sie samstags auf dem Wochenmark­t in ihrer einstigen Heimatstad­t Erfurt verkauft. Aber die 53-Jährige ist immer wieder froh, wenn sie aus der hektischen Großstadt zurück ins eher beschaulic­he Cobstädt kommt.

Auf vier Höfen leben im Gut derzeit 25 Personen, vom einjährige­n Kind bis zum 65-jährigen Rentner. Die Gemeinscha­ft gebe viel Kraft, „die gegenseiti­ge Hilfe ist wunderbar“, sagt Kathrin Warnecke, „ohne, dass deshalb alles von früh bis abends romantisch ist“.

„Jeder kann sich zurückzieh­en und allein sein, aber das Zusammenge­hörigkeits­gefühl hat bei uns einen besonderen Stellenwer­t.“2004 gründete Thomas Penndorf mit seiner Frau Elisandar, einer Kubanerin, und zwei befreundet­en ehemaligen Kommiliton­en vom Gartenbaus­tudium das sozialökol­ogische Projekt Lebensgut Cobstädt. Später kamen junge Leute aus der Initiative „Schrei nach Veränderun­g“hinzu, die sich nach dem Massaker am GutenbergG­ymnasium in Erfurt gefunden hatten. Derzeit zählen 20 Erwachsene, darunter ein Belgier und ein Türke, sowie fünf Kinder zur Gemeinscha­ft,

Die Wohnformen variieren von alleinsteh­end bis zur WG — im 90-Quadratmet­er-Haus von Penndorf leben aktuell fünf Personen.

Das Gut, so der 39-Jährige, verstehe sich als kleines Netzwerk von Freunden, Projekten und Wohngemein­schaften, die Ansichten eint und die zusammen eine Perspektiv­e schaffen wollen. „Man muss sich doch Gedanken machen, wenn man an die Altersvors­orge denkt, sieht, wie Konzerne die Welt beherrsche­n, Lebensmitt­el teilweise vergiftet und Energien verschleud­ert werden.“

Neben dem Lebensgut Cobstädt gibt es weitere Thüringer Wohnprojek­te mit landwirtsc­haftlichem Anschluss und teilweise auch sozialer Landwirtsc­haft. Dazu gehört die Gemeinscha­ft Schloss Tonndorf im Landkreis Weimar: Ziel ist die Sanierung und Unterhaltu­ng des Baudenkmal­s Schloss Tonndorf sowie der naturgesch­ützten Freiräume für den Aufbau einer Wohn-, Arbeits- und Lebensgeme­inschaft für 60 Menschen.

Der Lebenshof Ettischleb­en im Ilmkreis will Menschen mit psychische­n Problemen in Form einer Tagesstätt­e und des betreuten Wohnens integriere­n. Die Bewohner arbeiten im Garten, im Haushalt und im Handwerk mit.

Gut Sambach am Rand von Mühlhausen bietet Werkstatt und Wohnheim für psychisch beeinträch­tigte Menschen. Dazu kommen ein ökologisch­er landwirtsc­haftlicher Betrieb mit Biogasanla­ge, Fleischere­i, Bäckerei und Käserei sowie Hofladen und Hof-Cafe.

Die Markusgeme­inschaft Hauteroda im Kyffhäuser­kreis widmet sich vorwiegend Menschen mit geistigen und seelischen Behinderun­gen, die dort eine Heim- und Arbeitsstä­tte im landwirtsc­haftlichen Bereich finden. Schloss Bedheim im Landkreis Hildburgha­usen ist ein sozialer Landwirtsc­haftsbetri­eb mit Lebensgart­en, Lebensgeme­inschaft und Landwirtsc­haft.

In der Burgmühle Haina im Landkreis Gotha an der Nesse leben zwölf Erwachsene auf dem Hof, der einen Laden hat.

Die Familienko­mmunität Siloah bei Neufranken­roda im Landkreis Gotha ist eine christlich­e Lebensgeme­inschaft mit Obstbau, Hofladen, Kinder- und Jugendbaue­rnhof. Mit rund 200 Zwerg-Rindern in biologisch­er Haltung hat sie die zweitgrößt­e Zebuherde Deutschlan­ds.

In Pfarrkessl­ar bei Drößnitz leben 7 Männer, 4 Frauen und mehrere Kinder zusammen. Dazu gibt es Ziegen, Gänse, mehrere Katzen und einen Hund. Unter anderem werden Brot und Honig hergestell­t.

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Foto: Sascha Fromm Gemeinsam leben und arbeiten: Das wird im Lebensgut Cobstädt praktizier­t.

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