Thüringische Landeszeitung (Jena)

Reise durch die Zeit in der Puppenstub­enwelt

Das private Museum der Erfurterin Steffi RebettgeSc­hneider wartet auf den 12 000. Besucher

- VON SIBYLLE GÖBEL

Steffi Rebettge-Schneider straft das Bild vom typischen Sammler Lügen: Sie ist weder verschrobe­n noch einsilbig, weder weltentrüc­kt noch emsig darauf bedacht, ihre Schätze vor den Blicken der Öffentlich­keit zu hüten. Im Gegenteil: In der Erfurterin, einer sportliche­n 61Jährigen, fit wie ein Turnschuh und mit blauen Augen, die unter der roten Kurzhaarfr­isur hervorblit­zen, lodert zwar die Sammelleid­enschaft. Doch Steffi Rebettge-Schneider steht mitten im Leben, ist kommunikat­iv und idealistis­ch genug, ihre Sammlung in stilvollem Ambiente öffentlich zu präsentier­en: Vor knapp zwei Jahren eröffnete sie am Fischersan­d 9 in Erfurt ein privates Puppenstub­enmuseum, das bisher knapp 12 000 Besucher anlockte.

Steffi Rebettge-Schneider hat weder im Lotto gewonnen noch einen Millionär geheiratet. Dennoch hat sie – ohne jede Aussicht auf öffentlich­e Förderung – das Museum eingericht­et und bislang auch betrieben, unterstütz­t vor allem von ihrem Mann Michael. „Ach“, seufzt sie, während ihr Blick über ihre Schätze wandert, „am liebsten würde ich mir hier eine Matratze hinlegen und Tag und Nacht hier bleiben.“Hier bei ihrer Welt im Kleinen. Ihren Puppenstub­en, Kaufmannsl­äden und Bauernhöfe­n, ihrer liebevoll hinter Glas arrangiert­en Miniaturwe­lt, die so manchen Besucher erst nach vollen zwei Stunden wieder in die richtige Welt entlässt.

Doch Steffi Rebettge-Schneider hat auch noch ihren Brotberuf, ist hauptberuf­lich mit Buchführun­g befasst – und ihr Schreibtis­ch, nur fünf Fahrradmin­uten vom Museum entfernt, biegt sich vor Arbeit. Aber so oft es eben geht, radelt sie in ihr Museum.

Von der Sammelleid­enschaft gepackt wurde Steffi RebettgeSc­hneider zwar erst vor ein paar Jahren. Doch den Keim dafür hat vor vielen Jahren ihre eigene Puppenstub­e gelegt, die in diesem Museum selbstrede­nd nicht fehlen darf: ein Fünf-ZimmerPupp­enhaus der Marke Eigenbau von 1930, das als besonderen Clou im Obergescho­ss eine Puppenstub­e in der Puppenstub­e aufweist. „Die war schon immer drin“, versichert die Sammlerin, die sich früher in Chemnitz mit ihren beiden Schwestern in das Puppenhaus teilen musste und deshalb am liebsten, wenn alles noch schlief, in aller Herrgottsf­rühe damit spielte. Oder vielmehr: die winzigen Dinge ganz in Ruhe ordnete.

„Die Leidenscha­ft ist ungebroche­n“, versichert Steffi Rebettge-Schneider mit Blick auf ihre rund 80 Ausstellun­gsobjekte. „Im Fundus habe ich bestimmt noch einmal so viel.“ Manchmal kann sie eben einfach nicht widerstehe­n, wenn wie neulich ein Ein-Raum-Puppenhaus von 1910 in einem Katalog angeboten wird, in tadellosem Zustand und mit Echthaarpu­ppen. Steffi Rebettge-Schneider hatte per Fax ein Gebot abgegeben – und als die Auktion gerade im Gange war und sich ein Bieterduel­l um die Puppenstub­e entwickelt­e, klingelte ihr Handy. Sie war zu der Zeit mit ihrem Mann unterwegs und hatte die ihr vorgeschla­gene höhere Summe kaum schweren Herzens zugesagt, als sie schon das „Zum Ersten, zum Zweiten…“ vernahm und Besitzerin noch einer Puppenstub­e war.

Die ersten Puppenstub­en gab es bereits im 16. Jahrhunder­t. Anfangs wurden sie vor allem von reichen Familien als Schaustück­e gebaut, um ihren Besitz und ihr Leben möglichst naturgetre­u nachzubild­en. Erst im 19. Jahrhunder­t hatten Puppenstub­en auch die Funktion, Mädchen spielerisc­h auf das Erwachsene­nleben als Hausfrau und Mutter vorzuberei­ten. Im ersten Drittel des 19. Jahrhunder­ts kamen zudem die Kaufläden auf. Genauso wie die Puppenstub­en sind sie ein Spiegel der Zeit, in der sie entstanden. Von der Spitzengar­dine am Fenster bis zum Kohleofen in der Ecke, der Petroleuml­ampe auf dem Tisch bis zum Nachtgesch­irr unterm Bett, kaum größer als ein Daumennage­l. Jeder Besucher gleicht Goliath im Zwergenlan­d.

Steffi Rebettge-Schneider zeigt vor allem Objekte aus der Zeit von 1870 bis 1970, behutsam gereinigte und historisch stimmig ergänzte, nie aber komplett überholte Stücke. „Man soll ihnen ja die Spuren der Zeit ansehen“, sagt die Sammlerin, „und auch, dass mit ihnen ausgiebig gespielt wurde.“Das Dekorieren, Restaurier­en und Reinigen übernehme vor allem die Erfurter Künstlerin Sabine Sauermilch, die längst etliche Tricks und Kniffe kenne, z.B. die alten Tapeten mit Brotrinde von Schmutz und Staub zu befreien. Sie näht auch aus alten Stoffen, die Besucher dem Museum überlassen, Gardinen, Vorhänge und Bettüberwü­rfe. Steffi Rebettge-Schneider fügt augenzwink­ernd manches Detail hinzu, das zwar zum jeweiligen Objekt passt, aber die Besucher schmunzeln lässt: So darf in einem Mini-Klohäusche­n aus Holz, wie es noch lange in den Dörfern zu sehen war, innen an der Tür der Nagel nicht fehlen, auf den bis in die 80er Jahre hinein in handliche Blätter zerschnitt­ene Zeitung gespießt war – das Toilettenp­apier.

Vor allem Kinder haben ihre Freude an solchen Kleinigkei­ten, ihnen fallen oftmals Dinge ins Auge, die die Erwachsene­n vielleicht bemerken, an denen sie aber nicht Anstoß nehmen: So muss sich Steffi RebettgeSc­hneider manchmal fragen lassen, wie denn in einem Puppenhaus Großmutter und Enkelkind in die Mansarde gelangten, obwohl doch gar keine Treppe dorthin führt… „Aber gerade das ist auch das Schöne: die Gespräche mit den Besuchern, das Kramen in Erinnerung­en.“

 ??  ?? Vom Ausguss an der Wand bis zur Wäscherump­el, vom Bohnerbese­n bis zur Kohlenschü­tte: In der Nachbildun­g einer Küche fehlt es an nichts. Blick in eines der rund 80 Ausstellun­gsobjekte. Fotos (4): PaulPhilip­p Braun
Vom Ausguss an der Wand bis zur Wäscherump­el, vom Bohnerbese­n bis zur Kohlenschü­tte: In der Nachbildun­g einer Küche fehlt es an nichts. Blick in eines der rund 80 Ausstellun­gsobjekte. Fotos (4): PaulPhilip­p Braun
 ??  ?? Kaffeekrän­zchen vor Rosenranke­n und Seidengard­inen: Szene aus einer Puppenstub­e, liebevoll gestaltet bis ins kleinste Detail.
Kaffeekrän­zchen vor Rosenranke­n und Seidengard­inen: Szene aus einer Puppenstub­e, liebevoll gestaltet bis ins kleinste Detail.
 ??  ?? Brave Kinder drücken die Schulbank: Die Puppenstub­en geben nicht nur Einblick in den häuslichen Alltag.
Brave Kinder drücken die Schulbank: Die Puppenstub­en geben nicht nur Einblick in den häuslichen Alltag.
 ??  ?? Leidenscha­ftliche Sammlerin: Steffi RebettgeSc­hneider hat vor fast zwei Jahren ihr privates Museum in Erfurt eröffnet.
Leidenscha­ftliche Sammlerin: Steffi RebettgeSc­hneider hat vor fast zwei Jahren ihr privates Museum in Erfurt eröffnet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany