Thüringische Landeszeitung (Jena)
Erholung vom Freizeitstress: Sehnsucht nach dem Nichtstun
Viele Bürger suchen bewusst aber auch nach „angesagten“Beschäftigungen
BERLIN. Immer schneller und möglichst vieles gleichzeitig: Was für die Arbeitswelt gilt, macht vor der Freizeit nicht halt. Wer mit Freunden ausgeht, verfolgt oft auch Nachrichten auf dem Mobiltelefon, macht Fotos, verschickt Kurznachrichten und beantwortet noch schnell den Anruf vom Kollegen. In der repräsentativen Umfrage „Freizeit-Monitor“, den die Stiftung für Zukunftsforschung vorgestellt hat, ist aber auch ein zaghafter Gegentrend zu spüren.
Die Hälfte der Befragten möchte auch mal faulenzen und nichts tun – schlichtweg das, wofür Freizeit vor dem Einzug neuer Medien und Multitasking auch einmal stand.
„Die Freizeit ist stressiger geworden. Wir sehnen uns nach Ruhe“, bilanziert Ulrich Reinhardt, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung. „Es gibt kaum noch eine Freizeitaktivität, die länger als zwei Stunden dauert. Dann muss eine neuer Reiz her.“
Früher sei Freizeit das Gegenstück zur Arbeitszeit gewesen. Sie stand dafür, sich von und für die Arbeit zu regenerieren – weniger für Konsum. Heute seien viele Menschen auch in ihrer Freizeit Getriebene, oft aus Angst, etwas zu verpassen.
„Wir hängen an den ganzen Medien dran, sind ständig erreichbar und beschleunigen uns selbst. Doch wir merken langsam, dass uns das nicht gut tut und wir Regeneration brauchen“, sagt Freizeitforscher Rainer Hartmann. Dieses Bedürfnis nach Entschleunigung werde in der nächsten Zeit wachsen, prophezeit er. „Wir können das hohe Tempo nicht halten. Viel schneller geht nicht mehr.“Aufmerksamkeitsdefizite und Burnout schon bei Jüngeren hätten auch damit zu tun, dass sich viele Menschen kaum noch auf eine Sache konzentrierten, selbst in ihrer freien Zeit.
„Aktivitäten sagen heute sehr viel darüber aus, wer wir sind und was wir darstellen wollen“, betont Hartmann. Viele suchten sich bewusst „angesagte“Beschäftigungen aus, über die sich reden und posten lasse.
„Wirkliche Erholung tritt dabei in den Hintergrund.“Heute mute es skurril an, dass noch den 1960er Jahren „aus dem Fenster schauen“auf den obersten Rängen der Freizeitbeschäftigungen rangierte.
Was „angesagt“ist, spiegelt sich in der Umfrage. Neben der Mediennutzung von Fernseher bis Handy steht Sport hoch im Kurs.
Doch selbst dabei herrscht die Qual der Wahl. „In den 60er Jahren gab es 30 Sportarten, jetzt sind es 400“, sagt der Wissenschaftler. „Viele wollen ausprobieren, was gehypt wird.“Sportvereine profitierten davon kaum, eher das Fitness-Studio und Kurse, in die sich „hoppen“lässt – ohne Verpflichtung. „Out“ist dagegen, was einen langen Atem braucht – ein Instrument zu lernen, zu malen, zu dichten oder Handarbeit.
Auch Oper, Theater oder Ballett verbüßen große Minuspunkte. Viel ehrenamtliche Arbeit scheint ein Mythos zu sein: Zwei Drittel der Befragten gaben demnach an, sich niemals dafür zu engagieren.