Thüringische Landeszeitung (Jena)
„Anhängsel der Exekutive“
Richterbund fordert: Eine unabhängige Justiz muss Spitzenleute selbst bestimmen dürfen
ERFURT. Es gehört zum dunkelsten Kapitel der Thüringer Justiz. Ein Gerichtspräsident versucht, nachdem ihm zuvor der Justizminister angerufen hat, Einfluss auf einen Richterkollegen zu nehmen, indem er ihn telefonisch warnt, die Staatskanzlei durchsuchen zu lassen.
Dieser besonders drastische Fall politischer Einflussnahme auf die richterliche Unabhängigkeit liegt 16 Jahre zurück. Im Landtag sitzt zu dieser Zeit der aufstrebende PDS-Oppositionspolitiker Bodo Ramelow. Er nimmt auch – im Gegensatz zum damaligen CDU-Justizminister – an einer Podiumsdiskussion zu dem Thema teil. Ramelow weiß um die Brisanz des Vorgangs und sagt: Wenn er einmal etwas in Thüringen zu sagen habe, werde er dafür sorgen, dass sich so etwas nicht wiederholen könne. Er werde sich für die Unabhängigkeit der Justiz einsetzen.
Holger Pröbstel erinnert sich noch gut an diese Worte und an seine Antwort darauf: „Herr Ramelow, ich werde sie daran erinnern, wenn sie mal in der Regierung sind. Und sie werden es auch nicht ändern.“
So wie es aussieht, wird Pröbstel, der Vorsitzende des Thüringer Richterbundes, Recht behalten. Wie seine Vorgänger macht auch Justizminister Dieter Lauinger (Grüne) in seinen bislang vorgelegten Eckpunkten keine Anstalten, eine große Reform auf den Weg zu bringen. Zwar klang, was im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag stand, zunächst gut. „Aber was sich nun abzeichnet, ist eine Enttäuschung“, sagt Richterbundvorstandsmitglied, Ludger Baumann. Dabei sei Lauinger doch als Richter mit allen Problemen vertraut gewesen und habe auf Wahlkampfveranstaltungen stets betont: Wo Grün ist, wird auch mehr Selbstverwaltung drin sein, erinnert sich Baumann. Bei Abordnungen, Versetzungen oder Beförderungen sollen Thüringer Richter indes weiter nicht mitreden dürfen.
Um den politischen Einfluss auf die Justiz einzudämmen, fordert der Richterbund eine Verordnung, die regelt, dass der Justizminister auf sein im Bundesgesetz verankertes Weisungsrecht gegenüber den Staatsanwaltschaften verzichtet. Außerdem solle die Politik nicht mehr entscheiden, wer Spitzenjobs wie die Stelle eines Generalstaatsanwaltes erhält. In Thüringen ist dieser wichtige Posten seit langem unbesetzt. Eine unabhängige Justiz müsse sich ihre Spitzenleute selbst bestimmen dürfen, sagt Pröbstel.
Für Lauinger kommt die vollkommene Unabhängigkeit der Justiz der „Abschaffung der Justizministerien“gleich, wie er jüngst im TLZ-Interview sagte.
„Das ist völliger Quatsch“, entgegnet Pröbstel. Ministerien gebe es nach wie vor. Sie hätten nur nicht mehr über die Justiz zu bestimmen. „Mit unserem Justizsystem würden wir heute nicht mal mehr in die EU aufgenommen werden“, ist der Verbandschef überzeugt. In Brüssel werde der deutschen Justiz inzwischen sogar vorgeworfen, ein „Anhängsel der Exekutive“zu sein.
Spanien, Frankreich, Italien, Norwegen, Dänemark, Schweden“, zählt Baumann auf. All diese Länder hätten eine justizielle Selbstverwaltung. Und man werde doch wohl kaum leugnen wollen, dass es sich dabei um demokratisch verfasste, funktionierende Rechtsstaaten handele.
„Mit unserem Justizsystem würden wir heute nicht mehr in die EU aufgenommen werden.” Holger Pröbstel, Vorsitzender des Thüringer Richterbundes