Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Anrührend und aufrütteln­d“

„Toni Erdmann“soll AuslandsOs­car holen

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MÜNCHEN. Diesmal ist alles anders. Mit „Toni Erdmann“schickt Deutschlan­d den Kritikerli­ebling schlechthi­n ins Rennen um den Auslands-Oscar – einen 162 Minuten langen Arthouse-Film zu einem universell­en Thema, der Beziehung zwischen Vater und Tochter. Damit vollzieht sich eine Abkehr von einem als beinahe unumstößli­ch geltenden Grundsatz: Dass nämlich historisch­e oder zeitgeschi­chtliche Stoffe aus Deutschlan­d in den USA besonders gut ankommen.

Seit Jahren schickte die Auslandsve­rtretung des Deutschen Films, German Films, in schöner Vorhersehb­arkeit stets Filme nach Los Angeles, die diesem Kriterium entsprache­n – den Hitler-Film „Der Untergang“(Oscar-Verleihung 2005), „Sophie Scholl – Die letzten Tage“(2006) oder „Der Baader Meinhof Komplex“(2009), um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Im vergangene­n Jahr trat das hervorrage­nde Drama „Im Labyrinth des Schweigens“über die Frankfurte­r Auschwitz-Prozesse an und nicht etwa der mit sechs Lolas dekorierte BerlinFilm „Victoria“. Darin wurde nämlich zu viel Englisch gesprochen für einen abendfülle­nden nicht-englischsp­rachigen Film (49 Prozent statt der erlaubten 40). Im Jahr davor war es der Friedrich-Schiller-Film „Die geliebten Schwestern“und davor mit „Zwei Leben“einmal mehr ein DDR-Drama. Das stach damals das Meisterwer­k „Oh Boy“, einen wunderbare­n Streifzug durch das moderne Berlin, aus.

Vor Augen hatte man bei der Auswahl wohl den Oscar-Erfolg des DDR-Dramas „Das Leben der Anderen“von Florian Henckel von Donnersmar­ck im Jahr 2007. Die Nachfolger stachen jedoch nicht mehr. Die letzte deutsche Nominierun­g für einen Auslands-Oscar gab es im Jahr 2010 für „Das weiße Band“von Michael Haneke.

„Toni Erdmann“, der gefeierte Film von Maren Ade, fällt nun völlig aus der Reihe. Er erzählt die Geschichte von Winfried (Peter Simonische­k), einem Musiklehre­r, und seiner Tochter Ines (Sandra Hüller), einer Karrierefr­au. Er sei „anrührend, aufrütteln­d, gesellscha­ftliche Fragezeich­en implementi­erend und von unbeirrbar­er gestalteri­scher Klarheit“, hieß es von der Jury. „So muss modernes, internatio­nales Kino sein!“

„Es war keine leichte Entscheidu­ng“, sagt Jurysprech­erin Felicitas Darschin vom Bundesverb­and Regie. „Wir haben nach dem Besonderen gesucht und nach etwas, womit wir uns als Land auch etwas anders positionie­ren können gegenüber Amerika.“Und darum treten in diesem Jahr nicht „Das Tagebuch der Anne Frank“an oder „Der Staat gegen Fritz Bauer“, der sich dem gleichen Thema widmet wie das im vergangene­n Jahr erfolglose „Labyrinth des Schweigens“– und auch nicht die Hitler-Satire „Er ist wieder da“. (dpa)

 ??  ?? Hoffen auf einen Oscar 2017: Sandra Hüller und Peter Simonische­k spielen die Hauptrolle­n in „Toni Erdmann“. Foto: Komplizen Film
Hoffen auf einen Oscar 2017: Sandra Hüller und Peter Simonische­k spielen die Hauptrolle­n in „Toni Erdmann“. Foto: Komplizen Film

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