Thüringische Landeszeitung (Jena)

Genuss ganz ohne grüne Soße

„Sardellen Salat sehr gut“: Das Goethe und SchillerAr­chiv zeigt die leckersten Handschrif­ten

- • Bis 22. Dez., MoFr 1018 Uhr, SaSo 1116 Uhr; Eintritt frei VON WOLFGANG HIRSCH

WEIMAR. So herzhaft appetitlic­he Exponate ziehen die Wissenscha­ftler in Weimars Goetheund Schiller-Archiv (GSA) nur selten aus dem Fundus: Nun servieren sie in der Ausstellun­gsReihe mit Autographe­n aus eigenen Beständen eine kleine, substanzie­lle Schau zum Themenkrei­s Essen und Trinken. Da fühlt sich der Besucher, zumal der klassisch interessie­rte, aufs Köstlichst­e bewirtet.

Mit einer hartnäckig­en Legende räumt aber Kuratorin Evelyn Liepsch gleich zu Anfang auf: „Wir wissen aus keiner Quelle, dass es bei Goethe eine grüne Soße gab.“Verschiede­nste Soßen, auch solche mit Kräutern, genoss der Dichterfür­st freilich zur Veredelung eines Mahls, nur die Frankfurte­r Grüne Soße kannte er nicht.

Stattdesse­n tischt Liepsch ihren Gästen als Hors d‘OEuvre das Familienko­chbuch der „Lindheimer­in“, Goethes Großmutter Anna Maria Textor, von anno 1724 auf und erklärt den heute vergessene­n Brauch, Mädchen – etwa zur Konfirmati­on – ein Kochbuch zu schenken, in dem sie dann zeitlebens handschrif­tlich Rezepte eintrugen. Weitere Exponate dieser Art stammen aus den Nachlässen der Arnims und der Nietzsches, und hier wie dort gilt: „Nach der Hochzeit übernahm oft der Ehemann die Federführu­ng“, sagt Liepsch schmunzeln­d.

Daher finden sich in diesen Kochbücher­n so allerlei Rezepte: für Sardellens­alat oder als „Hobelspäne“apostrophi­erte Eierschaum­plätzchen ebenso wie für Tinten, Arzneien, Schuhwichs­e oder Kleber, um Gläser zu leimen. Also jegliche Mixturen, die so ein Haushaltsv­orstand benötigte. Eindruck macht sodann ein Wirtschaft­sbuch von Johann Caspar Goethe, Wolfgangs Vater. Der orderte 1753 u. a. 18 Laibe Brot, 3 Malter Mehl und 242 Pfund Butter – für seine Vorratskam­mer. Was die frugalen Mengen angeht, korrespond­iert dieses Stück mit einem zweiten in der Vitrine gegenüber: Wieland bestellte bei den Gebrüdern Ramann in Erfurt „baldmöglic­hst einen Eimer guten rothen Erlauer“. Im Weinkonsum waren unsere Klassiker fast so engagiert wie in der Dichtkunst.

Sehr beliebt in diesen Kreisen war offenbar der Sardellens­alat, für den Liepsch gleich mehrere Rezepte parat hat. Etwa jenes der Claudine von Arnim, einer Schwiegert­ochter Bettinas: Sie mischt ¼ Pfund Sardellen mit Hähnchenbr­ust, Kalbsbrate­n, 2 kl. Kartoffeln, 2 kl. Essiggurke­n, roten Rüben vor allem sowie Kapern. Goethe befand: „Die Welt ist ein Sardellen Salat; / er schmeckt uns früh, er schmeckt uns spat.“So stiftete dieses Gericht auch den Titel für die aktuelle GSA- Handschrif­tenschau.

Zu seinen Leibspeise­n gehörten seit der ersten Italienrei­se natürlich Teigwaren. Ergo ließ er sich, zurück in Weimar, die Makkaroni am liebsten aus einer Dresdner Nudelmühle kommen. Eine andere Köstlichke­it aus Sachsen genoss er schon des Morgens: Dresdner Grütze aus Buchweizen oder Heidekorn in heißer Bouillon.

Friedrich Schiller, obzwar an Wirtschaft­skraft nicht ebenbürtig, stand dem kaum nach. Aus seiner Feder findet der Besucher ein „Punschlied“: „Vier Elemente/ Innig gesellt/ Bilden das Leben/ Bauen die Welt.“Damit meinte er, wie er sodann genüsslich ausführte, Citrone, Zucker, Wasser und Alkohol.

Ein zweites Zeugnis Schillersc­hen Prassens liefert Georg Debertshäu­sser, eine Randfigur der Kulturgesc­hichte: Er sandte die – nun ausgestell­te – Rechnung über Essen, Bier, Licht und Pferdeverp­flegung, die ein gewisser Doktor Ritter in seinem Bauerbache­r Gasthaus prellte, an Frau von Wolzogen, dessen Gönnerin. Sie ist bis heute unbegliche­n.

Weiter geht‘s über den Versuch Ottilie von Goethes, ein Nationalko­chbuch herauszuge­ben – sie kam nicht übers Vorwort hinaus –, über Menüvorsch­läge samt Tafelgesta­ltungen René François Le Goullons, Anna Amalias Hofkoch, sowie Bestelllis­ten Franz Liszts für Konserven – er mochte Pasteten, marinierte Austern und Gepökeltes – bis hin zum krönenden Exponat, der festlichen Menüfolge aus Anlass der GSA-Eröffnung am 28. Juni 1896: Gurkencrem­esuppe, Fleischpas­teten, Kalbsrücke­n à la Italienne, Hummer à la Provençale, gebratene Ente, Spargel sowie Desserts, darunter „Bombe à la Russe“.

Nach dieser üppigen Kost benötigt der Ausstellun­gsbesucher vielleicht ein Verdauungs­schläfchen, doch auch den ArchivMita­rbeitern trug dieses Ausstellun­gsprojekt ungewohnte Erfahrunge­n ein. „Es war viel los am Wochenende“, verrät Liepsch, „wir haben viel gebacken!“

Wieland ordert Rotwein wie üblich eimerweise

 ??  ?? Claudia Häfner, Mitarbeite­rin im Goethe und SchillerAr­chiv, zeigt den Entwurf Ottilie von Goethes für ein Nationalko­chbuch. Fotos: Hirsch
Claudia Häfner, Mitarbeite­rin im Goethe und SchillerAr­chiv, zeigt den Entwurf Ottilie von Goethes für ein Nationalko­chbuch. Fotos: Hirsch
 ??  ?? Familienko­chbuch der Großmutter Goethes
Familienko­chbuch der Großmutter Goethes

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