Thüringische Landeszeitung (Jena)
2:0 für Thügida?
In Jena können sich die Neonazis besonders wirkungsvoll in Szene setzen
Reinhard Janka aus Jena schreibt: Die Nachricht von der nächsten beabsichtigten Thügida-Aktion am 9. November, dem Jahrestag der Wiedererweckung mittelalterlicher Pogromverbrechen im Dritten Reich, bestärkt mich in meiner Befürchtung, dass gerade die große Beteiligung und die Art und Weise der Gegendemonstrationen Anlass genug sind, die Thügida-Organisatoren stets zu neuen Provokationen herauszufordern, bei denen sie ausloten wollen, wie der demokratische Rechtsstaat weiter blamiert werden kann.
Versetze ich mich in die Rolle der Neonazis, glaube ich, dass man sich kaum wirksamer öffentlich in Szene setzen kann, als in dieser Stadt. Man kann hier zeigen, dass man in der Lage ist, ein Stadtzentrum stundenlang in den Ausnahmezustand zu versetzen und das bei massiver Unterstützung durch die im Rahmen von Verfassung und Gesetz verpflichteten Einsatzkräfte der Polizei und unter dem Schutz der Behörden. Den momentanen Höhepunkt stellt die kostenlose Beförderung der Thügida-Sympathisanten mit öffentlichen Verkehrsmitteln dar, verursacht durch gut gemeinte, jedoch nicht-legale Sitzblockaden der Gegendemonstranten.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass in Kreisen der Thügida-Organisatoren und deren Sympathisanten die jüngste Jenaer Veranstaltung als gelungener Sieg gefeiert wird und dass man darauf stolz ist. Man konnte einmal mehr die Ohnmacht der von ihnen verachteten demokratischen Organisationen und der staatlichen Behörden vorführen. Ich fürchte, dass solche Ereignisse weiteren Zulauf für die AfD erzeugen, die ja mehr oder weniger offen die Einschränkung demokratischer Rechte propagiert.
Wenn dann, wie leider absehbar, auch noch auf Seiten der Thügida-Gegner in den nächsten Wochen öffentlich parteipolitische Zerwürfnisse in hitzigen Diskussionen stattfinden, statt gemeinsamer Beratung, wie künftig kreativ und wirkungsvoller auf die Thügida-Provokationen reagiert werden könnte, dann kann man schon von einem 2:0-Sieg für Thügida sprechen.
Versuchsweise in die Mentalität der Thügida-Sympathisanten versetzt, würde mich am stärksten frustrieren, wenn mein Handeln unbeachtet und wirkungslos verpufft. Man stelle sich vor, Thügida-Demonstranten werden nicht zur Kenntnis genommen, Treffpunkte und Marschrouten werden sichtbar boykottiert, bestenfalls sind an diesen Routen vorher angebrachte Transparente zu sehen, die deutlich machen, dass ihre Aktionen hier unerwünscht sind.
Wenn die Fackelträger am letzten Mittwoch sich nicht den Weg mittels Polizei hätten freikämpfen müssen, sondern unbeachtet und schnell fast menschenleere Straßen passiert hätten und wenn die polizeilichen Einsatzkräfte sich voll darauf konzentriert hätten, die vielen kleinen Verstöße der ThügidaAnhänger gegen bestehende Gesetze nachzuweisen und einer strafrechtlichen Verfolgung zuzuführen, vielleicht sogar mit Bußgeldverwarnungen etc., und wenn sich die Gegendemonstranten darauf geeinigt hätten, auf jede direkte Konfrontation zu verzichten und es statt dessen an anderer Stelle der Stadt zu einer bunten, vielfältigen und fröhlichen Zusammenkunft gekommen wäre – man hätte sogar die Kulturarena in eine solche Veranstaltung einlaufen lassen können – wäre es vermutlich mit deutlich weniger Polizeikosten ein größerer Erfolg für die Thügida-Gegner geworden.
Idealerweise hätten die Thügida-Sympathisanten das Gefühl bekommen sollen, mit ihrem Aufmarsch unfreiwillig Jena zu einem zusätzlichen gelungenen kleinen Stadtfest verholfen zu haben. Vielleicht würden ja einige Mitläufer sich beim nächsten Mal überlegen, an welcher Art Veranstaltung sie lieber teilnehmen.