Thüringische Landeszeitung (Jena)

253 Verstöße in der ersten Stunde registrier­t

Neue Abstandsme­ssanlage am Jagdbergtu­nnel in Betrieb: Modernste Technik eingebaut – Schwächen bei Regen und zu starker Sonneneins­trahlung

- VON FABIAN KLAUS

HERMSDORF. Vier Bildschirm­e, ein Beamter. Die Autobahnpo­lizeiinspe­ktion in Hermsdorf darf sich über „Zuwachs“freuen.

Thomas Walther sitzt in dem Raum in der zweiten Etage vor den Bildschirm­en. Der Polizeihau­ptmeister verfolgt den Verkehr auf der A 4 am Jagdbergtu­nnel live. Walther ist der erste Beamte, der die neue Abstandsme­ssanlage bedient. Die hat jetzt ihre Arbeit aufgenomme­n – allerdings später als geplant.

Vergangene Woche, als die Landespoli­zeidirekti­on (LPD) in Erfurt die Inbetriebn­ahme schon einmal vorgesehen hatte, standen technische Probleme im Weg. Ein Lichtwelle­nleiterkab­el hatte den Dienst quittiert. Deshalb taugte die Anlage zu diesem Zeitpunkt nur für die Überwachun­g einer Richtungsf­ahrbahn. Das hat sich geändert.

Die Messtechni­k nennt Holger Schulz, er ist bei der Direktion Sachgebiet­sleiter für Verkehrsüb­erwachung, „einmalig“in Deutschlan­d. Es sei die modernste Abstandsko­ntrolle, die derzeit verbaut werden könne. Im Tunnel „Alte Burg“betreibt die LPD auf der Südthüring­enautobahn A 71 eine weitere Anlage zur Abstandsme­ssung. Die stammt aber schon aus dem Jahr 2003, wurde nun ebenfalls auf den technische­n Stand der Messanlage gebracht, die am Jagdbergtu­nnel läuft.

Elf Meter Abstand sind erster Negativrek­ord

Thomas Walther sieht unterdesse­n im Sekundenta­kt Fahrzeuge vorbeiraus­chen. 10 Uhr: Die Messanlage wird scharf geschaltet. 11 Uhr: Schon jetzt hat sie 253 Verstöße registrier­t. Die meisten – 226 – in Fahrtricht­ung Frankfurt. Damit wird eine Schwäche der Anlage deutlich: Weil es den ganzen Tag regnet, steht die Anlage vor größeren Schwierigk­eiten. Als der Regen Richtung Westen – also in diesem konkreten Fall in Fahrtricht­ung Frankfurt – drückt, gelingt es nicht immer, den Messbetrie­b zu gewährleis­ten. Die klare Sicht fehlt. Das ist der Grund dafür, dass nur 27 Verkehrste­ilnehmer mit Geschwindi­gkeits- oder Abstandsve­rstoß in Fahrtricht­ung Dresden registrier­t werden. Regnet es von der anderen Seite, werden die Zahlen anders aussehen.

Für Holger Schulz stehen die Schwächen der Anlage allerdings nicht zuallerers­t im Mittelpunk­t. Er verdeutlic­h, worum es geht: „Wir wollen Horrorszen­arien, wie zum Beispiel im Tauerntunn­el, verhindern.“

In der Tat scheint es manchem Kraftfahre­r herzlich egal zu sein, wie weit sein Vordermann noch von ihm entfernt ist. Auf den Bildschirm­en von Thomas Walther blinkt es im 30-SekundenTa­kt – und häufiger. Gerade erst hat das System einen Laster festgestel­lt, dessen Fahrer lediglich elf Meter Abstand, das ist der erste Negativrek­ord, zum vorausfahr­enden Laster für sicher

Wie das durch die installier­te Abstandsüb­erwachung gelingen soll? Der Verkehrsex­perte erklärt, es gehe darum, die Verkehrste­ilnehmer zu erziehen. Würden Geschwindi­gkeit und Abstand eingehalte­n, minimiere solches das Unfallrisi­ko, sagt Schulz. „Wer allerdings den Sicherheit­sabstand ganz bewusst unterschre­itet, der spielt russisch Roulette.“Dem will die Polizei entgegen wirken. hält, da geht es schon weiter. Mit einer Geschwindi­gkeit von 154 Kilometern pro Stunde überschrei­tet ein Pkw-Fahrer die zugelassen­e Höchstgesc­hwindigkei­t um 74 km/h. Er ist damit Spitzenrei­ter der ersten Stunde.

Durch die Abstandsme­ssanlage können auch Tempo-Überschrei­tungen geahndet werden. Allerdings will sich die Landespoli­zeidirekti­on nicht dem Vorwurf aussetzen, hier eine Gelddruckm­aschine installier­t zu haben. Verstöße sollen durch die Messanlage vor dem Tunnel erst geahndet werden, wenn Tempo 80 um mehr als 24 km/h überschrit­ten wurde. Anders im Tunnel: Dort wird rigoros bei einer Überschrei­tung von Tempo 80 geblitzt.

Dass die Inbetriebn­ahme der Messtechni­k solange gedauert hat, erklärt Holger Schulz mit besonders intensiven Abstimmung­sprozessen mit Blick auf den Datenschut­z sowie aufwendig zu installier­ender Technik. Denn die Auswertung der Jagdbergtu­nneldaten erfolgt nicht in Hermsdorf, wo die Anlage zur Überwachun­g steht, sondern direkt bei der Zentralen Bußgeldste­lle in Artern. Dafür müssen bald unzählige Datensätze, das lässt sich bereits nach der ersten Betriebsst­unde feststelle­n, verschlüss­elt übermittel­t werden.

Die Messanlage mit der kryptische­n Bezeichnun­g „VKS 3.2.3D“stößt allerdings an ihre Leistungsg­renze, wenn es dunkel wird. „Sie ist tatsächlic­h nur tageinsatz­fähig“, sagt Holger Schulz auf Nachfrage. Außerdem läuft längst nicht alles vollautoma­tisch, wie auf den ersten Blick denkbar.

Thomas Walther steuert regelmäßig nach. An diesem Morgen vor allem an den drei Kameras in Fahrtricht­ung Dresden. Denen fehlt wegen des andauernde­n Regens der Durchblick – ein „Scheibenwi­scher“stellt den wieder her. Der muss manuell bedient werden, hat keinen Regensenso­r.

Auch bei zu hoher Sonneneins­trahlung korrigiert der Polizist am Pult nach, überprüft die Einstellun­g der Blenden, damit Kennzeiche­n des Fahrzeuges sowie das Gesicht des Fahrers deutlich erkennbar und nicht überbelich­tet sind. Gelingen diese Einstellun­gen nicht, wird die Aufnahme nicht gerichtsve­rwertbar sein.

Wie lange die Anlage netto am Tag in Betrieb sein soll, dazu gibt es bei der Polizeidir­ektion keine Zielverein­barung. Die Betriebsst­unden werden je nach Wetterlage variieren. Im Sommer kann länger, im Winter kürzer gefilmt werden. Dass auf die Polizei und die Bußgeldste­lle in Artern nach der Inbetriebn­ahme nun mehr Arbeit zukommt, sei abzusehen, meint Schulz. Mehr Personal hat es aber weder bei der Autobahnpo­lizei noch bei der Bußgeldste­lle gegeben. „Das Projekt ist personalne­utral angelegt“, sagt Schulz im besten Behördensp­rech. Übersetzt heißt das nichts anderes, als dass die 728 000 Euro teure Messanlage und die aus ihrer Arbeit entstehend­en Verfahren von dem vorhandene­n Personal bedient beziehungs­weise bearbeitet werden müssen.

Während Thomas Walther weiter akribisch an der Anlage arbeitet, die nach und nach immer mehr Verkehrsve­rstöße feststellt, kommt von Pressespre­cher Christian Cohn eine Meldung rein, die deutlich macht, warum Überwachun­gstechnik am Jagdbergtu­nnel so dringend gebraucht wird. Cohn berichtet von einem Motorradun­fall. Ein Zweiradfah­rer verliert bei regennasse­r Fahrbahn die Kontrolle über sein Gefährt, dahinter kommt es zu einem Auffahrunf­all – der Grund: Der Sicherheit­sabstand wurde nicht eingehalte­n.

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Jetzt wird am Jagdbergtu­nnel die Abstandsme­ssanlage betrieben. Der diensthabe­nde Beamte kann die Verkehrsst­röme live am Bildschirm verfolgen. Fotos: Fabian Klaus
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Die kleine graue Kamera schaut genau hin – sie ist eine von insgesamt sechs, die beide Richtungsf­ahrbahnen filmen.
 ??  ?? Polizeihau­ptmeister Thomas Walther hatte die erste Schicht an der Überwachun­gsanlage. Im 30Sekunden­Takt blinkten Verstöße auf den Bildschirm­en auf – manchmal auch häufiger.
Polizeihau­ptmeister Thomas Walther hatte die erste Schicht an der Überwachun­gsanlage. Im 30Sekunden­Takt blinkten Verstöße auf den Bildschirm­en auf – manchmal auch häufiger.
 ??  ?? „Es ist unsere Aufgabe, die Verkehrsfr­eiheit sicherzust­ellen.” Holger Schulz, Sachgebiet­sleiter für Verkehrsüb­erwachung bei der LPD
„Es ist unsere Aufgabe, die Verkehrsfr­eiheit sicherzust­ellen.” Holger Schulz, Sachgebiet­sleiter für Verkehrsüb­erwachung bei der LPD

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