Thüringische Landeszeitung (Jena)
253 Verstöße in der ersten Stunde registriert
Neue Abstandsmessanlage am Jagdbergtunnel in Betrieb: Modernste Technik eingebaut – Schwächen bei Regen und zu starker Sonneneinstrahlung
HERMSDORF. Vier Bildschirme, ein Beamter. Die Autobahnpolizeiinspektion in Hermsdorf darf sich über „Zuwachs“freuen.
Thomas Walther sitzt in dem Raum in der zweiten Etage vor den Bildschirmen. Der Polizeihauptmeister verfolgt den Verkehr auf der A 4 am Jagdbergtunnel live. Walther ist der erste Beamte, der die neue Abstandsmessanlage bedient. Die hat jetzt ihre Arbeit aufgenommen – allerdings später als geplant.
Vergangene Woche, als die Landespolizeidirektion (LPD) in Erfurt die Inbetriebnahme schon einmal vorgesehen hatte, standen technische Probleme im Weg. Ein Lichtwellenleiterkabel hatte den Dienst quittiert. Deshalb taugte die Anlage zu diesem Zeitpunkt nur für die Überwachung einer Richtungsfahrbahn. Das hat sich geändert.
Die Messtechnik nennt Holger Schulz, er ist bei der Direktion Sachgebietsleiter für Verkehrsüberwachung, „einmalig“in Deutschland. Es sei die modernste Abstandskontrolle, die derzeit verbaut werden könne. Im Tunnel „Alte Burg“betreibt die LPD auf der Südthüringenautobahn A 71 eine weitere Anlage zur Abstandsmessung. Die stammt aber schon aus dem Jahr 2003, wurde nun ebenfalls auf den technischen Stand der Messanlage gebracht, die am Jagdbergtunnel läuft.
Elf Meter Abstand sind erster Negativrekord
Thomas Walther sieht unterdessen im Sekundentakt Fahrzeuge vorbeirauschen. 10 Uhr: Die Messanlage wird scharf geschaltet. 11 Uhr: Schon jetzt hat sie 253 Verstöße registriert. Die meisten – 226 – in Fahrtrichtung Frankfurt. Damit wird eine Schwäche der Anlage deutlich: Weil es den ganzen Tag regnet, steht die Anlage vor größeren Schwierigkeiten. Als der Regen Richtung Westen – also in diesem konkreten Fall in Fahrtrichtung Frankfurt – drückt, gelingt es nicht immer, den Messbetrieb zu gewährleisten. Die klare Sicht fehlt. Das ist der Grund dafür, dass nur 27 Verkehrsteilnehmer mit Geschwindigkeits- oder Abstandsverstoß in Fahrtrichtung Dresden registriert werden. Regnet es von der anderen Seite, werden die Zahlen anders aussehen.
Für Holger Schulz stehen die Schwächen der Anlage allerdings nicht zuallererst im Mittelpunkt. Er verdeutlich, worum es geht: „Wir wollen Horrorszenarien, wie zum Beispiel im Tauerntunnel, verhindern.“
In der Tat scheint es manchem Kraftfahrer herzlich egal zu sein, wie weit sein Vordermann noch von ihm entfernt ist. Auf den Bildschirmen von Thomas Walther blinkt es im 30-SekundenTakt – und häufiger. Gerade erst hat das System einen Laster festgestellt, dessen Fahrer lediglich elf Meter Abstand, das ist der erste Negativrekord, zum vorausfahrenden Laster für sicher
Wie das durch die installierte Abstandsüberwachung gelingen soll? Der Verkehrsexperte erklärt, es gehe darum, die Verkehrsteilnehmer zu erziehen. Würden Geschwindigkeit und Abstand eingehalten, minimiere solches das Unfallrisiko, sagt Schulz. „Wer allerdings den Sicherheitsabstand ganz bewusst unterschreitet, der spielt russisch Roulette.“Dem will die Polizei entgegen wirken. hält, da geht es schon weiter. Mit einer Geschwindigkeit von 154 Kilometern pro Stunde überschreitet ein Pkw-Fahrer die zugelassene Höchstgeschwindigkeit um 74 km/h. Er ist damit Spitzenreiter der ersten Stunde.
Durch die Abstandsmessanlage können auch Tempo-Überschreitungen geahndet werden. Allerdings will sich die Landespolizeidirektion nicht dem Vorwurf aussetzen, hier eine Gelddruckmaschine installiert zu haben. Verstöße sollen durch die Messanlage vor dem Tunnel erst geahndet werden, wenn Tempo 80 um mehr als 24 km/h überschritten wurde. Anders im Tunnel: Dort wird rigoros bei einer Überschreitung von Tempo 80 geblitzt.
Dass die Inbetriebnahme der Messtechnik solange gedauert hat, erklärt Holger Schulz mit besonders intensiven Abstimmungsprozessen mit Blick auf den Datenschutz sowie aufwendig zu installierender Technik. Denn die Auswertung der Jagdbergtunneldaten erfolgt nicht in Hermsdorf, wo die Anlage zur Überwachung steht, sondern direkt bei der Zentralen Bußgeldstelle in Artern. Dafür müssen bald unzählige Datensätze, das lässt sich bereits nach der ersten Betriebsstunde feststellen, verschlüsselt übermittelt werden.
Die Messanlage mit der kryptischen Bezeichnung „VKS 3.2.3D“stößt allerdings an ihre Leistungsgrenze, wenn es dunkel wird. „Sie ist tatsächlich nur tageinsatzfähig“, sagt Holger Schulz auf Nachfrage. Außerdem läuft längst nicht alles vollautomatisch, wie auf den ersten Blick denkbar.
Thomas Walther steuert regelmäßig nach. An diesem Morgen vor allem an den drei Kameras in Fahrtrichtung Dresden. Denen fehlt wegen des andauernden Regens der Durchblick – ein „Scheibenwischer“stellt den wieder her. Der muss manuell bedient werden, hat keinen Regensensor.
Auch bei zu hoher Sonneneinstrahlung korrigiert der Polizist am Pult nach, überprüft die Einstellung der Blenden, damit Kennzeichen des Fahrzeuges sowie das Gesicht des Fahrers deutlich erkennbar und nicht überbelichtet sind. Gelingen diese Einstellungen nicht, wird die Aufnahme nicht gerichtsverwertbar sein.
Wie lange die Anlage netto am Tag in Betrieb sein soll, dazu gibt es bei der Polizeidirektion keine Zielvereinbarung. Die Betriebsstunden werden je nach Wetterlage variieren. Im Sommer kann länger, im Winter kürzer gefilmt werden. Dass auf die Polizei und die Bußgeldstelle in Artern nach der Inbetriebnahme nun mehr Arbeit zukommt, sei abzusehen, meint Schulz. Mehr Personal hat es aber weder bei der Autobahnpolizei noch bei der Bußgeldstelle gegeben. „Das Projekt ist personalneutral angelegt“, sagt Schulz im besten Behördensprech. Übersetzt heißt das nichts anderes, als dass die 728 000 Euro teure Messanlage und die aus ihrer Arbeit entstehenden Verfahren von dem vorhandenen Personal bedient beziehungsweise bearbeitet werden müssen.
Während Thomas Walther weiter akribisch an der Anlage arbeitet, die nach und nach immer mehr Verkehrsverstöße feststellt, kommt von Pressesprecher Christian Cohn eine Meldung rein, die deutlich macht, warum Überwachungstechnik am Jagdbergtunnel so dringend gebraucht wird. Cohn berichtet von einem Motorradunfall. Ein Zweiradfahrer verliert bei regennasser Fahrbahn die Kontrolle über sein Gefährt, dahinter kommt es zu einem Auffahrunfall – der Grund: Der Sicherheitsabstand wurde nicht eingehalten.