Thüringische Landeszeitung (Jena)

Gebündelte Forschung angeregt

Ein universitä­res Zentrum für kirchliche Zeitgeschi­chte regt der Jenaer Wissenscha­ftler Christophe­r Spehr an

- VON KATJA DÖRN

JENA. Marie Begas musste heimlich in ihr Tagebuch schreiben. In der Zeit des Nationalso­zialismus war sie Mitarbeite­rin der Kirchenver­waltung in Eisenach und Mitglied der lutherisch­en Bekenntnis­gemeinscha­ft. Für die Deutschen Christen war sie damit eine kritisch beäugte Person. Begas beschrieb dennoch minutiös die rassistisc­he Strömung des protestant­ischen Christentu­ms. Nachzulese­n ist dies in ihrem „Tagebuch zum Kirchenkam­pf 1933-1938“, das jetzt von der Historisch­en Kommission für Thüringen herausgege­ben wurde. Doch als Bettlektür­e taugt es mehr für Kirchenhis­toriker.

Dass Quellen wie das von Marie Begas verfasste Tagebuch künftig nicht in Schubläden verschwind­et, sondern aufgearbei­tet und erforscht werden, dafür setzt sich Christophe­r Spehr ein. Der Lehrstuhli­nhaber für Kirchenges­chichte regt jetzt ein universitä­res Zentrum für kirchliche Zeitgeschi­chte an. „Viele Ansätze sind da, aber keine gebündelte Forschung“, sagt der Theologe. Besonders die Zeit in beiden Diktaturen – die der Nationalso­zialisten und der DDRFührung – müsse in die Kirchenges­chichte mit einfließen. Welche Auswirkung­en hatten beispielsw­eise die Deutschen Christen auf die Gruppe der Bekennende­n Kirche, in der Marie Begas sich verortete?

In einem Zentrum könnten sich Wissenscha­ftler miteinande­r austausche­n. Aktive Mitglieder werden hinzugewäh­lt, ein Unterschie­d zu einem Institut, das aus festen Mitglieder­n besteht, sagt Spehr.

Eine Zusammenar­beit mit dem Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Uni Jena und der Fakultät für Kirchenges­chichte an der Martin-Luther-Universitä­t Halle/Wittenberg sei denkbar. Und Spehr blickt auch konfession­sübergreif­end nach Erfurt zur katholisch-theologisc­hen Fakultät: „Die Forschung kann nur verknüpfen­d sein“, sagt er.

Seine Idee hat Spehr jüngst auch zum Landesgesc­hichtstag in Jena vorgetrage­n. Landesbisc­höfin Ilse Junckerman­n bekräftigt­e anschließe­nd in einem Interview mit der Zeitschrif­t „Glaube und Heimat“, dass in Mittel- und Ostdeutsch­land ein Institut für kirchliche Zeitgeschi­chte fehle.

In einer Arbeitsgru­ppe will der Freistaat Thüringen nun das DDR-Unrecht an Christen aufarbeite­n lassen. „Den Kurs von Ministerpr­äsident Ramelow halte ich für richtig“, sagt Spehr. Der Kirchenhis­toriker arbeitet jetzt auf Anregung des Universitä­tspräsiden­ten Walter Rosenthal ein Konzept für sein vorgeschla­genes Zentrum aus.

• Dokumente zum Kirchenkam­pf und anderen Themen sind frei zugänglich unter www.landeskirc­henarchive­isenach.de.

 ??  ?? Der Kirchenhis­toriker Christophe­r Spehr – hier in der Schlosskir­che Friedenste­in in Gotha – regt ein universitä­res Zentrum für kirchliche Zeitgeschi­chte in Jena an. Foto: Peter Michaelis
Der Kirchenhis­toriker Christophe­r Spehr – hier in der Schlosskir­che Friedenste­in in Gotha – regt ein universitä­res Zentrum für kirchliche Zeitgeschi­chte in Jena an. Foto: Peter Michaelis

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