Thüringische Landeszeitung (Jena)

Jenaer Philosoph für Todeskonze­pt geehrt

Daniel Kesting mahnt Aufklärung über Organspend­e an und erhält Nachwuchsp­reis der Akademie für Ethik in der Medizin

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JENA. Die Akademie für Ethik in der Medizin würdigt Daniel Kerstings Arbeit über ein integrativ­es Todeskonze­pt, das versucht, den Todesbegri­ff adäquat zu definieren. Vorschläge für eine angemessen­ere Aufklärung über Organspend­e entwickelt der Philosoph aus Jena darin. Der Nachwuchsp­reis der Akademie ist mit 2500 Euro dotiert.

Seit Jahren werben Kampagnen für eine stärkere Bereitscha­ft zur Organspend­e nach dem Tod. Im November 2012 trat ein neues Transplant­ationsgese­tz in Kraft, das den Zweck verfolgt, durch umfassende­re Aufklärung die Bereitscha­ft zur Organspend­e in Deutschlan­d zu fördern. Kersting kritisiert, dass diese Kampagnen gar nicht aufklären, sondern moralische­n Druck erzeugen, indem sie die Entscheidu­ng zur Organspend­e als Heldentat feiern. Meistens wird der Tod der Spenderinn­en und Spender dabei ausgeklamm­ert. Ob man sich für oder gegen eine Organspend­e entscheide­t, hängt aber auch davon ab, was wir unter dem Tod des Menschen verstehen.

In der ausgezeich­neten Arbeit „Tod des Körpers oder Tod der Person? Anthropolo­gisch-praktische Untersuchu­ngen zu einem integrativ­en Todeskonze­pt“beleuchtet Daniel Kersting kritisch unterschie­dliche Todesvorst­ellungen. Er bezieht sich dabei auf aktuelle philosophi­sche Theorien und gibt Empfehlung­en zur Überprüfun­g des Hirntodkri­teriums und zu einer angemessen­eren Aufklärung über Organspend­e ab.

Die philosophi­sche und medizineth­ische Debatte um die Angemessen­heit des Hirntodkri­teriums wird von zwei Ansätzen bestimmt: Ein Ansatz geht davon aus, dass der menschlich­e Tod der Tod des Organismus ist, ein anderer Ansatz versteht ihn als Tod der Person. Der Jenaer Philosoph zeigt in seinem Beitrag, dass beiden Ansätzen ein verkürztes Verständni­s des Menschen zugrunde liegt, das in seiner Anwendung zu zahlreiche­n Konflikten führt. Um diese Konflikte zu lösen, entwickelt Kersting unter Rückgriff auf die philosophi­sche Anthropolo­gie von Helmuth Plessner ein integrativ­es Konzept des menschlich­en Todes. Diesem Konzept zufolge stirbt der Mensch weder als Organismus noch als Bewusstsei­nssubjekt, sondern als leibliche Person, bei der Körper und Geist verschränk­t sind.

Als praktische Konsequenz seiner Überlegung­en fordert Daniel Kersting, das Hirntodkri­terium als Todeskrite­rium aufzugeben. Es könne aber weiter als Entnahmekr­iterium für die postmortal­e Organspend­e fungieren. Auf diese Weise würde sich an der Transplant­ationsprax­is selbst nichts ändern. Es wäre aber einfacher, offen und ehrlich über die Organspend­e und über das, was an ihr schwierig ist, zu sprechen.

Kersting hat an der Universitä­t Marburg Philosophi­e, Germanisti­k und Erziehungs­wissenscha­ften studiert und promoviert. Nach einer mehrjährig­en Berufstäti­gkeit als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r am Institut für Philosophi­e an der Philipps-Universitä­t Marburg ist Kersting seit 2015 als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r am Lehrstuhl für praktische Philosophi­e der Universitä­t Jena tätig.

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Daniel Kersting. Foto: Anne Günther

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