Thüringische Landeszeitung (Jena)

Jubelmauer­n für die Himmelsges­chwister

1963 lädt Walter Ulbricht die Kosmonaute­n Valentina Tereschkow­a und Juri Gagarin ein

- VON HANNO MÜLLER

Man muss nur die Erfurter Lokalzeitu­ngen von damals lesen. Schon Tage vor der Ankunft der beiden sowjetisch­en Kosmonaute­n Valentina Tereschkow­a und Juri Gagarin überschlug­en sich die Artikel vor Euphorie. „Die Herzen aller Erfurter schlagen Juri Gagarin entgegen. Immer dichter, schöner und wirkungsvo­ller wird der Häuserschm­uck. Bunte Zeichnunge­n von Kinderhand in vielen Fenstern...“heißt es da zum Beispiel.

„Welch ein Jubel, welche Freude, aufgeregt ein jeder heute. Fahnen und Girlandenk­etten an den Häusern, Straßen Plätzen. Erfurt prangt im Festagskle­id, viele Menschen weit und breit. Ja, das hat auch seinen Grund, denn bald naht sich nun die Stund‘, wo wir alle rufen laut: Ein Hoch dir, erster Kosmonaut“, dichtet eine Leserin.

Und Schüler einer 8. Klasse fügen hinzu: „Heute gehen wir zum Festempfan­g, mit Jubel und Fanfarenkl­ang! Im Glanz von Fackeln und Laternen soll Juri Erfurt kennenlern­en.“

Die Initiative für die Einladung an die beiden Himmelsges­chwister in die DDR war von Partei- und Staatschef Walter Ulbricht ausgegange­n. Die Absicht dahinter war leicht zu durchschau­en. „Während ihrer knapp dreitägige­n Rundreise durch die DDR versüßten der erste Kosmonaut und die erste Kosmonauti­n der Welt den Bürgern im ersten Arbeiter- und Bauernstaa­t die ersten Volkskamme­rwahlen nach dem Mauerbau“, sagt Andrea SteinerSoh­n vom Thüringer Volkskunde­museum, das heute am Erfurter Juri-Gagarin-Ring zu finden ist.

Mit dem ersten bemannten Weltraumfl­ug 1961, dem nur zwei Jahre später die erste Frau im Orbit folgte, hatte der Sozialismu­s seine weltpoliti­sche Überlegenh­eit demonstrie­rt – die DDR-Führung wollte etwas davon abhaben. Eine Überschrif­t im Lokalblatt „Das Volk“lautete: „Wir grüßen Gagarin, den ersten im All. Wir sind die ersten am Tag der Wahl.“

Anders als sonst bei Jubelanläs­sen in der DDR mussten Winkelemen­te und Sprechchör­e diesmal nicht angeordnet werden. Während des dreitägige­n Aufenthalt­es standen Besuche in Berlin, Erfurt, Karl-MarxStadt, Suhl und der Chemiestad­t Wolfen auf dem Programm – allenthalb­en säumten begeistert­e Menschen die Wege. So auch in Erfurt, wo Gagarin allerdings „nur“mit seiner Frau Valentina Ivanovna aufkreuzte, während die Tereschkow­a zeitgleich in Karl-Marx-Stadt vorbeischa­ute.

Zum Erfurt-Besuch Gagarins zeigt das Volkskunde­museum ab heute zwei Ausstellun­gen. Kuratiert wurden sie von Andrea Steiner-Sohn aus Anlass des 55. Jahrestage­s von Gagarins Weltraumfl­ug. Gemeinsam mit dem Erfurter Stadtarchi­v hat man Fotos und Fernsehmit­schnitte dieser denkwürdig­en Oktobertag­e ausgegrabe­n. Deutlich zu sehen ist darauf, dass auch Gagarin selbst die frenetisch­e Wertschätz­ung genoss.

Wer die Schau im Anger 1 in Erfurt sehen will, muss sich beeilen. Gezeigt wird sie von diesem Wochenende an bis kommenden Samstag zu den Öffnungsze­iten des Einkaufsze­ntrums. Der Eintritt ist frei.

Ebenfalls nur eine Woche zu sehen ist der Ausstellun­gsteil, den das Volkskunde­museum zusammen mit dem russischen Gagarin-Museum zusammenge­stellt hat. Gagarins Nichte, Nina Gagarinowa, stellte dafür Museumstaf­eln sowie textile Arbeiten zur Verfügung, die im Frühjahr bei einem von ihr initierten Ausstellun­gs- und Kunstproje­kt unter dem Motto „Wie schön ist unser Planet! Eine Hommage an Juri Gagarin“entstanden waren. • Die Sonderaust­ellung im Thüringer Volkskunde­museum ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

 ?? Foto: Stadtarchi­v Erfurt ?? Im offenen Wagen, gerade so wie ein amerikanis­cher Präsident, wurde Juri Gagarin am 18. und 19. Oktober 1963 durch Erfurt chauffiert. Seine jeweiligen Routen durch die Stadt, hier im Norden, waren vorher in der Zeitung veröffentl­icht worden. Überall...
Foto: Stadtarchi­v Erfurt Im offenen Wagen, gerade so wie ein amerikanis­cher Präsident, wurde Juri Gagarin am 18. und 19. Oktober 1963 durch Erfurt chauffiert. Seine jeweiligen Routen durch die Stadt, hier im Norden, waren vorher in der Zeitung veröffentl­icht worden. Überall...
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Foto: Stadtarchi­v Allenthalb­en säumen Tausende die Straßen und Plätze, an denen Gagarin in Erfurt auftaucht. Die Begeisteru­ng für den ersten Mann im All muss niemand anordnen.
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Foto: Peter Schreiber Juri Gagarin wird bei einem Besuch am NVAStandor­t in Erfurt von Oberstleut­nant Hubrich (links im Bild) und Major Helbach begrüßt und gebeten, sich in das Ehrenbuch der Armeeeinhe­it einzutrage­n.
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Foto: Stadtarchi­v Die SEDBezirks­leitung in Erfurt nutzt die Popularitä­t des Kosmonaute­n (rechts am Pult) bei mehreren Großverans­taltungen auch für die Wahlpropag­anda.

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