Thüringische Landeszeitung (Jena)

Wie die Stones Partner entsorgt und Kunst kreiert haben

Der Amerikaner Rich Cohen hat die Geschichte der Rockband neu erzählt – und bringt sie zum Klingen

- VON THOMAS BORCHERT

Noch ein Buch über die Rolling Stones. Jeder weiß doch, dass sie seit Ewigkeiten kein nennenswer­tes Album mehr zustande bekommen haben und bei Konzerten vor allem abkassiere­n wollen. Hunderte Bücher sind geschriebe­n über das halbe Jahrhunder­t von Mick Jagger und Keith Richards als verbittert­em Paar, das einzig Geld zusammenhä­lt.

Rich Cohen erzählt diese Geschichte in „Die Sonne, der Mond & die Rolling Stones“(btb Verlag, München, 528 Seiten, 24.99 Euro) noch mal so gut, dass sie frisch, lebendig und spannend ankommt, obwohl endlos oft gehört. Genau wie die Musik der Band aus ihrer Glanzzeit.

Cohen tourte als junger Reporter und leidenscha­ftlich bekennende­r Fan in den 90ern mit den Stones durch die USA, bekam „Zugang“zu den Rockstars und hat zusammen mit Jagger und dem Regisseur Martin Scorsese die HBQ-Serie „Vinyl“geschriebe­n. Seine Liebe zu „Honky Tonk Women“oder „Jumpin‘ Jack Flash“und „Wild Horses“sitzt so tief, dass er sie „mein Land“nennt, „in dem ich mein Leben lebe“.

Das hindert ihn nicht, Jagger als „monströs“und grausam zu porträtier­en und die Band als „Maschine, die nach menschlich­em Treibstoff verlangte“: „Von Anfang an hatten die Stones keine Hemmungen, unerwünsch­tes Personal über Bord zu werfen. Hatten sie ihre Schuldigke­it getan, wurden die Teilzeitpa­rtner zwanglos entsorgt.“

Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich der 1968 geborene Autor unbestechl­ich, frei und unbeschwer­t, wenn er den interessan­ten Teil der Bandgeschi­chte vom Start in London 1961 über den Rausschmis­s und Tod des Bandgründe­rs Brian Jones bis 1978 erzählt. Die Zeit seitdem wird nur kurz zusammenge­fasst, weil musikalisc­h nichts mehr passiert sei und es die Band überhaupt nur wegen Jaggers kläglichem Scheitern als Solosänger gebe.

Cohen hat sehr viele Interviews geführt und die Hausaufgab­en als Stones-Historiker mit gigantisch­er Stoffmenge auch sonst fleißig erledigt, ehe er sich ans Schreiben machte. Er ist ein erstklassi­ger Schreiber mit immer offenem Blick in alle Richtungen.

Da liest sich der Abschnitt über den Rauswurf des Pianisten Ian Stewart als „zu hässlich“genauso fasziniere­nd wie Cohens Texte über den grenzenlos melancholi­schen Song „Wild Horses“, seinen eigenen Stones-Favoriten: „Es heißt, dass jegliche Form von Kunst danach strebt, Musik zu sein. Ich hatte immer den Eindruck, als wolle jegliche Form von Musik so sein wie „Wild Horses“.“

Cohens Blick geht auch immer in die eigene Richtung: Dass er ja zu spät geboren wurde und erst dazukam, als die aufregende Welt dieser Rock-Archetypen aus den 60ern schon am Ende war. Dass mit dem Schreiben des Buches seine „Liebe zur Gitarre eigentlich nur noch gewachsen“, der Gitarrenle­hrer Brian ein wahrer Guru sei und nun auch die Begleitung von „Wild Horses“sitze, hätte man vielleicht nicht unbedingt so im Detail erfahren müssen.

Aber dass dieses Buch neue Lust auf die Musik macht, gerade durch seine manchmal niederschm­etternde Schilderun­g trostloser Schicksale und hoffnungsl­os verbogener Stars, stimmt eindeutig. Nach dem Zuklappen des Buches sucht der Finger wohl zwangsläuf­ig zum Startknopf der nächsten Anlage mit verfügbare­n Stones, am besten „Exile On Main Street“von 1972.

 ?? Foto: Alejandro Ernesto ?? Noch immer werden Bücher über die bereits legendären Rockbarden geschriebe­n: Die Rolling Stones halten auch nichts vom Ruhestand – hier bei einem Konzert am 25. März 2016 in der kubanische­n Hauptstadt Havanna.
Foto: Alejandro Ernesto Noch immer werden Bücher über die bereits legendären Rockbarden geschriebe­n: Die Rolling Stones halten auch nichts vom Ruhestand – hier bei einem Konzert am 25. März 2016 in der kubanische­n Hauptstadt Havanna.
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