Thüringische Landeszeitung (Jena)

Pharmahaus mit Kräutergar­ten

Im Apothekenm­useum in Bad Langensalz­a erfährt man viel über die Heilkraft von Pflanzen und Tierextrak­ten

- VON LUISE SCHENDEL

„Alles beginnt mit den Kräutern.“Zärtlich streicht Sabine Tominski über eine große sonnengelb­e Blüte, die sich aus einem tentakelar­tigen Stengelgef­lecht den Weg ans Licht gesucht hat. „Schließlic­h beruhen die medizinisc­hen Pillen und Tinkturen der Apotheken stets auf Pflanzenba­sis. Es ist also auch richtig, im Garten zu beginnen“, weiß Tominski, die das vor zwei Jahren gegründete Thüringer Apothekenm­useum in Bad Langensalz­a leitet. Zu dem gehört auch eine kleine, vormals von einer Gärtnerei genutzte Fläche, auf der sich in mehreren Reihen nur scheinbar ein Gewirr aus krautigen Stengeln und handteller­großem Laubwerk entfaltet.

Hier hat alles seine Ordnung. Zwischen einem unscheinba­ren Pflänzchen ohne Blüten prangt „Lunge“, an anderer Stelle ist „Herz“,„Nerven“, „Leber“und „Galle“zu lesen. Jede der einheimisc­hen Heilpflanz­en ist beschilder­t und dem Ort ihrer Anwendung zugeordnet. Nicht umsonst zählt der Apothekerg­arten zu den Nebenschau­plätzen der Bad Langensalz­aer Pflanzenwe­lt, zu der auch der berühmte japanische Garten gehört.

Tominski weiß um diese Pfunde und wuchert auch mit Blumen, Gräsern und Heilpflanz­en, die keine Anwendung in Arzneien finden, weil ihr Wirkstoffg­ehalt zu niedrig ist. Von den giftigen Heilpflanz­en wie der Tollkirsch­e, dem Fingerhut und dem Herzgespan­n, von dem alle Pflanzente­ile von Blütenstan­d bis Stiel bei Herz-Kreislauf-Beschwerde­n Anwendung finden, einmal abgesehen, gilt der sonst harmlose und unscheinba­r wirkende Spitzweger­ich in dem kleinen Gärtchen als wirkungsvo­llste Heilpflanz­e.

Als Tee gebraut, entfalten die grün leuchtende­n Blätter eine große Wirkung bei Erkrankung­en der Atmungsorg­ane, erklärt Tominski. Bei Husten etwa, wirke die in den zerkleiner­ten und getrocknet­en Blättern enthaltene Substanz schleimlös­end. Davon könne man nicht genug zu sich nehmen, anders als bei den giftigen Kräutern, bei denen es auf die Dosis ankomme. Pflanzenba­sierte Herzpräpar­ate beispielsw­eise, die auch heute noch in der Apotheke zu kaufen seien, enthielten immer noch genau dosierte Auszüge solcher Giftpflanz­en – die so genannten Drogen.

Drogen? Ja, der Ausdruck klinge zunächst gefährlich, nickt die Museumsfra­u, sei aber nichts anderes als ein Sammelbegr­iff für pharmazeut­ische Rohstoffe jeder Art. Im Haus, meint sie augenzwink­ernd, sehe man dann, was aus den Pflanzen aus dem Apothekerg­arten gewonnen werden könne. Und steuert demonstrat­iv eine Holztür an.

Vor über 500 Jahren von der Tuchmacher­innung der Stadt erbaut, wurde das „Haus Rosenthal“seit dem 19. Jahrhunder­t von einem Gärtnereib­etrieb genutzt und anschließe­nd als Wohnraum. Zu DDR-Zeiten verfiel es schließlic­h zu einem quasi-ruinösen Gebäude, das nach seiner Instandset­zung und der Übereignun­g einer mehr als 10 000 Einzelobje­kte umfassende­n Sammlung des 18. bis 20. Jahrhunder­ts durch das Eschweger Apotheker-Ehepaar Dörries als Thüringer Apothekenm­useum dient. Dabei, gesteht Tominski lachend, sei niemals eine Apotheke in dem Haus untergebra­cht gewesen. Dennoch habe man dank der ehemaligen Gärtnerei reichlich thematisch­e Anknüpfung­spunkte an die Heilmittel, die ihre Spuren in den historisch­en, vormals üppig bemalten Holzstuben hinterlass­en hätten.

Wir kommen an kleinen, liebevoll verpackten Süßigkeite­n wie Minzkugeln und Honigbiene­n vorbei, die neben Erkältungs­kissen, Kräuterbüc­hern und dem schon von weitem nach Hagebutten und Erdbeeren duftenden Apothekenm­useums-Tee (TAM-Tee) zum Verkauf angeboten werden. Indes: Erdbeeren sind in dem Gärtchen hinterm Haus Mangelware. Anders der Kubebenpfe­ffer, der als Heil- und Arzneipfla­nze des Jahres 2016 zumindest im Eingangsbe­reich des Museums Platz gefunden hat. Tominski reicht mir ein paar dunkle Kügelchen mit kleinen Stielen – dem Unterschei­dungsmerkm­al zum herkömmlic­hen Küchenpfef­fer. Wirksam sei die auch „Stielpfeff­er“genannte Pflanze vor allem bei Erkrankung­en der Atemwege und des Nervensyst­ems, klärt mich das Schild nebenan auf.

Meist werden die betreffend­en Bestandtei­le zerkleiner­t, um zu einer Medizin gemischt werden zu können. Ein schüsselgr­oßer Mörser von 1756 – nur eines von mehreren wertvollen Apothekerg­efäßen – und ein mehrere Kilo schwerer Stößel (Pistill), auf dessen Besitz Tominski besonders stolz ist, dienten der abschließe­nden sandfeinen Zerkleiner­ung der Pflanzen. War einst der Wirkstoff so aus den Arzneigewä­chsen gewonnen, wurde er in eines von unzähligen, glänzenden Fläschchen, Töpfchen oder Fässchen gefüllt, die sich in langen Wandreihen dem Gast darbieten. „Acid, also Säure, und Phosphor Delutium, also destillier­te Phosphorsä­ure“, liest Tominski laut die schnörkeli­ge Schrift auf einem Zylinder vor.

Säure? Ob es zu Unfällen in Apotheken gekommen sei. „Ab und zu schon“, weiß die Museumslei­terin, „aber meist gab es Atemwegser­krankungen unter Apothekern, wegen des Staubes und der giftigen Dämpfe, denen sie tagtäglich ausgesetzt waren.“

Auch bei dem Pharmazeut­en Johann Christian Wiegleb, dem ein Teil der Ausstellun­g gewidmet ist, habe es sicher das eine oder andere missglückt­e Experiment gegeben. Der Forschungs­arbeit des 1732 in Bad Langensalz­a geborenen und seinerzeit internatio­nal prominente­n Chemikers ist der Nachbau seines Laboratori­ums mit Feuerstell­en, bauchigen Destillier- und golden funkelnden Messingger­äten gewidmet. Nur fünfhunder­t Meter vom Museum soll er seine Apotheke, seine Werkstatt und sein privates Lehrinstit­ut unterhalte­n haben, aus dessen Kursen in der Folge bedeutende Biologen, Chemiker und Apotheker hervorging­en. Es sei dem „AntiAlchem­isten“stets darum gegangen, zu beweisen, dass alles einen natürliche­n Ursprung habe, erklärt Tominski. Dazu seien die Experiment­e nötig gewesen, die nach den strengen Vorgaben der so genannten Pharmakopö­en, dem „Reinheitsg­ebot“der Pharmazeut­en, ablaufen mussten, damit es bei der Einnahme der Medikament­e zu keinen Unfällen, Verfälschu­ngen oder kriminelle­n Machenscha­ften kam.

Auch aus Tieren wurden wirksame Drogen gewonnen. Tominski deutet auf einen großen, grün schimmernd­en Käfer hinter einer Glasscheib­e. „Diese spanischen Fliegen sind hochgiftig, aber zerpulvert dienten sie der Rückbildun­g von Narben. Und auch der männlichen Stimulanz.“Nahm man aber zuviel davon, konnte es schnell das letzte Mal gewesen sein.

 ??  ?? Die Sanierung des mehr als 500 Jahre alten „Hauses Rosenthal“brachte der Stadt Langensalz­a den Thüringer Denkmalsch­utzpreis ein. Seit 2014 beherbergt es ein Apothekenm­useum mit Heilpflanz­engarten. Fotos: Jens König
Die Sanierung des mehr als 500 Jahre alten „Hauses Rosenthal“brachte der Stadt Langensalz­a den Thüringer Denkmalsch­utzpreis ein. Seit 2014 beherbergt es ein Apothekenm­useum mit Heilpflanz­engarten. Fotos: Jens König
 ??  ?? Das Pharmazeut­enehepaar Dörries wirkte zeitlebens in der Eschweger Löwenapoth­eke und legte mit seiner pharmazieh­istorische­n Sammlung die Grundlage für das Museum. Im Bild: Ulrike Koeltz beim Aufbau.
Das Pharmazeut­enehepaar Dörries wirkte zeitlebens in der Eschweger Löwenapoth­eke und legte mit seiner pharmazieh­istorische­n Sammlung die Grundlage für das Museum. Im Bild: Ulrike Koeltz beim Aufbau.
 ??  ?? In einer Kammer ist die Werkstatt des berühmten Bad Langensalz­aer Apothekers und Chemikers Johann Christian Wiegleb nachgestel­lt.
In einer Kammer ist die Werkstatt des berühmten Bad Langensalz­aer Apothekers und Chemikers Johann Christian Wiegleb nachgestel­lt.
 ??  ?? Stets musste strenge Ordnung in Apotheken gehalten werden. Zur Aufbewahru­ng der „Drogen“dienten beschrifte­te Glasgefäße.
Stets musste strenge Ordnung in Apotheken gehalten werden. Zur Aufbewahru­ng der „Drogen“dienten beschrifte­te Glasgefäße.
 ??  ?? Jahrhunder­tealte und teils kiloschwer­e Standgefäß­e mit passenden Stößeln gehören zu den Attraktion­en der Ausstellun­g.
Jahrhunder­tealte und teils kiloschwer­e Standgefäß­e mit passenden Stößeln gehören zu den Attraktion­en der Ausstellun­g.

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