Thüringische Landeszeitung (Jena)
Pharmahaus mit Kräutergarten
Im Apothekenmuseum in Bad Langensalza erfährt man viel über die Heilkraft von Pflanzen und Tierextrakten
„Alles beginnt mit den Kräutern.“Zärtlich streicht Sabine Tominski über eine große sonnengelbe Blüte, die sich aus einem tentakelartigen Stengelgeflecht den Weg ans Licht gesucht hat. „Schließlich beruhen die medizinischen Pillen und Tinkturen der Apotheken stets auf Pflanzenbasis. Es ist also auch richtig, im Garten zu beginnen“, weiß Tominski, die das vor zwei Jahren gegründete Thüringer Apothekenmuseum in Bad Langensalza leitet. Zu dem gehört auch eine kleine, vormals von einer Gärtnerei genutzte Fläche, auf der sich in mehreren Reihen nur scheinbar ein Gewirr aus krautigen Stengeln und handtellergroßem Laubwerk entfaltet.
Hier hat alles seine Ordnung. Zwischen einem unscheinbaren Pflänzchen ohne Blüten prangt „Lunge“, an anderer Stelle ist „Herz“,„Nerven“, „Leber“und „Galle“zu lesen. Jede der einheimischen Heilpflanzen ist beschildert und dem Ort ihrer Anwendung zugeordnet. Nicht umsonst zählt der Apothekergarten zu den Nebenschauplätzen der Bad Langensalzaer Pflanzenwelt, zu der auch der berühmte japanische Garten gehört.
Tominski weiß um diese Pfunde und wuchert auch mit Blumen, Gräsern und Heilpflanzen, die keine Anwendung in Arzneien finden, weil ihr Wirkstoffgehalt zu niedrig ist. Von den giftigen Heilpflanzen wie der Tollkirsche, dem Fingerhut und dem Herzgespann, von dem alle Pflanzenteile von Blütenstand bis Stiel bei Herz-Kreislauf-Beschwerden Anwendung finden, einmal abgesehen, gilt der sonst harmlose und unscheinbar wirkende Spitzwegerich in dem kleinen Gärtchen als wirkungsvollste Heilpflanze.
Als Tee gebraut, entfalten die grün leuchtenden Blätter eine große Wirkung bei Erkrankungen der Atmungsorgane, erklärt Tominski. Bei Husten etwa, wirke die in den zerkleinerten und getrockneten Blättern enthaltene Substanz schleimlösend. Davon könne man nicht genug zu sich nehmen, anders als bei den giftigen Kräutern, bei denen es auf die Dosis ankomme. Pflanzenbasierte Herzpräparate beispielsweise, die auch heute noch in der Apotheke zu kaufen seien, enthielten immer noch genau dosierte Auszüge solcher Giftpflanzen – die so genannten Drogen.
Drogen? Ja, der Ausdruck klinge zunächst gefährlich, nickt die Museumsfrau, sei aber nichts anderes als ein Sammelbegriff für pharmazeutische Rohstoffe jeder Art. Im Haus, meint sie augenzwinkernd, sehe man dann, was aus den Pflanzen aus dem Apothekergarten gewonnen werden könne. Und steuert demonstrativ eine Holztür an.
Vor über 500 Jahren von der Tuchmacherinnung der Stadt erbaut, wurde das „Haus Rosenthal“seit dem 19. Jahrhundert von einem Gärtnereibetrieb genutzt und anschließend als Wohnraum. Zu DDR-Zeiten verfiel es schließlich zu einem quasi-ruinösen Gebäude, das nach seiner Instandsetzung und der Übereignung einer mehr als 10 000 Einzelobjekte umfassenden Sammlung des 18. bis 20. Jahrhunderts durch das Eschweger Apotheker-Ehepaar Dörries als Thüringer Apothekenmuseum dient. Dabei, gesteht Tominski lachend, sei niemals eine Apotheke in dem Haus untergebracht gewesen. Dennoch habe man dank der ehemaligen Gärtnerei reichlich thematische Anknüpfungspunkte an die Heilmittel, die ihre Spuren in den historischen, vormals üppig bemalten Holzstuben hinterlassen hätten.
Wir kommen an kleinen, liebevoll verpackten Süßigkeiten wie Minzkugeln und Honigbienen vorbei, die neben Erkältungskissen, Kräuterbüchern und dem schon von weitem nach Hagebutten und Erdbeeren duftenden Apothekenmuseums-Tee (TAM-Tee) zum Verkauf angeboten werden. Indes: Erdbeeren sind in dem Gärtchen hinterm Haus Mangelware. Anders der Kubebenpfeffer, der als Heil- und Arzneipflanze des Jahres 2016 zumindest im Eingangsbereich des Museums Platz gefunden hat. Tominski reicht mir ein paar dunkle Kügelchen mit kleinen Stielen – dem Unterscheidungsmerkmal zum herkömmlichen Küchenpfeffer. Wirksam sei die auch „Stielpfeffer“genannte Pflanze vor allem bei Erkrankungen der Atemwege und des Nervensystems, klärt mich das Schild nebenan auf.
Meist werden die betreffenden Bestandteile zerkleinert, um zu einer Medizin gemischt werden zu können. Ein schüsselgroßer Mörser von 1756 – nur eines von mehreren wertvollen Apothekergefäßen – und ein mehrere Kilo schwerer Stößel (Pistill), auf dessen Besitz Tominski besonders stolz ist, dienten der abschließenden sandfeinen Zerkleinerung der Pflanzen. War einst der Wirkstoff so aus den Arzneigewächsen gewonnen, wurde er in eines von unzähligen, glänzenden Fläschchen, Töpfchen oder Fässchen gefüllt, die sich in langen Wandreihen dem Gast darbieten. „Acid, also Säure, und Phosphor Delutium, also destillierte Phosphorsäure“, liest Tominski laut die schnörkelige Schrift auf einem Zylinder vor.
Säure? Ob es zu Unfällen in Apotheken gekommen sei. „Ab und zu schon“, weiß die Museumsleiterin, „aber meist gab es Atemwegserkrankungen unter Apothekern, wegen des Staubes und der giftigen Dämpfe, denen sie tagtäglich ausgesetzt waren.“
Auch bei dem Pharmazeuten Johann Christian Wiegleb, dem ein Teil der Ausstellung gewidmet ist, habe es sicher das eine oder andere missglückte Experiment gegeben. Der Forschungsarbeit des 1732 in Bad Langensalza geborenen und seinerzeit international prominenten Chemikers ist der Nachbau seines Laboratoriums mit Feuerstellen, bauchigen Destillier- und golden funkelnden Messinggeräten gewidmet. Nur fünfhundert Meter vom Museum soll er seine Apotheke, seine Werkstatt und sein privates Lehrinstitut unterhalten haben, aus dessen Kursen in der Folge bedeutende Biologen, Chemiker und Apotheker hervorgingen. Es sei dem „AntiAlchemisten“stets darum gegangen, zu beweisen, dass alles einen natürlichen Ursprung habe, erklärt Tominski. Dazu seien die Experimente nötig gewesen, die nach den strengen Vorgaben der so genannten Pharmakopöen, dem „Reinheitsgebot“der Pharmazeuten, ablaufen mussten, damit es bei der Einnahme der Medikamente zu keinen Unfällen, Verfälschungen oder kriminellen Machenschaften kam.
Auch aus Tieren wurden wirksame Drogen gewonnen. Tominski deutet auf einen großen, grün schimmernden Käfer hinter einer Glasscheibe. „Diese spanischen Fliegen sind hochgiftig, aber zerpulvert dienten sie der Rückbildung von Narben. Und auch der männlichen Stimulanz.“Nahm man aber zuviel davon, konnte es schnell das letzte Mal gewesen sein.