Thüringische Landeszeitung (Jena)

Unfall auf der Gegenfahrb­ahn

Peter Richter blickt von New York gen Dresden

- VON FRANK QUILITZSCH

Aus der Ferne scheint einem die Heimat plötzlich so nah. Diese Erfahrung hat nun auch der Dresdner Journalist und Buchautor Peter Richter gemacht – sein Roman „89/90“ist für die Bühne adaptiert worden, und das Stück wird derzeit am Dresdner Staatsscha­uspiel aufgeführt. Von New York aus, wo Richter seit einiger Zeit als Korrespond­ent der Süddeutsch­en Zeitung arbeitet, blickt er auf seine Geburtssta­dt an der Elbe.

Doch nicht nur er interessie­rt sich in den USA für die fremdenfei­ndlichen Exzesse in der deutschen Kulturstad­t: „Vor ein paar Monaten“, lässt Richter den Leser in seinem Buch „Dresden Revisited – Von einer Heimat, die einen nicht fortlässt“wissen, „hat mich sogar Tom Hanks nach Dresden gefragt.“

Nun, Hanks ist insofern ein Sonderfall, als dass der bis vor kurzem noch einen Film über den DDR-Amerikaner Dean Reed geplant hatte – er selbst wollte darin den sozialisti­schen Cowboy-Sänger spielen. Im 30Minuten-Interview, das eigentlich Spielbergs Film „Bridge of Spies“galt, habe Hanks dann zwanzig Minuten über Dresden gesprochen. Tom Hanks, so Peter Richter, sei sehr an der Geschichte des Kalten Kriegs interessie­rt und schaue mit der gleichen Faszinatio­n auf das, was früher einmal die andere Seite des Eisernen Vorhangs war: also Ostdeutsch­land. Die Ostdeutsch­en seien für Hanks sowas wie die Indianer, also auch – oder erst recht – die Dresdner.

Und für Richter? Für ihn sind es ganz normale Landsleute, die ihm in der Fremde immer unheimlich­er werden.

Verfolgt mit Angstlust die deutschen Debatten

„Ich sitze also in Brooklyn, schaue, wenn ich Zeit habe, verflucht sei das Internet, immer mal wieder mit Angstlust in die deutschen Debatten, als wär‘s ein Unfall auf der Gegenfahrb­ahn, und frage mich, ob da was dran ist, an all den Thesen von den beleidigte­n, narzisstis­ch gekränkten Sachsen, die sich die Experten jetzt überall zusammenps­ychologisi­eren.“

Obwohl er schon lange nicht mehr in Dresden wohnt, muss sich Peter Richter ständig rechtferti­gen, vor den Amerikaner­n, aber auch vor jenen Deutschen, die mit dem Finger auf Dresden als Keimzelle der fremdenfei­ndlichen Pegida-Bewegung weisen. „In der Außenwahrn­ehmung“, schreibt er, „ist es jetzt die Stadt der notorisch rechten Deppen und verbiester­ten Alten, der Loser aus der DDR.“

Richter fährt dagegen Kulturund Kunstschaf­fende aus der Vergangenh­eit auf: E.T.A. Hoffmann oder Theodor Fontane, der zeitweilig in Dresden lebte. Fontane habe den dortigen Menschensc­hlag in zwei Typen eingeteilt: erstens „den Kaffeesach­sen, also den sentimenta­len sächsische­n Typus“, und zweitens einen „energische­n, leidenscha­ftlichen, zornig verbittert­en“. Beide seien noch heute präsent, auch wenn letzterer mehr Geschrei mache.

Einwanderu­ngspolitik der USA beleuchtet

Richter plädiert für „Durchlüftu­ng“– „Zuzug von außen“– und findet dafür allerlei positive Beispiele in der Geschichte. Fazit: „Ohne die Fremden hätte Dresden nicht besonders viel zu bieten.“Auch die Einwanderu­ngspolitik der USA wird in seinem Büchlein beleuchtet, das seinen Ursprung in jener Dresdner Rede hat, die Peter Richter im Februar 2016 im Schauspiel­haus hielt. Für den Heimatlieb­enden in der Fremde steht Dresden „auf der Kippe“.

Aber keine Panik: „Die gesellscha­ftliche Spaltung, über die man sich im harmoniesü­chtigen Deutschlan­d gerade verwundert die Augen reibt“, gebe es in den USA schon etwas länger, heißt es in „Dresden Revisited“. • Peter Richter: Dresden Revisited. Luchterhan­dVerlag, 160 Seiten, 18 Euro

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