Thüringische Landeszeitung (Jena)
Biathlontrainer Ricco Groß: „Wer betrügt, fliegt“
Der Coach aus Deutschland macht die russische Nationalmannschaft in Oberhof fit für die anstehende WeltcupSaison
OBERHOF. Die Österreicher sind da, die Polen und die Franzosen. Sie alle bereiten sich in Oberhof auf die Biathlon-Weltcupsaison vor, die im November beginnt. Das überschaubar aufregende Örtchen im Thüringer Wald gilt als Paradies für nordische Skisportler. Deshalb ist auch Ricco Groß (46) mit seinem Team für ein paar Tage hergekommen. Der mehrfache Olympiasieger und Weltmeister trainiert seit über einem Jahr die russische Nationalmannschaft. Draußen ziehen Nebelschwaden vorbei, aber im rustikalen Rennsteigzimmer des Sporthotels Oberhof ist die Sicht gut.
Herr Groß, sind noch alle da oder ist Ihnen zwischen dichten Wäldern und dem vielen Nebel schon ein Sportler verloren gegangen?
Ich habe nachgezählt und festgestellt, dass wir alle Athleten gesund durchgebracht haben (lacht). Einer musste früher abreisen, aber das war so geplant und hatte nichts mit dem Wetter zu tun. Im Gegenteil: Die Bedingungen sind zum Trainieren ganz hervorragend, deshalb halten sich derzeit so viele Nationen in Oberhof auf.
Wie ist denn Ihr Russisch?
Ich komme klar. Bis zum Abitur habe ich es in der Schule gelernt und es ist tatsächlich einiges hängen geblieben.
Welche Note hatten Sie?
Das habe ich verdrängt (lacht). Nein, ich glaube, eine Drei. Mit einer Mischung aus Deutsch, Englisch und Russisch können wir uns im Team gut verständigen. Ich verstehe das meiste und werde von den Sportlern ermutigt, Russisch auch zu sprechen. Das ist für mich ein ganz gutes Training.
Halten Sie sich häufig in Russland auf?
Nein, ich lebe nach wie vor in Deutschland. Seit Ende der vergangenen Saison habe ich genau zwölf Tage in Russland verbracht. Hauptsächlich zur Vorbereitung der russischen Meisterschaften und während der Meisterschaften selbst. Ab und zu haben wir Lehrgänge in Moskau, aber das ist es dann schon.
Eine bewusste Entscheidung?
Ja. Ich möchte ein Zeichen setzen und habe deshalb die meisten Trainingseinheiten nach Deutschland und Mitteleuropa gelegt. Ich will zeigen, dass wir offen sind für Trainingskontrollen und uns nicht in Russland verstecken. Wir wollen jederzeit für die Doping-Kontrolleure erreichbar sein.
Nehmen die Kontrolleure das Angebot an? Werden Ihre Sportler häufig kontrolliert?
Pro Lehrgang, also innerhalb drei Wochen, sind sie ungefähr zweimal da.
Kurz nachdem Sie Ihren Job angetreten hatten, wurde das Ausmaß des Dopingskandals im russischen Sport publik. Müssen Sie sich oft rechtfertigen, ausgerechnet hier Trainer geworden zu sein?
Ich wüsste nicht, warum ich mich rechtfertigen sollte. Jeder ist doch in seiner Berufswahl frei. Ich hätte auch andere Optionen gehabt, habe mich aber relativ schnell für Russland entschieden.
Wie kam es, dass Sie so überzeugt waren von der Offerte?
Es hat mich gereizt, dass ich sehr viel Verantwortung übernehmen kann und mir große Wertschätzung entgegengebracht wird. Russland war aus meiner Sicht die spannendste Aufgabe. In der Mannschaft steckt ein Riesenpotenzial. In der vergangenen Saison haben wir etliche Podiumsplätze geholt, nur bei der WM ist es leider noch nicht so gut gelaufen. Aber ich sehe meine Mannschaft schon auf Augenhöhe mit dem deutschen Biathlon-Team.
Reden Sie mit Ihren Athleten über Doping?
Wir haben sehr offen darüber gesprochen und alle wissen, dass ich strikt dagegen bin. Wir haben klar vereinbart, dass jeder fliegt, der betrügt. Selbst der Versuch würde reichen. Das meine ich sehr ernst. Die Athleten haben mir versprochen, sich daran zu halten. Ich hoffe, dass ich mich darauf verlassen kann, aber ich vertraue ihnen.
Der Leistungsdruck muss in Russland enorm hoch sein.
Das ist richtig. Ich habe vom Verband die Ansage bekommen, dass wir Olympia-Medaillen holen sollen. Darauf habe ich geantwortet: Das erledigen wir am besten mit der Staffel, dann sind es schon mal vier (lacht). Aber im Ernst: Jeder Präsident sieht es doch gerne, wenn seine Sportler erfolgreich sind. Alle Top-Sportler stehen gewaltig unter Druck, nicht nur die russischen.
Die nächsten Spiele werden nicht in klassischen Wintersportregionen ausgetragen: 2018 in Südkorea, 2022 in Peking. Was halten Sie davon?
Gar nichts. Es wird so viel über Korruption im Fußball gesprochen, dabei bin ich überzeugt, dass auch bei der Vergabe der Spiele sicher wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielten.
In Deutschland zählt Biathlon zu den beliebtesten Fernsehsportarten. Kaum jemand betreibt es selbst, aber Millionen Menschen verfolgen die Übertragungen. Woran liegt das?
Biathlon ist ein unheimlich interessanter Sport mit einem großen Spannungsbogen am Schießstand. Mit dem letzten Schuss kann noch der Sieg verspielt werden. Außerdem gibt es gute Typen, bei den Frauen wie bei den Männern. Vielleicht ist Biathlon für viele Leute auch so interessant, gerade weil es nicht jeder machen kann. Das ist so ähnlich wie mit der Formel 1.
Was halten Sie denn von Veranstaltungen wie dem Biathlon auf Schalke, wo Ihr Sport in die Großstadt zieht?
Die Veranstaltung auf Schalke ist ganz wichtig, nicht nur für die Zuschauer, auch für die Athleten. Wegen des Trainingseffekts unmittelbar nach Weihnachten und so kurz vor dem WeltcupDreier in Oberhof, Ruhpolding und Antholz. Vor 40 000 Zuschauern zu starten ist nicht ohne. Man muss sich als Sportler schon stark konzentrieren bei dieser Stimmung. Es ist schön, dass die Sportler zu ihren Fans kommen, gerade im Ruhrgebiet gibt es viele Biathlon-Freunde. Ich bin selbst immer gerne dort an den Start gegangen und werde in diesem Jahr wieder dabei sein, dann als Trainer.