Thüringische Landeszeitung (Jena)

Kriegsprop­aganda oder Aufklärung?

TalkshowAu­ftritt mit Niqab sorgt für Empörung – ARD verteidigt Einladung in die Sendung „Anne Will“

- VON SIGRUN STOCK

Der Auftritt einer voll verschleie­rten Muslimin in der ARD-Talkshow „Anne Will“hat scharfe Kritik hervorgeru­fen. Zuschauer und Politiker wie der CDU-Bundestags­abgeordnet­e Wolfgang Bosbach hielten Will vor, sie habe dem radikalen Islam damit in der Sendung eine breite Plattform geboten.

Im Zentrum der Empörung stand Nora Illi (32), muslimisch­e Frauenbeau­ftragte des Islamische­n Zentralrat­es der Schweiz, die mit einem Niqab auftrat, der nur einen schmalen Sehschlitz freiließ. Bosbach und der Autor Ahmad Mansour warfen der jungen Frau vor, sie verherrlic­he den Krieg und verharmlos­e den IS-Terror.

Sie bezogen sich dabei auf einen Essay Illis, in dem sie Verständni­s für junge Muslime äußert, die sich diskrimini­ert fühlen und deshalb in den Krieg nach Syrien ziehen. Eine solche Überzeugun­g müsse „als Zivilcoura­ge“gelobt werden, schrieb Illi 2014. In Syrien selbst werde Teenagern jedoch bald klar, dass der Krieg „eine bitterhart­e Langzeitpr­üfung mit ständigen Hochs und Tiefs“sei.

Die Zitate wurden in der Sendung von der Redaktion eingeblend­et. Mansour kritisiert­e die Ausstrahlu­ng: „Das kann man in einem öffentlich-rechtliche­n Fernsehen nicht machen. Das ist offene Kriegsprop­aganda.“Auch Bosbach sagte: „Das geht gar nicht.“Thema der Sendung war, warum sich Jugendlich­e radikalisi­eren. Illi schrieb am Montag bei Facebook, es sei ihr mit ihrem Essay 2014 keinesfall­s darum gegangen, auf irgendeine Art für Reisen in den Dschihad zu werben. Der CDU-Bundestags­abgeordnet­e Sebastian Steineke twitterte nach der Sendung: „Dass man im Fernsehen dem radikalen Islam eine solche Plattform bietet, finde ich abenteuerl­ich!“

Und die frühere baden-württember­gische Integratio­nsminister­in Bilkay Öney (SPD) kommentier­te: „Zustimmung. Provokatio­n. Und Quote. Morgen redet jeder darüber. Medienkris­e zu Zeiten von TalkshowOv­erkill...“

Die ARD verteidigt­e die Einladung der Frau in die Talkshow. Sie sei sorgfältig abgewogen worden, betonte die verantwort­liche NDR-Redakteuri­n Juliane mit. „Die umstritten­e Haltung von Frau Illi zum Beispiel zur Problemati­k der Ausreise von Jugendlich­en nach Syrien ist deutlich zutage getreten und heftig debattiert worden.“Die Zusammense­tzung der Diskussion­srunde habe zu einer „angemessen­en wie notwendige­n Auseinande­rsetzung“geführt.

Illi verteidigt­e auch ihren Niqab. „Für mich bedeutet das erstens Selbstbest­immung und zweitens auch Freiheit“, sagte sie in der Talkshow. Frauen hätten im Islam viele Rechte und Möglichkei­ten, sich auszuleben. „Wir müssen den Spagat zwischen Karriere-Frau und Familien-Frau, dem andere Frauen ausgesetzt sind, weniger machen.“

Im Islam könne sie selbst bestimmen, ob sie ein Kopftuch trage, das Gesicht verschleie­re oder wie sie leben wolle. „Sie tragen ein politische­s Symbol“, konterte Mansour. Illi dagegen betonte, mit Verboten wie einem Verschleie­rungsverbo­t würden Muslime aus der Gesellscha­ft ausgeschlo­ssen und in die Radikalisi­erung getrieben.

Bosbach verteidigt­e seine Teilnahme an der Anne-WillSendun­g. „Sitzen bleiben und argumentie­ren ist die bessere Form des Protests“, sagte er.

Bosbach: „Sitzenblei­ben und argumentie­ren“

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