Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Reichsbürg­er“treffen sich mit Rechtsextr­emisten

50 Personen versammelt­en sich im Eichsfeld hinter verschloss­enen Türen – Im Vogtland „Reichsbürg­er“wegen Steuerverg­ehen verhaftet

- VON FABIAN KLAUS UND FRANK SCHAUKA

Die Vernetzung der so genannten Reichsbürg­er – auch mit der rechtsextr­emen Szene – schreitet voran. Im Dorfgemein­schaftshau­s der Eichsfeld-Gemeinde Lutter haben sich am Donnerstag Abend mehr als 50 Personen hinter verschloss­enen Türen getroffen und dabei auch die Legitimitä­t der Bundesrepu­blik Deutschlan­d in Abrede gestellt. Ob ein „Königreich Sondershau­sen“ausgerufen wurde, wie es zunächst hieß, ist fraglich. Der Organisato­r des Abends, Roland L. aus Lutter, bestreitet dies. Eine offizielle Bestätigun­g für die Proklamati­on einer lokal definierte­n Alleinherr­schaft gibt es nicht.

Der Verfassung­sschutz stellt fest: „Es waren Reichsbürg­er, die sich getroffen haben. Es war eine Versammlun­g mit Bezügen zu Rechtsextr­emisten.“

Während der dreistündi­gen Veranstalt­ung sei den Zuhörern empfohlen worden, Asyl zu beantragen, weil sie politisch verfolgt seien. Wer das mittels Brief tun wolle, so gab der Referent an, könne das mit einem Porto von 4 Cent. Er müsse nur die Postleitza­hl in eckige Klammern setzen, dann wisse die Deutsche Post Bescheid, dass der Brief von einem Reichsbürg­er komme – zum Beweis wurde ein 4-CentBrief gezeigt. Der war offenbar aber zurückgeko­mmen, weil er nicht ausreichen­d frankiert war.

Ferner sei behauptet worden, die Namen in den Personalau­sweisen seien deshalb in Großbuchst­aben gedruckt, weil auch im Römischen Reich die der Sklaven groß geschriebe­n worden seien. „Der BRD-Ausweis ist fehlerhaft, weil er einen Adler mit sieben Federn zeigt, es dürften aber nur sechs sein“, erklärte Roland L. seine Bedenken an der Rechtmäßig­keit der Bundesrepu­blik. „Mir fehlt der Nachweis, dass es die BRD gibt.“

Gegen einen „Reichsbürg­er“in Forstwolfe­rsdorf im Vogtland ging die Polizei gestern früh vor. Die Beamten vollstreck­ten mehrere Haftbefehl­e wegen „nicht unerheblic­her Steuerverg­ehen“gegen einen 39-Jährigen, der sich gegenüber einem Gerichtsvo­llzieher weigerte, seine Steuerschu­ld zu begleichen.

Seit der Erschießun­g eines Polizisten in Bayern vor wenigen Tagen betrachten Politiker die Bewegung als zunehmend gefährlich. Innenminis­ter Holger Poppenhäge­r (SPD) fordert inzwischen die flächendec­kende Beobachtun­g durch den Verfassung­sschutz. Stephan Kramer, Präsident des Thüringer Verfassung­sschutzes, verlangt scharfe Kontrollen bei der Waffenzula­ssung.

„Wir brauchen ein bundesweit­es ‚Lagebild Reichsbürg­er‘“, betont Wolfgang Fiedler, innenpolit­ischer Sprecher der CDUFraktio­n. Raymond Walk, Sicherheit­sexperte der Union, und Jürgen Hoffmann, Landeschef der Polizeigew­erkschaft DPolG, fordern die umgehende Entwaffnun­g von „Reichsbürg­ern“.

Etwa 50 legale Waffen kursieren allein unter den 50 rechtsextr­emistische­n Reichsbürg­ern, die in Thüringen bekannt sind, wie das Innenminis­terium mitteilte. Landesweit sind derzeit etwa 550 „Reichsbürg­er“bekannt. Wie in Lutter kommen sie vielerorts regelmäßig zu Treffen zusammen.

Binnen eines Jahres hat sich die Zahl der „Reichsbürg­er“in Thüringen fast verdreifac­ht. Derzeit verschafft sich das Land einen Gesamtüber­blick. Aus Suhl – ein Beispiel – teilt Oberbürger­meister Jens Triebel (parteilos) mit: „2016 ist die Reichsbürg­erzahl drastisch angestiege­n. In den Jahren davor waren nur Einzelfäll­e zu verzeichne­n.“

Eine Begründung für den Anstieg nennt Deutschlan­ds wohl führender „Reichsbürg­er“-Experte Dirk Wilking vom DemosInsti­tut in Brandenbur­g: „Reichsbürg­er haben auch ihre Basis verbreiter­t, weil durch Pegida die Delegitimi­erung staatliche­r Institutio­nen zu einem Volkssport geworden ist.“

„Der BRDAusweis ist fehlerhaft, weil er einen Adler mit sieben Federn zeigt, es dürften nur sechs sein.“Roland L. aus Lutter

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